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Zur Wasserversorgung
in Ingolstadt 1884

 
Diese Frage scheint in unserer Stadtvertretung wieder einschlafen zu wollen.
Das schreiende Bedürfniß wird sie aber nicht einschlafen lassen, zumal in diesen heißen Tagen nur wenigen Einwohnern ein frischer Trunk ermöglicht ist (meines Wissens sind die beiden einzigen Brunnen der Stadt, welche gutes und frisches Trinkwasser liefern, der im Hofe des unteren kath. Pfarrhauses und jener bei der Reitschule), von den übrigen aber das lauwarme Leitungswasser mit dem Bewußtsein getrunken werden muß, daß nicht einmal dieses ihnen eigen und für immer gewährleistet ist, und zugleich die Choleragefahr imminent ist, für welche, wenn es nicht bald ergiebig regnet, unsere, üble Ausdünstungen zu verbreiten beginnenden Kanäle neben der bei dem herrschenden Wassermangel an vielen Orten der Stadt höchst mangelhaften Reinlichkeit in den überfüllten Wohnungen des Proletariats eine bedeutende Anziehungkraft äußern werden.
Welche Wassernot herrscht am Graben beim Herrnbräukeller am oberen Ende der Harderstraße, wo man sich erzählt, daß das Publikum vom Wasser eines Privatbesitzers Gebrauch zu machen strebend, von diesem, einem Wirte den Genuß des Wassers nur unter dem Servitute, bei ihm auch das Bier zu holen, beziehen dürfe!
Die Menge und Beschaffenheit des Wassers der Pumpbrunnen in der südlichen Stadt, von Herren Offizieren untersucht, wird unsere Ansicht nicht wiederlegen, daß es wenig und häufig untrinkbar, und Ingolstadt, wie vormals München bezüglich des Wassertrinkens, zu einer vervehmten Stadt zu machen geeignet ist, da das Wasser notorich häufig den Träger der Krankheitserreger von Typhus und Cholera bildet.
Das Wasser des Pascolini-Brunnens, über dessen Reinheit vor Jahresfrist zwischen den amtlichen und den Privatuntersuchungen eine Differenz bestand, wird nach seiner damaligen Beschaffenheit das Zünglein der Waage wohl auf die Seite einer sehr verdächtigen Reinheit seiner Lieferstätte lenken.

Und erst die öffentliche Reinlichkeit!
Man ist versucht, den notorischen Unfleiß des Publikums im Besprengen mit Wasser beim Straßenkehren dem Wassermangel zuzuschreiben.
Unsere Kanäle verdienen ohne Spülung nur den Namen von Cloaken! Und sicher sind sie es und die frühere Beschaffenheit des Schutterbettes, die unserer Stadt den traurigen Ruf eines Cholera-Nestes verschafft haben.
Würde man die alten Kanäle aufgraben, man würde wohl mehr solche überraschende Entdeckungen von einer haarsträubenden Unreinlichkeit im Boden machen, wie im Herbste des Jahres 1873 in der Schwaigergasse, nachdem dort vom 26. Aug. bis 2. Sept. 19 Erkrankungen mit 9 Todesfällen an der Cholera vorgekommen waren.
Endlich die Emanationen (bei niedrigem Wasserstande) und Untergrundsdurchfeuchtungen von Seiten der Schutter, an deren beiden Ufern ja vorzugsweise in den Jahren 1854 und 1878 die Seuche genistet hat.
Hier ist inzwischen durch die Pflasterung der Sohle ein weiterer Schritt in der öffentlichen Reinlichkeit, der alle Anerkennung verdient, vorwärts getan worden, und erübrigt nur noch meinem Antrage, auch den Unterlauf der Schutter oberhalb ihres Einlaufens in den Militärbahnhof zu überwölben, Rechnug zu tragen, nachdem bei der allerjüngsten Reinigung die Menge und die Beschaffenheit des ausgehobenen Unraths (Abtritt-Inhalt des hlg. Geistespitals und Franziskanerklosters, ein Übelstand, für den wohl auch gegen Gewohnheitsrechte eine aufgeklärtere Zeit eine Abhilfe finden sollte), der bei niederem Wasserstand hier niedergeschlagen zu werden scheint, den Beweis geliefert haben dürfte, daß die üblen Gerüche in dieser Straße dem Schutterlaufe entsprangen.

Die Sachverständigen und Sanitätsbeamten können, nachdem sie ihre warnenden Stimmen erhoben, die Verantwortung den Verwaltungsorganen zuschreiben, für die es in einer stets wachsenden Stadt von der Bedeutung Ingolstadts mit einer zur Deckung ihrer Bedürfnisse reichlich contribuirenden militärischen Bevölkerung und einer noch nicht drückenden Gemeindeumlage keine Unmöglichkeit sein dürfte, neben den Schuldentilgungsplänen für immerhin zu billigende, wenn auch nicht gerade notwendige und dringende Ausgaben, wie Theater und Rathausbau auch einen solchen für ein schreiendes Bedürfnis wie es die Wasserversorgungsfrage ist, anzulegen, dessen Abhilfe neben der zu erwartenden staatlichen, civilen und militärischen Beihilfe sich zum Teile selbst bezahlt machen würde.
Die ärztliche Einwirkung kann bei Seuchen wesentlich nur in der Prophylaxis bestehen, und da ist die Sanierung der Städte durch reichliche Wasserversorgung und dadurch bedingte öffentliche und private Reinlichkeit (der Wohnungen und der Wäsche), fleißige Durchspülung der öffentlichen Ableitungen in einem ausgebildeten und gut gebauten Kanalisationssysteme, wozu die Umwandlung aller nicht gemauerten Kanäle in gemauerte gehörte, gut ventilirte Häuser und gut eingerichtete Aborte mit fleißiger Abfuhr des Unrats aus diesen, den Hofräumen und Düngerstätten die Hauptsache.

Dr. Mair, k. Bezirksarzt
Ingolstädter Zeitung. Samstag, den 12. Juli 1884


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