Logo Kurt Scheuerer Wissensspeicher zur Geschichte von Ingolstadt  
Doris Wittmann:
Mobilität im 17. Jahrhundert
Briefprotokolle im Stadtarchiv Ingolstadt

 

"Gastarbeiter" in Ingolstadt - "Gastarbeiter" aus Ingolstadt

anhand der Briefprotokolle des Stadtarchivs Ingolstadt im Zeitraum von 1610-1670

Die Mobilität der frühen Neuzeit war bedingt durch Kriegsereignisse, Nähe wichtiger Verkehrsverbindungen zu Wasser und zu Lande, Wanderjahre der Lehrzeit, Aussicht auf Existenzverbesserung, kirchliche Laufbahn (Verbindungen der verschiedenen Ordenshäuser, Eintritt in einen Orden) sowie verwandtschaftliche Beziehungen. All dies lässt sich anhand der Briefprotokolle des Stadtarchivs Ingolstadt auch erhellen. Die häufig verallgemeinerte, auf einen Punkt gebrachte These, wonach Mobilität erst richtig mit der Industrialisierung begann, ist kritisch zu hinterfragen. Natürlich brachte die Industrialisierung einen gewaltigen Mobilitätsschub mit sich, doch darf man nicht vergessen, dass hierbei schon die Erfindung der Dampfmaschine (Eisenbahn, Schiffe) für Verkehrs- und Transportmittel eine großen Rolle spielte. Im 17. Jahrhundert kam man hauptsächlich zu Fuß, bestenfalls per Reittier, seltener, da mit Unkosten verbunden, per Floß oder Karren mit einem Fuhrmann bzw. Boten von einem Ort zum anderen.

Die Palette der Orte reicht von der näheren Umgebung wie Kösching, Nassenfels, Beilngries bis nach Böhmen, Mähren, Österreich, Ungarn, Liechtenstein, Frankreich, Schlesien, ja sogar Belgien. Dabei darf nicht übersehen werden, dass Ingolstadt als Universitäts- und Festungsstadt, auch als wichtiger Verwaltungssitz des Kurfürstentums Bayern in dieser Zeit, ferner durch seine Lage an der Donau als Ausgangs- und Zielpunkt einer Reise oder einer Suche nach besseren Existenzmöglichkeiten prädestiniert war. Die Universalität der Jesuiten spielte hierbei auch keine geringe Rolle. An Auftraggebern (Kirche, Adel und höhere Beamte, Universität) für bestimmte Handwerkszweige fehlte es nicht (Baumaßnahmen, Militärzubehör, Luxusgegenstände). Leider lassen sich Sozialbeziehungen im einzelnen kaum rekonstruieren. Es wäre interessant zu wissen, wer auf wessen Vermittlung in einen Ort kam. Kommissar Zufall regierte wohl eher während der Wanderjahre der Handwerker, obwohl auch hier Beziehungen der Lehrmeister untereinander nicht gänzlich auszuschließen sind.

Bemerkenswert ist sicher die Tatsache, dass während der Zeit des Dreißigjährigen Krieges und kurz danach häufigere Ortswechsel vorkamen als dies in späteren Jahren ab etwa 1660 der Fall war, als sich das Leben allmählich zu normalisieren begann, wobei die Bevölkerungszahl und der Lebensstandard vor Ausbruch des Krieges nach neueren Forschungen erst um 1690 wieder erreicht wurden. Die Frage, ob der Krieg die Menschen in Bewegung brachte, und zwar nicht nur die Truppen und die für Militärzwecke benötigten Handwerker, oder ob in dieser Epoche nur akribischer festgehalten wurde, wer woher kam und wohin ging, weil man in den einzelnen Orten Angst vor Spionage und Überfällen hatte oder als Einzelperson leicht zwischen die Fronten geraten konnte und eines Identitätsnachweises bedurfte, kann erst dann beantwortet werden, wenn zahlreiche Quellen erschöpfend ausgewertet werden. Eines lässt sich für Ingolstadt sicher sagen: die Detailtreue der Einträge in den Briefprotokollen ab circa 1660 vermisst man. Es werden oft keine Herkunftsorte mehr angegeben, keine Wirkungsorte von Personen, die Lehr- oder Geburtsbriefe erhalten, bei Grundstücksverkäufen wird nur die Gesamtgröße der verkauften Flächen, meist ohne nähere Lokalcharakteristik (Flur- oder Wegenamen) angegeben. Häufig sind nicht einmal die Kerzenmeister eines Handwerks namentlich aufgeführt oder die Geldlasten eines Hauses an verschiedene Institutionen konkretisiert.

Doris Wittmann

 

Beispiele aus den Briefprotokollen 1610-1659:

BP 1615, f. 52 v., 53 r.:
Erbe, Ingolstädter lebt als Fischmeister in Enzersdorf in Österreich

BP 1625, f. 234 v.:
Schein über Seuchenfreiheit, Krautschneider, aus dem Pfleggericht Braunau

BP 1629, f. 42 v., 43 r.:
Abschied, Übersiedlung eines Ingolstädters wegen besserer Existenzmöglichkeiten nach Wien

BP 1630, f. 134 v., 135 r.:
Schein über Seuchenfreiheit, Mausfallenmacher aus Mailand

BP 1633, f. 257 r.:
Bestätigung über Seuchenfreiheit, Verkauf von Pomeranzen und Zitronen vom Gardasee

BP 1648, f. 18 r.:
Bestätigung über Seuchenfreiheit, Schmied aus Steyr

BP 1650, f. 76 v.:
Quittung für Erbe, Ingolstädterin in Muri/Schweiz verheiratet

BP 1652, f. 127 r.:
Abschied, Wegzug nach Iglau/Mähren

BP 1656, f. 213 r., 213 v.:
Lehrbrief, Bierbrauerhandwerk, Lehrling aus Eferding

BP 1656, f. 218 r.:
Urkunde für Bruchschneider aus der Schweiz

BP 1659, f. 283 r.:
Quittung, Erbe für Dame aus Prag, Herkunft der Familie aus Ingolstadt


Siehe auch:


Impressum - - - Nachricht an den Gestalter der Seiten: Kurt Scheuerer
Zur Auswahl Stadtgeschichte Ingolstadt - - - Zur Auswahl Materialsammlung Kurt Scheuerer