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Kulturwut
Von der Zähmung der Ingolstädter Donaulandschaft

Ausstellung im Bauerngerätemuseum Ingolstadt-Hundszell, 05.05. bis 31.10.2000.
Aus Anlaß der 750-Jahrfeier der Stadt Ingolstadt wird in Hundszell die aufregende Kultur-Geschichte der Auenlandschaft zwischen Donau und Sandrach erzählt.
Im Mittelpunkt steht die „Kulturwut“ des 19. Jahrhunderts, die das Gesicht dieser Landschaft nachhaltig bis in die Gegenwart geprägt hat.


Zille. Foto: Stadtmuseum
Als zu Beginn des 19. Jahrhunderts Ingolstadt mit dem Abzug der Unversität und der Schleifung der Festung zwei so schwere Schläge hatte hinnehmen müssen, als in der Folge die Bevölkerungszahl dramatisch gesunken war und das wirtschaftliche Leben der Stadt darniederlag, damals versank die Bevölkerung der Donaustadt, glaubt man den Berichten vieler Ingolstadt-Reisender, geradezu in eine ökonomische und kulturelle Apathie.

Demgegenüber erinnert der spätere Stadtkommissar Gerstner in seiner Chronik von 1852, die ersten Jahre und Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts hätten ein ausgesprochen „kulturlustiges" Ingolstadt gesehen. Die Demolierung der Festung 1800 habe eine regelrechte Kulturwut entfacht, "nach wenigen Monaten war der Schutt, der die Stadtmauern umgab, weggeräumt, und an die Stelle der Pallisaden ein üppiges Kornfeld oder ein blühendes Wiesenland getreten." Das Glacis wurde in Wiesen verwandelt, zum Theil mit Bäumen besetzt und am Ende „mehrere hundert Tagwerk fruchtbaren Landes der Kultur wieder gegeben."(S.333 und 338) Es war aber nicht allein der - nur vorübergehend - freigewordene Festungsgrund, der solchen Kultureifer auf sich zog. Der „Kultur" - im ursprünglichen und im frühen 19. Jahrhundert sehr modernen Wortsinne der Agri-Kultur - wurde in den nachfolgenden Jahrzehnten ein weit größeres Areal des Stadtgebietes unterworfen. Ein Areal, das heute große und noch immer dynamisch wachsende Wohnsiedlungen beheimatet, das von modernen Verkehrswegen durchschnitten ist, und das nur noch in kleinen Restbeständen an jenen Charakter einer Urlandschaft erinnert, der es bis 1800 noch weitgehend kennzeichnete.

Wer die alten Karten des Ingolstädter Burgfriedens betrachtet, erahnt noch das Wilde und Ungebändigte jener Landschaft, die sich zwischen heutigem Verlauf von Schutter und Donau nach Süden bis zur Sandrach als einem alten Hauptarm der Donau ausdehnte. Die Karten, selbst noch eher von malerischer Art und weit entfernt von der geometrischen Ordnung moderner Vermessungswerke, verraten, wie sehr die Donau mit ihrer ungebremsten Gewalt, mir ihren tausend Verästelungen, Nebenarmen und Altwassern diese Landschaft beherrscht hat, welch großer Teil dieser Fläche entweder ständig von Wasser bedeckt war oder doch von den alljährlichen Überschwemmungen betroffen war.

Nur wenige Siedlungsinseln hatten sich in dieser „bewegten", weil ständigen Veränderungen unterworfenen Auenlandschaft dauerhaft behaupten können. Neben den auf Viehhaltung spezialisierten Einzelhöfen der Schwaigen waren dies die sieben „verbürgerten", von jeher zu Ingolstadt gehörigen Audörfer Haunwöhr, Hundszell, Unsernherrn, Kothau, Rotenturm, Mailing und Feldkirchen. Doch auch deren, nur wenig über das Auen-Niveau herausragendes Siedelland war von den großen Hochwassern massiv betroffen.
Mochten die Bauern mit dieser Gefahr als gottgegeben und unabänderlich leben müssen, für Stadt und Festung war die Auseinandersetzung mit dem ungebändigten Fluß eine stete bauliche Herausforderung. Vor allem ging es darum, den Hauptstrom bei der Stadt zu halten, um die Südflanke der Festung zu sichern und den Verkehrsweg gangbar und für die Stadt profitabel zu erhalten. Unter diesen Zielsetzungen waren immer wieder kleinere und größere wasserbauliche Maßnahmen notwendig geworden.

Bei den um 1800 einsetzenden Kulturmaßnahmen aber verschaffte sich eine neue Idee Raum. Hier ging es nicht um die Stadt und den Fluß, es ging um das Land. Den Aufklärern des Merkantilismus und mehr noch des Liberalismus, der die Verwaltung des neuen bayerischen Staates nun ganz dominierte, galt alles „unkultivierte" Land als Verschwendung und Zeichen einer rückständigen Landwirtschaft. In der Nutzbarmachung solchen Ödlandes und der Umwandlung bisher nur extensiv genutzten Weidelandes in Äcker und Wiesen sahen sie einen zentralen Ansatzpunkt für die notwendige Steigerung der landwirtschaftlichen Produktion zur Ernährung einer wachsenden Bevölkerung.

Die „Verteilung der Gemeindegründe" war daher ein wichtiges Ziel der 1799 eingesetzten Generallandesdirektion. Innerhalb weniger Jahre wurden in ganz Bayern mehrere hunderttausend Tagwerk bisherigen Gemeindelandes, Wald und Weideland, vermessen, parzelliert und an die Gemeindemitglieder zur individuellen Nutzung verteilt - ein Privatisierungsvorgang, wie er in Bayerns Wirtschaftsgeschichte seinesgleichen sucht.
In wenigen Gemeinden aber dürfte dieser Einschnitt so gravierend gewesen sein wie in Ingolstadt. Die natürliche Lage der Donaustadt hatte es mit sich gebracht, daß hier eine besonders ausgedehnte Allmendflur existierte. Neben dem großen bei Stammham gelegenen „Neuhau" war dies eben jene Auen- und Schüttenlandschaft, die den südlichen Teil des Burgfriedens beherrschte. Genutzt wurde dieses Gebiet bis dahin fast nur als Viehweide. Das Vieh der Stadtbauern wie auch das der Audörfer fand hier im Sommerhalbjahr sein hauptsächliches Futter.

Ausstellung. Foto: Stadtmuseum
Die Verteilung dieses Gemeindelandes war ein riesiges Unternehmen, das tief in die alte Agrarverfassung wie auch die landwirtschaftliche Praxis einschnitt. Trotz der großen praktischen und rechtlichen Probleme gelang es innerhalb weniger Jahre, zwischen 1801 und 1805, einen großen Teil des Verteilungswerkes umzusetzen. Die praktischen Probleme lagen darin, daß dieses vielgliedrige Gebiet von Grund auf neu vermessen und in möglichst gleichwertige Parzellen aufgeteilt werden mußte. Gravierender aber waren die rechtlichen Aspekte.
Die Münchener Kulturbehörde verband mit der Verteilung das Ziel, die unproduktive Weidewirtschaft durch die von den Agraraufklärern geforderte ganzjährige Stallfütterung zu verdrängen. Das verteilte Land wurde daher strikt von jeder Gemeinschaftsweide befreit. Vor Ort aber war eine so rasche Umstellung oft gar nicht möglich sondern allenfalls eine allmähliche Reduzierung der jährlichen Weidedauer. Es kam daher vielerorts zum Widerstand der Bauern, so auch in Ingolstadt. Im Jahr 1804 eskalierte der Konflikt so weit, daß „in jedes Dorf zwei Mann (...) zur militäri. Execution eingelegt" wurden, um die Einhaltung des Weideverbotes durchzusetzen.

Nicht zuletzt solche Auseinandersetzungen sowie die spürbaren Nachteile für die Viehwirtschaft führten in der Weidefrage bald zu einer pragmatischeren Politik der Staatsverwaltung. Von längerer, durchaus positiver Wirkung war ein anderer Aspekt der Verteilung. Gegen den erbitterten Widerstand der eigentlichen Bauern und der größeren Grundbesitzer - in Ingolstadt vor allem Bierbrauer und Wirte - hatte die Landesdirektion eine „gleichheitliche" Verteilung durchgesetzt. Dies hieß in Ingolstadt, daß jeder vollberechtigte Bürger - angefangen vom Brauereibesitzer bis hinunter zum Taglöhner - aus den sechs, nach ihrer Beschafffenheit unterschiedenen „Abteilungen" je eine Parzelle zugelost bekam. Die Bürger der Audörfer waren analog beteiligt.
Im Ergebnis bedeutete dies nichts weniger als eine Bodenumverteilung großen Maßstabs. Insgesamt erhielt jeder Vollberechtigte rund 10 Tagwerk Land. Machte dies für die Größerbegüterten einen einen relativ kleinen Zuwachs aus, so bedeutete es für Hunderte anderer eine namhafte Vergrößerung ihres Grundbesitzes oder überhaupt erst die Grundlage, eine eigene kleine Landwirtschaft zu betreiben. Gerade in den wirtschaftlich so schweren Jahrzehnten nach dem Verlust von Universität und Festung schuf dies vielen die Möglichkeit, sich wenigstens einen Teil der Nahrung auf dem Subsistenzwege zu sichern.
Entsprechend groß war der Einsatz, mit dem die neuen Besitzer ihre Grundstücke kultivierten. Die statistischen Zahlen sprechen dafür, daß innerhalb weniger Jahre hunderte Tagwerk in Gärten, Äcker und insbesondere Wiesen umgewandelt wurden.

Ausstellung. Foto: Stadtmuseum
Zugleich schuf die Privatisierung so großer Landstriche die Voraussetzung für die Entstehung neuer Siedlungen. Der „Kulturwut" jener Zeit verdankt Bayern seine letzte große Siedlungswelle. Vor den Toren Ingolstadts lag - in staatlicher Regie und noch im ausgehenden 18. Jahrhundert kultiviert - das Donaumoos als markantes Beispiel vor Augen. Aus dem gleichen Geist heraus, wenn auch in privater Initiative und im kleinen Maßstab, entstanden nun, neben dem nördlich der Donau gegründeten Friedrichshofen, in den verteilten Ingolstädter Auen die Kolonien Knoglersfreude und Brunnenreuth. Freilich hatten die Kolonisten schwer an der Lage ihres Siedellandes zu tragen. Immer wieder waren sie von verheerenden Hochwassern heimgesucht, waren ihre Behausungen zerstört, die in jahrelanger Arbeit durch Rodung und Entwässerung gewonnenen Äcker und Wiesen weggerissen, Saaten oder reife Felder zunichte gemacht. Der Fluß ließ manchen Siedler verzweifeln, auch wenn er, als „Ausgleich" für seine Verwüstungen, an anderer Stelle fruchtbare Anschwemmungen hinterließ.

Den wesentlichen Schritt zur Sicherung der kultivierten Gründe brachte die großräumige Flußregulierung im Zuge des Festungsbaues. Gestützt auf die neuen technischen Möglichkeiten und die finanzielle Ausstattung eines königlichen Prestigeprojektes gelang den Ingenieuren des 19. Jahrhunderts, wozu ihre Vorgänger nicht in der Lage gewesen waren: die Donau endgültig in ein schmales einarmiges Bett zu zwingen. Zwar vermochte der Fluß sich gelegentlich noch daraus zu befreien und wie eh und je weite Landstriche unter Wasser zu setzen. Doch bei normalem Wasserstand war das Rinnsal von seinen zahlreichen Armen und Verästelungen abgeschnitten. Aus Nebenarmen wurden Altwasser und Lohen, die zu verlanden begannen.

Die Festungsbauten selbst griffen nur wenig in das alte Auenland ein. Die Gebäude am Brückenkopf stehen „auf dem Plan", einer von jeher aus den Auen herausragenden Wiesenfläche. Dennoch spielte die Festung eine Rolle, als es - nach Allmendverteilung und Flußkorrektion - zur dritten entscheidenden Phase der Auenkultivierung kam. Militärische Überlegungen führten dazu, daß die seit 1867 über Ingolstadt geführten Eisenbahnlinien ihren Zentralbahnhof weit außerhalb der Stadt inmitten der alten Auenlandschaft erhielten. Nicht nur das Bahnhofsgelände selbst gründete auf einer gewaltigen Aufschüttung, auch die Bahndämme mußten hochwassersicher gelegt werden. Insbesondere der Damm der entlang der Donau laufenden Bahnlinie nach Neuburg wurde damit selbst zu einem Hochwasserdamm. Für die südlich davon gelegenen Gebiete wurde dieser Damm der erste wirksame Hochwasserschutz - und ist es bis heute geblieben. Nicht nur die Kolonisten und das neu gewonnene Kulturland war dahinter sicher. Auch für ein Wachsen der alten Audörfer über die alten Siedlungskerne hinaus war nun die Bedingung geschaffen.

Ausstellung. Foto: Stadtmuseum
Auf der anderen Seite brachte die Eisenbahn die Menschen nach Ingolstadt, die in der alten Au ihre Heimat suchten. Das Bebauung der Münchener Straße und das rasante Wachstum von Unsernherrn findet hier seine Ursache. Die in kürzester Zeit entstandene Siedlung der Eisenbahner hinter dem Bahnhofsgelände wurde 1896 ein eigener Ortsteil. Seinen Namen leitet er von der alten Flurbezeichnung „Ringsee“ ab.

Sicher vor der Donau und befreit von den Rayongesetzen entwickelte sich die alte Auen- und Schüttenlandschaft spätestens seit dem Ersten Weltkrieg zu einem bevorzugten Siedlungsgebiet. Die Dynamik der Bebauung verstärkte sich mit der wirtschaftlichen Blüte der Stadt nach 1945. An vielen Stellen sind die alten „Audörfer" zusammengewachsen. Die alten Siedlungskerne sind kaum mehr wahrzunehmen.
Großflächiger Kiesabbau und die Errichtung der Donau-Staustufe führten zu einer weiteren Verengung des Auengürtels im Westen und im Osten der Stadt. Die aus diesen modernen Kulturmaßnahmen hervorgegangenen Seen haben sich zu Anziehungspunkten der städtischen Naherholung entwickelt. Von der alten Urlandschaft, die um 1800 noch große Teile des Ingolstädter Burgfriedens bedeckte, sind nur kleine Reste übriggeblieben. Die Notwendigkeit ihrer Erhaltung ist heute unumstritten. 200 Jahre nach der Entfachung der „Kulturwut“ kann Ingolstadt bei der EXPO 2000 mit dem Schutz des Auwaldes und der Renaturierung verlandeter Lohen werben.

Dr. Maximilian Böhm, Stadtmuseum Ingolstadt


Siehe auch: Karten in der Ausstellung


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