Logo Kurt Scheuerer, Ingolstadt Wissensspeicher zur Geschichte von Ingolstadt  
Karl Batz:
Frömmigkeit und religiöses Brauchtum
Ein Beitrag zur Ausstellung: Die Jesuiten in Ingolstadt

 

caritatives Wirken

Zum Frömmigkeitsverständnis der Jesuiten gehörte neben religiöser Selbstverwirklichung (Gebet, Betrachtung, Exerzitien) weithin auch Raum für caritatives Wirken. Die mit einer Betonung seelsorgerischer Betätigung einhergehende intellektuelle Gesamtausrichtung der Societas hinderte die Patres nicht, auch zahlreiche Werke christlicher Barmherzigkeit zu leisten. Neben Armen und Verlassenen waren besonders die Kranken (Pest) Ziel ihrer Hilfe. Dies wirkte vorbildhaft auch auf die Angehörigen der Kongregationen, deren geistige Väter die Jesuiten bis zur Aufhebung des Ordens darstellten.

caritatives Wirken der Sodalen

So berichtete die Ingolstädter akademische Kongregation im Jahre 1613 an die Regensburger Sodalität: »viele Almosen werden gegeben; einige lassen Speisen direkt vom Tisch zu Armen und Kranken bringen; andere sammeln arme Fremdlinge abends auf der Straße und gewähren ihnen im eigenen Hause ein Nachtherberge; andere bedienen die Kranken wie die letzten Diener und erweisen ihnen auch die niedrigsten Dienste; andere stehen den Sterbenden bei und sorgen für den Empfang der heiligen Sakramente; andere bemühen sich um Beilegung von eingerosteten Feindschaften zwischen Geschwistern und Eheleuten; andere unterrichten die Jugend und das unwissende Volk im Glauben. Einer mischt sich an den Festtagen in die Bauernhaufen, bricht die unsaubern Reden ab und erzählt dafür erbauliche und interessante Geschichten. Ein anderer Sodale kaufte alle schmutzigen Bilder, die irgendwo heimlich im Verkauf ausgeboten wurden, verbrannte sie und veranlaßte dazu auch diejenigen, die bereits von den Bildern gekauft hatten«. (B. Duhr, Bd. 2/2, S. 109.)
Auch die Bürgerkongregation widmete sich ausgiebig - vor allem in Notzeiten wie während des 30jährigen Krieges - caritativen Tätigkeiten. Im Summarum de variis rebus Collegii Ingolstadiensis wird eigens hervorgehoben, daß man »in Liebe wetteiferte - als die Pest wütete - die Toten hinauszutragen und sie beizusetzen. Weiterhin fehlten nicht wertvolle Beispiele der Hilfe für Todgeweihte, durch welche man sich auszeichnete. Jeder schien sich von seinem Patron unterstützt zu sehen. Einer hatte im Todeskampf den hl. Xaverius, den er innig verehrte, angefleht und spürte mit großer Freude dessen Hilfe«.
Der Heilige Franz Xaver galt neben dem heiligen Ignatius von Loyola unter den jesuitischen Heiligen als der in breiten Bevölkerungsschichten am meisten verehrte. Auch die Rolle des heiligen Joseph als Schutzpatron im katholischen religiösen Brauchtum vornehmlich in Bayern geht teilweise auf die Jesuiten zurück. Die Vorliebe für die Vornamen Ignatz, Franz Xaver oder Joseph belegen dies. (Katalog: Die Jesuiten in Bayern, München 1991, S. 160.)

Ignatiuswasser

Die volkstümliche Glaubensvorstellung maß denn auch Andachtsbildern, Reliquien oder Amuletten dieser Heiligen besondere Kräfte zu, wie dem Ignatiuswasser oder den Xaveriflascherln. In Ingolstadt vertraute man offenbar besonders dem Ignatiuswasser, das in vielen Situationen Hilfe bringen sollte: bei Krankheit, Geburt, Viehseuche, bösen Geistern (Wilczek, Übersetzung, SS. 369, 408, 459, 461.). Ähnliche Bedeutung maß man dem hl. Ignatius geweihtem Öl sowie entsprechenden Andachtsbildern zu.
Wegen des Glaubens an ihre Wunderkraft spielten Reliquien immer wieder eine große Rolle für die Menschen. Auch die Jesuiten pflegten - besonders seit der Gegenreformation - eine bildhafte Präsentation von Reliquien. Die Inventare der Bürgerkongregation weisen dies auch für Ingolstadt deutlich aus.

Heiligenverehrung

Die Heiligenverehrung, in der katholischen Kirche ohnehin gefördert, erfuhr durch die Jesuiten eine besondere Ausprägung durch die von Franz Borgia eingeführte Sitte, bei Ordensbrüdern und Auswärtigen am Anfang eines Monats die Heiligen des betreffenden Monats mittels Zettel, die den Namen sowie eine diesem Heiligen besonders entsprechende Tugendübung enthielten, zu verteilen. 1556 wird dies bereits für Ingolstadt erwähnt.
1563 verordnete P. Nadel, daß eine markige »Sentenz und die Gebetsmeinung für eine bestimmte Sache den Monatsheiligen beizufügen sei« (B. Duhr, Bd. 2/2, S. 98.). Diese Sitte fand bald auch Eingang in die Kongregationen.

Theater, Prozessionen, Krippen, Lebende Bilder

Die Bedürfnisse der Menschen nach sinnenhafter Ausgestaltung ihrer Glaubenswelt entsprach ganz den religiösen Intentionen des Jesuitenordens: Theater, Prozessionen, Krippen, Heiliges Grab kamen besonders der barocken Frömigkeitshaltung nahe. Zur Veranschaulichung des in Predigt und Katechese Gehörten wählten die Jesuiten die verschiedensten Mittel zur Konkretisierung und Verleiblichung von Glaubensinhalten, die in volksfrommen Liturgieausformungen des 17. Jahrhunderts einen Höhepunkt erreichten und weit ins 18. Jahrhundert hineinklangen.
Ab dem 16. Jahrhundert entstanden - gefördert vor allem durch die Jesuiten - große Krippen, die zunächst in den Kirchen des Ordens, dann in Pfarrkirchen und Privathäusern Verbreitung fanden. Auch in Ingolstadt reichen diesbezüglich Belege ins späte 16. Jh. zurück. Zu Höhepunkten paraliturgischer Ausformungen sind unzweifelhaft die zunächst von den Jesuiten inszenierten »Lebenden Bilder« mit Szenen des Passionsgeschehens zu rechnen, z.B. Einzug Jesu in Jerusalem (»Palmesel«; 1595 erwähnt), Ölbergszene und Kreuzigung.

Heiliges Grab

Die Verehrung des Heiligen Grabes behielt später - auch in den meisten Pfarrkirchen - weit in das 20. Jh. hineinreichende Tradition. Diese Heiligen Gräber waren bühnenartig mit Kulissen gestaltet und mit Wasserkugeln, Spiegelgläsern und anderem Zierat versehen, Heiliggrabbesuche galten als verbindliches familiäres Brauchtum. In den Städten wurden zumeist mehrere Kirchen, in denen ein Heiliges Grab aufgerichtet war, nacheinander besucht.
Die Chronik der Jesuiten in Ingolstadt berichtet aus dem Jahre 1578: »In den letzten Tagen der Fastenzeit haben wir in Ingolstadt das Grab Christi aufgerichtet. Es war nicht an Größe das umfangreichste, aber besonders geeignet, das Volk zur Frömmigkeit zu bewegen. So ist zu ihm an den ganzen zwei Tagen ein großer Zulauf von Bürgern und Studierenden gewesen.« Die Heiliggrabverehrung war also sowohl am Karfreitag wie am Karsamstag üblich.
Offensichtlich prozessionsartig organisiert war der Grabbesuch 1594: »Besonders am Freitag der hochheiligen Woche besuchten Knaben und Mädchen das gewohnheitsmäßig errichtete Grab Christi und kamen mit bestimmten Sinnbildern dahergezogen. Dieselben schmückten sich an jenem Jahrestag, an dem der Leib Christi herumgetragen wird, zur Pracht als glücklich erlöste, unter anderen auch mit weißen Gewändern angetan.«
Auch die Bürgerkongregation ließ ein eigenes Heiliges Grab in ihrem Oratorium errichten, ein Entwurf aus dem Jahre 1667 kam in den Jahren 1668/69 zur Ausführung. Die aufwendigen Schreinerarbeiten lassen auf einen entsprechenden bühnenartigen Aufbau schließen, den Grabeschristus hatte der Ingolstädter Bildhauer Georg Maurer gefertigt. Gut ein halbes Jahrhundert später, 1728, wurden neue Kulissenaufbauten in Auftrag gegeben, die notwendigen Ausmalungen wurden durch den »akademischen« Maler Melchior Puchner durchgeführt.

Geißlerumzüge

Ein »Mittelding zwischen dramatisierter Leidensgeschichte und kirchlicher Prozession« (R. Bauerreis: Kirchengeschichte Bayerns, Bd. VII, S. 290 f.) stellten die nächtlichen Geißlerumzüge während der Passionstage dar. Dieser weit ins Mittelalter zurückreichende Brauch erfuhr ab der Gegenreformation besonders unter dem Einfluß der Jesuiten eine Neublüte und begegnet in Ingolstadt über lange Jahrzehnte in ungemein ausgeprägter Weise.
Diese nächtlichen Bußprozessionen, bei denen »Geißler«, »Kreuzschlepper« oder »Ausgespannte« (mit ausgebreiteten Armen), zuweilen von Szenen aus der Heilsgeschichte unterbrochen, durch die Stadt zogen, verfehlten ihre Wirkung auf die Bevölkerung nicht. Die Teilnehmer trugen Kutten oder Kittel von gleicher Farbe.

Ein anschauliches Bild einer derartigen Prozession ist durch Jakob Gretser aus dem Jahre 1606 auf uns gekommen (B. Duhr, Bd. 2/2, S. 103 f.):
»An der Spitze trugen einige von den rotgekleideten Genossen der Fronleichnamsbruderschaft eine Darstellung des Blut schwitzenden Heilandes, die vorn und hinten von je vier Feuerpfannen begleitet war. Vor dem Bilde schritt ein Chor von je vier Knaben, die ein Kirchenlied sangen. Es folgte eine andere Statue, Christus an der Geißelsäule von Kriegsknechten zergeißelt. Sie war von einer Trauermusik begleitet. Darauf kamen einige von den Roten, die sich so scharf geißelten, daß Blut floß. Das dritte Bild stellte den dornengekrönten Christus dar. Das vierte Bild zeigte Pilatus, wie er Christus dem Volke zur Schau stellt. Die fünfte Darstellung war ein lebendes Bild, der kreuztragende Christus, den ein berittener Hauptmann mit Soldaten begleitete, während Maria und Johannes folgen. Damit schloß die Prozession der Roten.
An dies reihte sich unmittelbar die schwarzgekleidete Sodalität der allerseligsten Jungfrau mit einem Kreuz, das von vier Sodalen hocherhoben getragen wurde, und wobei je fünf als Engel gekleidete Jünglinge ein Klagelied sangen. Dem Kreuze folgte eine Anzahl Geißler, die mit stacheligen Geißeln ihren Rücken zerfleischten. Dann kam das Bild der allerseligsten Jungfrau mit ihrem entseelten Sohne auf dem Schoße. Wiederum sang ein Engelchor ein Klagelied. Hierauf folgte eine zweite Abteilung Geißler. Das dritte und letzte Bild stellte das Grab des Herrn dar, dem je vier Engel die Totenklage sangen. Diesen folgte die letzte Reihe der Geißler, die so unmenschlich sich peinigten, daß auf Befehl der Prozessionsleiter (moderatorum), ehe noch die Hälfte des Weges zurückgelegt war, ihre blutenden Rücken zugedeckt werden mußten, damit sie nicht weiter sich geißelten«.

Geißler in Ingolstadt

Der früheste Hinweis über Geißler in Ingolstadt findet sich bereits 1580 für die akademische Kongregation, danach mehren sich die Nachrichten, insbesondere ein starker Zulauf wird hervorgehoben.
Für das Jahr 1601 wird berichtet: Den Kreis der Jüngeren vergrößerten in diesem Jahr neue Sodalen auf einhundertundsechs, darunter zwei Grafen und drei Barone. Beständig waren sie dabei, ihr Fleisch zu kasteien, besonders in der Trauerzeit, als unser Erhalter Qualen litt. Die meisten haben sich während des ganzen Gesanges des fünfzigsten Psalms geschlagen, in festlichem Aufzug, als die traurigste Nacht der vierzigtägigen Zeit kam, wüteten sie mit Geißeln gegen sich selbst. Sehr viele schritten mit ausgebreiteten Armen, beladen mit der Last des Kreuzes auf den Schultern daher. An den letzten zwei Tagen der Fastenzeit wurden sie von Mittag bis tief in die Nacht hinein beim Grabmal, das unserem Befreier errichtet war, entweder sich beständig geißelnd oder am Boden hingestreckt liegend, gesehen. »Ihr Eindruck wirkte gnadenreich, Außenstehende nämlich wurden zur Nachahmung bewegt«.
Mit der Übernahme der Bußprozessionen durch die Bürgerkongregation Maria de Victoria (S. Hofmann, Geißler und Kreuzzieher, in SHVI 97 (1988), S. 171-214.) kam ein noch stärkeres theatralisches Moment dazu. Neben einer ausgeprägten musikalischen Ausgestaltung mit Trommeln, Trompeten und entsprechendem Gesang wurden zur Veranschaulichung des historischen Passionsgeschehens Bürger als Soldaten, Schwertträger oder Reiter verpflichtet (Harnische und andere Ausrüstung hatte man aus dem churfürstlichen Zeughaus entliehen), getragene Figuren oder aufwendig gestaltete Szenen auf Wägen (»Berg Calvari«, »Ecce homo«) ließen die Ausgaben enorm ansteigen.
Gegen Ende des 17. Jahrhunderts kamen die Prozessionen in die Diskussion. Trotzdem hielten sie sich bis zur Aufhebung des Jesuitenordens 1773 in nahezu unveränderter Aufmachung, danach kamen sie zu einem raschen Niedergang.

Karl Batz, 1991. (Formatiert von Kurt Scheuerer)


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