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Doris Wittmann:
Ingolstädter Auswanderer

 

Diesseits und jenseits des Ozeans "flossen Thränen vor Freude ..."

Zur Geschichte der Auswanderung im letzten Jahrhundert

 

Auswanderungen in größeren und kleineren Wellen durchziehen die ganze bayerische Geschichte. Wirtschaftliche sowie konfessionelle Gründe bis hin zu religiöser Schwärmerei spielten eine Rolle. Erste Quellen für eine kurfürstliche Regelung des Auswanderungswesens findet man unter Kurfürst Maximilian 1644.

Im 18. Jahrhundert trieben Werber ihr Unwesen und verhießen den Auswanderungswilligen das gelobte Land, so dass Kurfürst Karl Albrecht 1732 eine scharfe Verordnung gegen Werber erließ. Nach der Rezeption der Staatstheorien von Locke, Hobbes, Montesquieu und Rousseau sah der absolutistische Staat zunehmend seine Interessen durch Emigration gefährdet: dem Gemeinwesen gingen Arbeitskräfte und Wehrpflichtige verloren. Max III. Joseph wendet sich 1766 energisch gegen "ganze Depopulation und Ausödung unserer Lande", will die Werber durch Tod und Galgen bestraft sehen und hält seine Behörden an, die Auswanderung nur für Ungläubige, Juden und Bettelarme" zu genehmigen.

Bis in die vierziger Jahre des letzten Jahrhunderts stellte der Osten die Bevorzugten Auswanderungsgebiete der Bayern: Polen, Ungarn, Rußland. Danach liefen die USA diesen Ländern den Rang ab. Das Trauma der Französischen Revolution saß so tief, dass die Staaten durch Bevölkerungszunahme und Entstehung des Proletariats veranlaßt, getrieben von Angst vor einer erneuten Revolution, offiziell die Emigration nach USA erlaubten. Für Bayern geschah dies unter Ludwig I. per Vertrag am 3.9.1845.

Wer nun auswanden wollte, meldete sich bei seiner zuständigen Auswanderungsbehörde (Landgerichte, Magistrate), schloß einen Überfahrtsvertrag bei einer der in verschiedenen bayerischen Städten amtlich zugelassenen Schifffahrtsagenturen ab, die ihre Annoncen in den Zeitungen ausschrieben, und machte sich beispielsweise von München über Mannheim und Le Havre auf den Weg nach New York oder Baltimore.

Zunächst mußten die Auswanderer die Kosten selbst aufbringen, später schickten bereits in den USA ansässige Verwandte das nötige Fahrgeld. Zum Schutz der Emigranten vor Ausbeutung und Willkür der Handelshäuser bildeten sich Vereine, die sich sowohl Beratung als auch Hilfe bei der Organisation der Überfahrt zum Ziel gesetzt hatten.

Für Ludwig I. war die Förderung der Seelsorge an den USA-Auswanderern ein Herzensanliegen. So wurde am 17.07.1838 der Ludwig-Missionsverein in München als allgemeiner Missonsverein gegründet, richtete sein Hauptaugenmerk jedoch auf die Unterstützung deutscher Gemeinden in den USA.

Startschwierigkeiten werden von zwei Priestern unseres Dekanats (in seinen alten Grenzen) 1839 gemeldet: der Gerolfinger Pfarrer Hierl schreibt an das Dekanat, dass keines seiner Pfarrkinder sich für den "Ludwig-Missionsverein zur Unterstützung katholischer Missionen in Nordamerika und Asien" gemeldet habe "ungeachtet zweymaliger Verkündung und Aufforderung". Ähnliches berichtet der Gaimersheimer Pfarrer Heidacher, der sich hat "angelegen seyn lassen, diesen gewiß schönen und religiösen Wohltätigkeitsbund seinem Pfarrvolke ans Herz zu legen und dasselbe zu milden Beiträgen aufzumuntern". Da ihm kein Erfolg beschieden war, "aus der Ursache, weil hierorts zu Willibaldsverein nach Eichstätt für das Knabenseminar viele Beiträge gegeben werden", regte der Pfarrer nach Gesprächen mit den Leuten die Teilung der Beiträge zwischen Willibaldsseminar und Ludwig-Missionsverein an.

Verschiedene deutsche Klöster errichten Ableger in den USA, so auch die Benediktinerinnen von St. Walburg in Eichstätt 1853. Zahlreiche Priester, die in Ingolstadt wirkten, standen einige Jahre schon in den USA ihren Mann. Bekannt ist Moritzpfarrer Paulhuber, der 1851-1856 in der Diözese Milwaukee tätig war. Doch fand sich bei der Neuordnung des Moritzpfarrarchivs auch ein Brief aus den USA an den Benefiziaten Haslbauer, verfaßt von seinem Neffen J. Scheid am 30.09.1870.

Der Adressat Johann Baptist Haslbauer, hatte selbst ein - im wahrsten Sinne des Wortes - bewegtes Leben: 1807 in Anger (Gemeinde Laaber bei Regensburg) geboren, wird er 1835 im Würzburger Schematismus als Alumne geführt und für die Diözese Würzburg im gleichen Jahr zum Priester geweiht. Nach diversen Kaplanstellen im nämlichen Bistum tritt er 1842 zunächst in den Dienst der Diözese Regensburg, kurz darauf nach Eichstätt über. Um 1845/55 wird er als Lehrer der Mathematik im Benediktinerkloster St. Vinzenz in USA genannt, kehrt 1863 als zweiter Emeritenbenefiziat nach Ingolstadt zurück, wo er schließlich am 17.04.1879 stirbt.

St. Vinzenz, eine bis heute blühende Erzabtei mit großem Einfluß in den USA und immer noch engem Kontakt nach Bayern, war von dem Benediktinerpater Wimmer aus dem niederbayerischen Donaukloster Metten gegründet worden, dem sich zur Auswanderung zahlreiche Patres und Fratres, aber auch weltliche Interessenten aus Bayern angeschlossen hatten, auch aus dem Raum um Ingolstadt, Pfaffenhofen und Scheyern.
Und als Pater Wimmer anfangs mit wirtschaftlichen Schwierigkeiten zu kämpfen hatte, erinnert er sich der benediktinischen Tradition des Bierbrauens; damals blühten noch die klostereigenen Brauereien im 1830 wiedereröffneten Kloster Metten ebenso wie anderenorts. Und der beherzte Pater wandte sich an Ludwig I. mit der Bitte um Unterstützung zur Gründung einer Brauerei, die prompt auch erfüllt wurde; der König, ungeachtet eigener turbulenter politischer Nöte an allem, was mit Klosterneugründungen und Wiedereröffnungen zu tun hatte, interessiert, fand die Bier-Idee des tatkräftigen bayerischen Paters so bestechend, dass er half und für Unterstützung sorgte: Grad so, als habe er seinen abspenstigen Landeskindern bei ihren Abenteuern in den USA dennoch zur Seite stehen wollen - ein durchaus nicht unsympathischer Zug im Wesen dieses Monarchen. Nebenbei: Der spätere Erzabt Wimmer hatte mit der Brauerei Erfolg.

Haslbauers Neffe J. Scheid, hatte sich mit seinen Eltern und seiner Frau nach dem "Sprung über den großen Teich", wie seinem Schreiben zu entnehmen ist, eine gute Existenz in der neuen Welt, konkret in Faribault/Minnesota, aufgebaut, so dass er weitere Einwanderer aus der alten Heimat unterstützen konnte, wenngleich letztere es ihm oft nicht dankten.
Neben persönlichen Nachrichten über einen Unfall mit den Pferden, dem Bericht über die glückliche Geburt der Tochter Maria, der Schilderung der seelsorgerlichen Situation und dem Dank für eine Fotografie des Onkels interessiert sich der Emigrant für die europäische Politik, tat - mit erhobenem moralischem Zeigefinger - seine Meinung über die Lage der Dinge kund: "Täglich ist man hier zu Lande gespannt auf Europäische Kriegsnachrichten. Der Thronräuber Napoleon ist abgedankt und man glaubt, Paris wird nicht sehr lange Stand halten. Ganz Amerika sympathisiert mit Deutschland. - Vielleicht wird die Italienische Herrlichkeit mit der Zeit auch ein Ende nehmen, denn die Strafe Gottes bleibt selten sehr lange aus. - Frankreich, Italien verdienen gezüchtigt zu werden. - Ob der hl. Vater Rom verläßt, ich glaube nicht."

Der Informationsfluß via Amerika war gewiß sehr gut: "Wie geht es wohl mit unserer Verwandtschaft in Europa, wahrscheinlich hat mancher junge Mann sein Leben eingebüßt - doch Ehre den Baiern, sie haben sich ausgezeichnet in diesem Kriege. - "
Dennoch legte man viel Wert auf direkte Nachrichten von Verwandten. Es schließt sich die Bitte um baldige Antwort des Onkels an, ebenso um Zusendung einer deutschen Zeitung.

Die Verbundenheit mit der alten Heimat riß also nicht ab, war bei manchen so groß, dass sie nach einigen Jahren wieder zurückkehrten. Welche Schwierigkeiten dann entstehen konnten, zeigt ein ebenfalls im Moritzarchiv aufbewahrter Brief des Eichstätter Stadtpfarrers Herb vom 10.11.1872, dessen Adressat nur mit "Hochwürden" bezeichnet ist - ob es sich um den damaligen Moritzpfarrer Johann Baptist Reiser handelte oder etwa auch Benefiziat Haslbauer bzw. einen anderen Geistlichen der Moritzpfarrei, bleibt im Dunkeln. Jedenfalls hatte der Adressat USA-Erfahrung, Englischkenntnisse und einen laufenden Schematismus von Amerika, weswegen er von Herb zu Rate gezogen wurde:
"Bäckermeister Lang aus meiner Pfarrei, der sich mehrere Jahre in Amerika aufhielt, braucht und wünscht Taufzeugnisse von seinen beiden dort geborenen Mädchen. Er schrieb bereits selbst dorthin; erhielt aber keine Antwort. Nun soll ich pfarramtlich dieselben requirieren, zu welchem Zwecke er mir beiliegende Adresse übergab, die indessen geschrieben sind, wie man spricht, nicht nach der Schriftsprache; ferner sind sie schon circa 8 Jahre wieder hier und wissen darum nicht die Namen der zeitweiligen Priester in jenen Pfarreien."
Die Notiz mit dem entsprechenden Anschriften ist leider nicht mehr vorhanden. Die Probleme der Auswanderer mit der Fremdsprache und ein häufiger Wechsel der Seelsorger sowie vermutlich mangelhafte Matrikelführung erschwerten den Rückkehrenden die benötigte Auskunft.

In der Priesterausbildung jener Jahre lag der Schwerpunkt noch auf den alten Sprachen, so dass man auf Geistliche angewiesen war, die selbst einige Jahre in den USA gelebt und die Sprache leidlich gelernt hatten. Von daher ersucht Herb seinen Mitbruder "um die Richtigstellung der ... Adressen, ... die Namen der gegenwärtigen betreffenden Pfarrherrn ... (aus dem) laufenden Schematismus von Amerika, ... um etwaige Bemerkungen darüber, was (er) ... zu beobachten habe, damit das Schreiben richtig an die Pfarreien und betreffenden Pfarrer gelange, ... um einen eventuell anderen, sicheren Weg zur Erlangung der fraglichen Taufatteste..."

Statistisch gesehen, waren nur wenige Bewohner Altbayerns zwischen 1863 (Beginn der amtlich geführten, statistischen Unterlagen zur Auswanderung) und 1890 bereit, ein neues Leben im Ausland zu beginnen. Die Oberpfalz lag mit 1,1 Auswanderern pro 1000 Einwohnern an der Spitze, Oberbayern bildete mit 0,35 Auswanderern das Schlußlicht. Bedenkt man dazu noch, dass nicht alle Personen die USA als Ziel hatten, so ergibt sich ein noch geringerer Zahlenwert, der mangels nach Auswanderungsland differenzierten Dokumenten nicht genau zu ermitteln ist.

Diese Tatsache erhöht den Stellenwert der im Moritzarchiv aufbewahrten Briefe beträchtlich, zumal es sich um Privatkorrespondenz handelt, die ein nicht unbedeutendes Schlaglicht auf die Verhältnisse zwischen neuer und alter Welt wirft, die heute durch die modernen Transport- und Kommunikationsmittel so nahe zusammengerückt ist.

Doris Wittmann, 1998


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