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Beatrix Schönewald:
Die Schedelsche Weltchronik
3. Schedelsche Chronik

 
Das Unternehmen Weltchronik umfaßt eine Reihe von Superlativen, die es bis heute zu einem der populärsten Werke des ausgehenden 15. Jahrhunderts erhoben:
  • Es ist das am reichsten bebilderte Buch mit seinen 1809 Holzschnitten, gedruckt von 645 Holzstöcken
  • Es zählt damit zu den bilderreichsten Werken aus der Frühzeit des Buchdruckes in Deutschland, wenn nicht gar im gesamten Abendland. Es gehört damit zu den Höhepunkten der Buchillustration des 15. Jahrhunderts. Die Verschmelzung von Text und illustrierender Bilder setzte im Zeitalter der Inkunabeln neue Maßstäbe.
  • Es wurde von einem Kollegium geschaffen, dessen hochkarätige Zusammensetzung ein ausgesprochener Glücksfall war: vom damals bedeutendsten Drucker der Zeit, Anton Koberger, von der größten Malerwerkstatt in Nürnberg, in der zur selben Zeit Albrecht Dürer seine Lehre beendete, und von dem Arzt und Humanisten Hartmann Schedel, der die größte Privatbibliothek der Stadt besaß, die als Grundlage für die Weltchronik herangezogen wurde:

a. Die Verträge - das Unternehmen Weltchronik

Zwischen 29. Dezember 1491 und 22. Juni 1509 wurden mehrere Verträge geschlossen, um das Unternehmen Weltchronik nach allen Richtungen finanziell und ideell abzusichern. Dies war um so notwendiger, als die Vorfinanzierung eine erhebliche und die Gefahr des Raubdruckes groß war. Die Vertragstexte bieten einen seltenen Einblick in eine umfangreiche Verlagsunternehmung des 15. Jahrhunderts. Unerwähnt bleibt darin der Autor der Weltchronik, der keinen Gelderwerb zu erwarten hatte, wie es auch heute noch für wissenschaftliche Arbeiten üblich ist.

Involviert sind die Geldgeber und die Ausführenden: Sebald Schreyer und sein Schwager Sebastian Kammermeister bzw. deren Erben auf der einen und die Künstler Michael Wolgemut und Wilhelm Pleydenwurff bzw. deren Erben auf der anderen Seite. Die Künstler verpflichten sich u.a. zur Geheimhaltung und werden für Raubdrucke haftbar gemacht. Die Geldgeber bezahlen für die Holzschnitte 1000 Rh. Gulden in bar und im voraus als zinsloses Darlehen. Schreyer und Kammermeister verpflichten sich, den Vertrieb zu übernehmen. Aus dem Verkaufserlös errechnet sich dann abzüglich der Auslagen der Gewinn, der zu gleichen Teilen den beiden Vertragspartnern zugute kommt.

Ein weiterer Vertrag wurde zwischen Schreyer, Kammermeister, Pleydenwurff und Wolgemut auf der einen und dem Drucker Anton Koberger auf der anderen Seite geschlossen. Koberger betätigt sich dabei nicht als Verleger, sondern lediglich als Drucker. Er kann sich zu sehr guten finanziellen Konditionen aus dem Verlagsrisiko heraushalten und läßt sich pro gedruckter Lage bezahlen, inclusive verdorbener Seiten. Auch in diesem Vertrag werden die Sicherheitsvorkehrungen sehr detailliert festgelegt: in einem besonders verriegeltem Gemach, jeder Drucker muß untersucht werden, ob er nichts heimlich mit nach Hause nimmt. Alles Material, auch die verdruckten Seiten und die Druckstöcke mußten an Schreyer und Kammermeister ausgehändigt werden.

1493 regeln Schreyer und Konrad Celtis die Textrevision einer eventuellen zweiten Auflage der lateinischen Ausgabe. Dies deutet auf einen anfänglich guten Verkaufserfolg hin. Celtis sollte für seine Mühe 200 Rheinische Gulden bekommen, darüber hinaus freie Kost und Logis im Hause Schreyer. Celtis mußte sich ebenfalls zur Geheimhaltung verpflichten. Schedel als der eigentliche Autor wurde in diese weitreichenden Veränderungen nicht einbezogen. Die zweite Fassung ist allerdings nicht zustande gekommen.

Verkauft wurden in erster Linie nicht kolorierte Exemplare, einige wenige kolorierte. Ferner konnte die Chronik in gebundener Form sowie in losen Blätter bezogen werden (Ausstellung). Aus den Abrechnungen geht hervor, daß Umsätze in Florenz, Mailand, Genua, Paris, Lyon, Grasse (Hinweis von Herrn Koller), Prag oder Krakau, aber auch in der näheren Umgebung Nürnbergs wie Augsburg, Eichstätt, Ingolstadt und München verkauft wurde. Der Preis läßt sich nicht eindeutig festlegen. Für ein nicht koloriertes, nicht gebundenes Exemplar mußte man ca. 2 Gulden bezahlen, für ein koloriertes ca. 6 Gulden. Ein Nachweis eines Kaufpreises ist allerdings aus London überliefert: Im 11. Jahr der Regierung König Heinrichs VII. wurden 66 Schilling 8 Pence dafür bezahlt. Der Gegenwert wären 5 ½ Schlachtochsen!

b. Inhalt bzw. Aufbau

"Eine kurze beschreybung des wercks der sechs tag von dem geschöpf der werlt." Schedel leitet seine Weltchronik mit einer Vorrede ein, die auf die Genesis Bezug nimmt. Der Titelholzschnitt zeigt Gottvater auf dem himmlischen Thron, die Hand zum Segen erhoben, das Werk quasi segnend und betonend, daß es vom Standpunkt der christlichen Heilslehre aus geschaffen wurde.

Im Anschluß an die Genesis folgt die Beschreibung der sieben Weltalter gemäß den sieben Wochentagen der Schöpfung: Das

  1. Weltalter schildert das Paradies, die Erschaffung Evas, Sündenfall und die Vertreibung aus dem Paradies. Dargestellt wird auch die "Linea Christi" als Wurzel Jesse.

  2. Weltalter thematisiert den Bau der Arche und führt hin zur Zerstörung von Sodom und Gomorrha. Die Weltkarte wurde nach den Vorgaben des Ptolemäus mit den drei damals bekannten Erdteilen gedruckt. Es bleibt offen, ob die Erde eine runde Scheibe oder eine Kugel ist. Die erste der berühmten Stadtansichten stellt Jerusalem dar als die vornehmste aller Städte. Der Turmbau zu Babel gehört ebenfalls zum 2. Weltalter. Bekannte Inseln, die Beschreibung des Amazonenreiches sowie die Entstehung des Adels folgen. Die Städteansicht von der Stadt der Amazonen und von Ninive beschließt den Abschnitt.

  3. Weltalter setzt mit Abraham ein, der ebenfalls der "Lineas" angehört, dann Moses, Joseph und König Saul. Dazwischen gestreut sind wieder geographische Beschreibungen von Ländern wie Syrien, Spanien, Böhmen oder des Zweistromlandes. Griechische Geschichte und Mythologie finden breiten Raum in der Chronik, darunter vor allem die Geschehnisse um Troja. Im 3. Weltalter zeigt Schedel die Städteansichten von Paris, Mainz, Venedig und Padua, die nach seinem Urteil Gründungen der Trojaner sind.

    Die Trennung zwischen heiligen und weltlichen Themen ist im historischen Teil kaum erkennbar, ebensowenig wird historische Genauigkeit im graphischen Bereich vorgenommen: griechische Götter oder Heilige tragen die Mode des späten Mittelalters. Die Prophezeiungen der Sybille über das Kommen des göttlichen Kindes sind in Wort und Bild dargestellt.

  4. Weltalter beschreibt die Geschichte von den Königen David und Salomo und die Zerstörung der Stadt Jerusalem. Thema dieses Abschnittes ist auch die Geschichte des Römischen Reiches. Städtebeschreibungen und Porträts antiker Dichter und Philosophen bestimmen den graphischen Teil immer mehr.

  5. Weltalter geht bis zur babylonischen Gefangenschaft der Juden und zur Enthauptung Johannes des Täufers. Der Tempel in Jerusalem wird neu errichtet. Eingehend berichtet die Chronik von den Feldzügen Alexanders des Großen.

  6. Weltalter führt vom Leben und der Passion Christi zum 15. Jahrhundert, der Gegenwart des Autors und ist das umfangreichste Kapitel der Chronik. Apostelgeschichte, Kaiser- und Papstgeschichte (gleich wertend), Heiligenlegenden, die Geschichte großer Mönchsorden und astronomische/astrologische Ereignisse bzw. Wunderlichkeiten, um nur einige Stichpunkte zu nennen. Wieder finden sich Städteansichten in der Chronologie ihrer Gründung: Regensburg, Wien, Nürnberg etc. Reichsrechtlich interessant ist die Darstellung der Ordnung des Reichsregimentes: auf 11 Säulen ruhend, jede aus vier Vertretern der Stände bestehend: Kurfürsten, Fürsten, Prälaten, Städte und Märkte. Die rechtliche Basis des Reichsregimentes, die Goldene Bulle, wird - da in Nürnberg erlassen - entsprechend ausführlich behandelt.

    Humanistisches Gedankengut floß vor allem in die Biographien italienischer und deutscher Gelehrter mit ein: Laurentius de Valle, Guarinus von Bern etc.

    Mit einem Lebensbild des späteren Kaisers Maximilian I. endet die Chronik des 6. Weltalters. In der lateinischen Ausgabe findet sich an dieser Stelle der Hinweis auf das Datum der Fertigstellung: 10. Juni 1493.

  7. Weltalter setzt den christlichen Leitfaden der Weltchronik fort, auf das Ende der Welt als letztes Weltalter verweisend. Die Frage der Vergänglichkeit der Welt nimmt die Gedanken der Vorrede wieder auf und wird im Sinne der Kirchenväter beantwortet. Das Auftreten des Antichrist als Verkünder der falschen Lehre wird in der graphischen Gestaltung dramatisch von Gott gestürzt. Einer der eindrucksvollsten Holzschnitte von Wolgemut thematisiert die Auferstehung der Toten: Über den geöffneten Gräbern tanzen Gerippe zum Klange der Schalmei einen Freudentanz. Die Darstellung des Jüngsten Gerichtes steht für das Ende der Welt und für den Beginn der Ewigkeit.

In der deutschen wie der lateinischen Ausgabe findet sich nach der Beschreibung des 7. Weltalters der Nachtrag an Städteansichten und Beschreibungen, die erst nach "Redaktionsschluß" eingetroffen waren: Krakau, Lübeck, Neisse (Schlesien). In Anlehnung an Piccolomini wird hier der Versuch unternommen, einen Überblick über alle europäischen Länder zu vermitteln. Bei der Aufzählung der einzelnen Regionen hat Enea Silvio Piccolomini - darauf wird eigens verwiesen - Schwaben vergessen. Die portugiesische Seefahrt wird ebenfalls erwähnt: diesen Beitrag hatte allerdings Hieronymus Münzer verfaßt, der zusammen mit Hartmann Schedel Martin Behaim behilflich war, als er seinen Globus erstellte.

Zum Schluß der Weltchronik befindet sich eine Karte, die als erste gedruckte Deutschlandkarte bezeichnet wird, aber in der Darstellung nicht nur das Deutsche Reich umfaßt, sondern weit ausgreift in den europäischen Kontinent bis hinunter nach Konstantinopel.

c. Die Weltchronik als literarischer Typus

Bischof Eusebios von Cäsarea verfaßte bereits im 4. Jahrhundert eine Weltchronik, eingeteilt in sechs Weltalter und wurde Vorbild für die Periodeneinteilung des historischen Wissens in sechs Abschnitte, die auch Augustinus übernimmt. Die Weltgeschichte des Orosius aus dem 5. Jahrhundert, eines der Schlüsselwerke der mittelalterlichen Geschichtsschreibung, wählte stattdessen die Gliederung in vier Weltreiche nach dem Buch Daniel des Alten Testamentes.

In dieser Tradition stehen die mittelalterlichen Chroniken. Die bedeutendsten sind Bischofs Otto von Freising (1111/15 1158) "Chronica sive Historia de duabus civitatibus" und Ruldofs von Ems mit dem Titel "Weltchronik" (um 1200 1254), die erste Weltgeschichtsdichtung in deutscher Sprache.

Im Laufe der Zeit wurden die Chroniken immer häufiger mit geographischen bzw. topographischen Berichten erweitert. Ein eindrucksvolles Beispiel dafür ist der "Fasiculus temporum omnes antiquorum chronicas complectens" des Kölner Kartäusers Werner Rovelinck. Es wurde aus heutiger Sicht gesehen ein Beststeller mit 33 Auflagen und Übersetzungen ins Lateinische, Französische und Flämische. Man kann davon ausgehen, daß der Rovelinck den europäischen Gelehrten ein Begriff war und dem Nürnberger Kreis um Schedel als Vorbild diente, ein ähnliches Unternehmen in Angriff zu nehmen.

Das Werk Hartmann Schedels, so die philologischen Untersuchungen, ist eine Kompilation aus vielen Quellen, wobei zur Zeit Schedels die Vorstellung von Originalität oder geistigem Eigentum fehlte. Schedels Verdienst war die Auswahl der Texte und ihre Anordnung. Der Aufbau der Chronik spiegelt die Ideen der frühen Humanisten wieder: in der christlichen Auffassung verhaftet und dennoch mit antiker Dichtung und Denkweise vertraut.

 

Dank an die Edition Libri Illustri, Ludwigsburg, vor allem an Herrn Teicher, der im Anschluß vor allem auf die Faksimilierung eingehen wird, mein Dank gilt Herrn Dittmar und Herrn Kornprobst als Organisatoren, Frau Ernst als Bibliothekarin und den Mitarbeitern des Kavalier Hepp, insbesondere der eingeschworenen Ausstellungsmannschaft rund um die Museumsaufseher.

Literatur:
Graphiksammlung des Humanisten Hartmann Schedel, Katalog der Ausstellung der Bayerischen Staatsbibliothek, bearb. v. Béatrice Hernad, München 1990

Text der Eröffnungsansprache von Frau Dr. Beatrix Schönewald
zur Ausstellung "500 Jahre Weltchronik des Dr. Hartmann Schedel"
Ingolstadt 1996

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