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Christoph Steborius - Professor zu Ingolstadt, eine der »Schwedengeiseln«
von Gerd Treffer

Historische Blätter Ingolstadt - Jahrgang 13 - Ausgabe Nr. 129 vom 15.12.2023

Steborius stammt aus Altenbeuren bei Heiligenberg am Bodensee, zum Salemer Teilort Beuren gehörig. Geburtsjahr ist 1574. Weitgehend unbekannt bleiben Herkunft, Kindheit, frühe Schulzeit. Interessant wäre es, zu erfahren, wie er den Sprung in die Welt der Bildung, in den Dunstkreis des Jesuitenordens schaffte. Nach dem Lexikon der Ludwig-Maximilians-Universität, das die Lebensläufe der Professoren von der Universitätsgründung 1472 bis zu ihrer Verlegung 1828 nach München nachzeichnet, war Steborius Schüler des „holländischen Instituts“ in München. Als er dann, im Dezember 1599, 25jährig, ins Landsberger Noviziat der Jesuiten eintrat, hatte er bereits ein Studium einer philosophischen Fakultät abgeschlossen, war berechtigt , sein Wissen der nachrückenden Studentenschaft weiterzuvermitteln. 1600 trat er in Regensburg das „Magisterium“ an.

Die damalige Universitätspraxis sah vor, dass jene, die ihren Magister erworben hatten, die neuen Studenten in den grundlegenden Fächern, im Grundstudium unterrichteten – eine Form der Tutorentätigkeit. Eine solcher Lehrauftrag schien zunächst eine Art der Ehrenpflicht. Die Magistri hatten es Dank der Lehre der Philosophischen Fakultät geschafft, sich ihren Titel zu erwerben. Nun sollten sie – die Universität verstand sich schließlich als die Kommunität der Studierenden, Lehrenden und Forschenden - den Neulingen helfen, ebenfalls, diesen Weg zu beschreiten. Bald aber entstand die Erkenntnis, dass solche Hilfe auch ihrer Löhnung wert war. Es bildeten sich Gremien , die Magistri regentes – fast „gewerkschaftliche“ Institutionen. In der einfachen Form ging es darum, dass sich die „wissenschaftlichen Assistenten“ dem akademischen Anstand sehr wohl verpflichtet wußten, für ihre Tutorentätigkeit aber Geld forderten, oft nicht zuletzt, um ihr eigenes Studium an einer der drei höheren Fakultäten zu finanzieren und sich ihren Lebensunterhalt zu verdienen. So entstanden quasi als „akademischer Unterbau“ die „Berufsmagister“. Das betraf eher die Studenten, die der Medizin zuneigten oder jene, die über die Juristenfakultät der Staatsdienerlaufbahn zustrebten. Ein Jesuit brauchte wohl kaum, nur um Studieren zu können, aus wirtschaftlichen Gründen den Gewinn aus den Lehrgebühren. 1603 bis 1607 studierte Steborius zu Ingolstadt Theologie. Sicher lebte er im Jesuitenkonvikt.

Und noch im September 1607 wurde er als „professor logicus“ an der Universität immatrikuliert. Am Ende seiner Tätigkeit als Philosophieprofessor an der Bayerischen Landesuniversität im September 1614 lag ihm sein Ernennungspatent zum Rektor des Konstanzer Jesuitenkollegs vor – vor dem Abschied aus Ingolstadt legte er noch das vierte Ordensgelübde ab. Vier Jahre später, im April 1618 kehrte er als Professor für scholastische Theologie nach Ingolstadt zurück. Das war das Jahr, da der Dreißigjährige Krieg entbrannte, vorgeblich als Konfrontation zwischen Konfessionen, in Wirklichkeit realen Machtinteressen folgend. 1621 gibt Steborius seine Lehrtätigkeit an der Universität auf. Er wird sozusagen Militärgeistlicher. Drei Jahre lang, bis 1624, leitet er als Superior, die Lagermission des Ligaheeres in der Oberpfalz. 1624 geht er nach Dillingen und liest dort 1624 bis 1628 Kasuistik, 1629 bis 1630 Exegese.

Inzwischen hatte das Kriegsgeschehen den Süden Deutschlands erreicht, mit Gustav Adolf, dem „Löwen aus Mitternacht“ an der Spitze. 1632 zieht der schwedische König, die Heldenfigur der Protestanten, immer bedrohlicher heran. Als er sich anschickt den Lech zu überschreiten und Bayern zu erobern, stellt sich ihm der kaiserliche Oberkommandierende Johann T‘Serclaes Graf von Tilly entgegen. In der sechsstündigen Schlacht bei Rain am Lech am 15. April 1632 wird Tilly schwer verwundet. Eine Kugel zerschmettert ihm den rechten Oberschenkel Er wird eilends in die sichere Stadt Ingolstadt gebracht und im Haus des Universitätsprofessors Arnold von Rath einquartiert – direkt neben dem Jesuitenkonvikt, quer über die Straße zum Eingangsportal der Heilig-Kreuz-Kirche. Tilly stirbt 73jährig am 30. April 1632 und wird in der Gruft dieser Kirche bestattet ( erst viele Jahre später wird man die sterblichen Überreste nach Altötting überführen). Der Sieg von Rain am Lech öffnet dem schwedischen Heer den Weg nach München. Zuvor allerdings scheitert Gustav Adolf mit dem Versuch, Ingolstadt einzunehmen. Es ist die einzige Stadt in Bayern, die der schwedische König nicht einnehmen kann. Und von der Eselsbastei aus schießt man ihm bei einem Erkundungsritt auch noch den Schimmel unter dem Leibe weg. Ansonsten wird Bayern Schwedens Beute. Am 16 .Mai 1632 rückt die erste schwedische Eskadron während des Sonntagsgottesdienstes in die bayerische Residenzstadt ein. Am folgenden Mittag reitet Gustav Adolf, von Ismaning kommend, durch das Isartor in München ein. Unterhändler waren ihm bis Freising entgegengekommen und hatten die Stadt von Plünderung und Brandschatzung freigekauft – für 300 000 Reichstaler ( die Hälfte etwa des schwedischen Jahressteueraufkommens). Tatsächlich halten sich die Eroberer an ihre Zusage. Der Schwede lässt allerdings Gemälde und Bücher zusammentragen und schickt sie nach Hause ( Darunter Gemälde aus dem Zyklus, zu dem Altdorfers Alexanderschlacht gehört.)

Am 7. Juni 1632 ziehen die Schweden wieder aus München ab. Da die Stadt nicht einmal ein Drittel der vereinbarten Kontribution zahlen konnte, werden 42 Geiseln als lebende Bürgschaft mitgeführt – 22 davon Geistliche, darunter Steborius.
Seiner prominenten Stellung als führenden katholischer Theologe, exponierter Taktgeber der Wissenschafts- und Universitätspolitik in Bayern wurde Steborius als geeignete Geisel
betrachtet.

Sie werden in das von Schweden besetzte Augsburg gebracht. Dort geloben diese „Schwedengeiseln“, sollten sie mit heiler Haut heimkehren, zu einer Marienkirche zu wallfahren. Kurz nach diesem Gelöbnis wird der Augsburger Stadtmaler Johann Kager mit der Erstellung einer prächtigen Votivtafel beauftragt. Nachdem die Schweden dann 1635 in Augsburg kapitulierten, konnten 36 der ursprünglich 42 Geiseln nach München zurückkehren. Es heißt: Vier waren an den Strapazen gestorben, ein Geistlicher war zum Luthertum übergetreten, ein weltlicher Gefangener war desertiert. Umgehend erfüllten die Verbliebenen ihr Gelübde und brachten die Votivtafel in die Kirche „Maria Ramersdorf“, die älteste Marienwallfahrtskirche im Münchner Raum. Bis zur Säkularisation waren die Wände dieser Marienkirche dicht an dicht gesäumt von Votivtafeln aller Maße, die von gläubig-dankbaren Menschen aus den unterschiedlichsten Epochen und den verschiedensten Gründen gestiftet worden waren. 1803 wurden sie alle abgenommen und verbrannt. Zeitgenössischen Berichten zufolge füllten diese Zeugnisse der Frömmigkeit ( ganz abgesehen von ihrem Wert als Kunstwerke und Schöpfungen der Volkskunst) fünf Wagenladungen. Nur drei große Votivtafeln aus dem Altarraum ( und ein kleineres Gemälde von 1693) überlebten diese Aktion, darunter die Votivgabe der „Schwedengeiseln“:

„Auf dem Bild knien unter der von Engeln umgebenen Gottesmutter mit dem Jesuskind im Arm 40 Geiseln ( nicht aber der Konvertit und nicht der Deserteur). Darunter sind die Namen, die Orden und Berufe aller 42 Geiseln aufgeführt“. Zwischen der zweigeteilten Namensnennung steht in Stein gemeißelt der Grund des Gelöbnisses einerseits als den Hintergrund für die Nachgeborenen erläuternde festhaltende Geschichtsschreibung und andererseits als persönliches Glaubensbekenntnis und öffentliche Danksagung gedacht. Es heißt:
„Siehe an o Mutter der Barmherzigkeit, der Welt Hoffnung, Beschützerin der Unschuldigen, aller Betrübten ,Nothelferin, deine verpflichteten Diener und Pflegekinder! Vierzig Geiseln fallen Dir zu Füßen die aus Erbarmniß deß leidigen Unterganges so der Churfl. Hauptstadt Gustavus Adolphus der Schweden König Ao. 1632 angedrohet, sich für das Vaterland aufgeopfert, die liebe Freiheit in die Schantz geschlagen in das Elend hinausgezogen und drei ganze Jahre weniger 2 Monate, als arme Gefangen damit ganz mühseelig verlaßen. Haben zu Augsburg, Doanauwörthund Nördlingen gleich als im Nothfall eingepfrengt, unzählbare Drangsaaalen ausgestanden, der dreifachen Ruthen Gottes als Pest Krieg und Hungersnoth stets unnterworffen,sind danach unter Deinen Mantel und Schutz hindurch komen. Du hast sie in Gefägnis und eisernen Banden gestärkt, in Hunger gespeist, in äußerster Gefahr ihre Hoffnung, in Verschmachtung ihre Beständigkeit aufgemuntert, in Verweilung menschlicher Hilfe ihnen Deine Hand geboten und die Schoos deiner Barmherzigkeit für die Freijung eingegeben. Scjhreiben es also Dir nach Gott einzig und allein zu , daß sie den Tod entronen und aus den ganzen Hauffen nur 4 veerlohren. Daß sie leben und athmen und des Vaterlandes wiederum ansichtig wurden, ist eine purre, lauttere Gnad von Dir. Ach erhalte sie bei so unverhofften Wohlstande, laße sie vor aller Welt aufstehen und bezeuge, daß in deinen Diensten und Gnaden Niemand verlohren werde.
Münchener Geiselschaft, Ehrenwerk und Uhrkund Anno 1635“.

Einer der großen großen Jesuiten-Literaten der Zeit, Jakob Balde, begrüßt ( am 3. April 1635) in Ingolstadt die Rückkehr der „Schwedengeiseln“ in einer stürmisch bewegten hymnischen Rede. Kein Wunder: Er lehrt in Ingolstadt, und Steborius hat hier seine akademische Heimat.
Balde war 1623 nach Ingolstadt gekommen, hatte dann eine jesuitische Laufbahn eingeschlagen und war 1630 zum Studium der Theologie nach Ingolstadt zurückgekehrt. Hier erlebte er das bedrohliche Vordingen der Schweden, die Belagerung, den Tod Tillys ( der ihn zu seinem rhapsodischen Werk „ Tilly parentalia“ inspirierte). Er war für die Ereignisse des Dreißigjährigen Krieges aus Ingolstädter Perspektive ein erstrangiger Zeitzeuge und lehrte ab 1635 und bis 1637 mit großem Erfolg als Professor für Rhetorik in Ingolstadt.

Steborius seinerseits geht 1635 nach Dillingen – unterrichtet Exegese und Kontroverstheologie. Er muß ein unglaublich starker Mensch gewesen sein. Er stirbt dort am 21. Dezember 1639. Nicht zuletzt auf Grund der in schwedischer Gefangenschaft erlittenen Repressalien verdankt er bei seinem Tod seinen heiligenmäßigen Ruf.

Steborius hinterließ ein umfangreiches Schrifttum aus allen theologischen Teildisziplinen ( so Faußner und Larsson-Folger im Biographischen Lexikon der LMU), die hinzufügen: „In seinen durchaus orthodox-aristotelischen Philosophiedisputationen lassen sich Ansätze einer Rezeption der von Galilei entwickelten Idee der instrumentellen Meßbarkeit physikalischer Phänomene erkennen“. Aus Ingolstädter Offizinen stammen seine „Universa aristotelica stagiritae philosophica“ (1613) und die „ Disputatio theologica de sancrosancta divianarum trinitate“ (1619).


Ein Nachtrag:
Eine Reihe durchaus ernst zu nehmender Historiker hat überlegt, ob mit dem vergeblichen Sturm auf die Festung Ingolstadt ( trotz des nachfolgenden Triumph-Marsches auf München) sich nicht schon das Kriegsglück Gustav Adolfs zuwenden begonnen hatte. Tatsächlich lebte er nur noch bis zum November 1632, ehe er in der blutigen Schlacht bei Lützen den Tod fand.
In Erinnerung wird bleiben, dass der alte Schwede beim Ritt auf München den - später legendären – Spruch tat, die Stadt gleiche einem goldenen Sattel auf einer dürren Mähre und beim Blick auf die erst wenige Jahre zuvor fertiggestellte Münchner Residenz bemerkte, „stünde der Bau auf Rädern, er wolle ihn nach Stockholm rollen“.
Ähnliche Sprüche wurden immer wieder berühmten Feldherrn zugeschrieben. Auffällig aber ist hier die Parallelität von Gustav Adolf und Napoleon. Der nämlich soll, als er die Kirche St. Anna in Wilnius sah, so berührt gewesen sein, „dass er sie am Liebsten auf seiner Handfläche nach Paris getragen hätte“.
Und wenn Gustav Adolf 1632 nach der Eroberung Münchens Werke des Altdorfer Zyklus (der Alexanderschlacht) nach Stockholm schickte, so sandte Napoleon nach der Einnahme der Stadt 1800 durch französische Revolutionstruppen 70 ausgewählte Gemälde nach Paris. Darunter die berühmte Altdorfersche Alexanderschlacht. Er ließ sie in seinem Badezimmer aufhängen.