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Die Fingeruhr des Peter Apian
Bestimmung der Zeit mit den Fingern

  
Tiere und Menschen haben in sich ein Gefühl für Zeitabschnitte. Haus- und Zootiere erwarten ungeduldig ihren Fütterungstermin, der arbeitende Mensch erwacht auch ohne Wecker jeden Morgen zur gleichen Zeit, jeder Schüler und Lehrer spürt das Ende einer Unterrichtsstunde wenige Minuten vorher. Unser Zeitgefühl bedarf jedoch einer äußeren Kontrolle.

Bestimmung der Tageszeit

Die Tageszeit bei Sonnenschein zu ermitteln ist relativ einfach. Man muß nur wissen, wann und wo etwa die Sonne untergehen wird. Als astronomisch interessierter Schüler war ich in den 50er Jahren beim Baden am Ingolstädter Baggersee immer in der Lage, mittels der Faust am ausgestreckten Arm, welche einem Winkel von 15° entsprach (und für uns damals keinerlei politische Bedeutung hatte), die Bahn der Sonne am Himmel nachzumessen und damit die Stunden bis Sonnenuntergang abzuzählen. Meist kam ich damit auf eine Meßgenauigkeit von plus-minus einer Viertelstunde.
Diese Winkelmeßmethode hatte ich damals dem Kosmos-Himmelsjahr entnommen. Nur war dort immer von 8° die Rede. Bayerische Arme sind wohl kürzer als norddeutsche.
Es ist also erforderlich, international konstante Körpermaße zu benutzen. Dazu eignen sich wohl am besten die Proportionen an der Hand.

Im frühen 16. Jh. wurde die sogenannte Bauernsonnenuhr zur Messung der Sonnenhöhe beschrieben. Man hält die Hand mit gespreizten Fingern senkrecht. Den rechtwinklig abgestreckten Daumen stellt man waagrecht. Nun ergibt sich zwischen dem Daumen und der Ballenlinie des kleinen Fingers ein Winkel von etwas über 45°. Soweit muß also der Schatten des Daumens in unseren Breiten am Mittag fallen. Um 1 Uhr bzw. 11 Uhr steht die Sonne tiefer, der Schatten reicht nun bis zur Ansatzkerbe des kleinen Fingers. Jeder seiner Einschnitte entspricht nun einer weiteren Stunde. An den Spitzen von Ring- und Mittelfinger kann dann bis zu 6 Stunden weitergezählt werden.

Bestimmung der Nachtzeit

Nächtliche Navigation in der Antike.

In den letzten beiden vorchristlichen Jahrtausenden befand sich kein sonderlich herausragender Stern in der Nähe des Himmelsnordpols. Der große und der kleine Wagen jedoch liefen kreisförmig in unterschiedlichem Abstand um den Pol herum. Sie waren auch im Mittelmeerraum circumpolar, also die ganze Nacht hindurch zu sehen.
Aratos schrieb nach 300 v.Chr. in seinen Phainomena: Die Sterne »werden alle Tage beständig am Himmel hingezogen. Die Achse aber geht auch nicht ein bißchen vom Fleck, sondern genauso ist sie immer festgefügt und hat in der Mitte, ausgewogen nach allen Seiten, die Erde, und führt ihrerseits den Himmel herum. Und es begrenzen sie zwei Pole von beiden Seiten, aber der eine ist nicht zu sehen, der andere, gegenüberliegende auf der Nordseite ist oberhalb des Ozeans.
Zwei Bärinnen aber, ihn einfassend, rollen gemeinsam; darum werden sie denn auch Wagen genannt. ... Und die eine nennt man Kynosura (Hundeschwanz) mit Beinamen, die andere Helike (Kringel). An Helike ersehen die Achaier auf See, wohin sie ihre Schiffe lenken müssen, im Vertrauen auf die andere segeln die Phoiniker übers Meer.«

Die Fingeruhr des Peter Apian

Zur Bestimmung der Nachtzeit hatte der Ingolstädter Universitätsprofessor Peter Apian 1533 in seinem »Instrument Buch« die Benutzung der Winkel an den gespreizten Fingern der linken Hand vorgeschlagen.
Blickt man in einer klaren Nacht nach Süden, so bewegen sich die Sterne stündlich um 15° nach rechts. Blickt man nach Norden, so vollführen die Circumpolarsterne aufgrund der Erdrotation einmal in 24 Stunden eine volle Linksdrehung um den Pol.
Nordpol um 1530Nordpol. Foto: Kurt Scheuerer
Bestimmt man nun das Maß dieser Drehung, so erhält man die von Apian so genannten »Fingerstunden«, welche in etwa der heutigen Sternzeit entsprechen.
Durch den Umlauf der Erde um die Sonne verschieben sich die Sterne jedoch pro Tag zusätzlich um 1° bzw. 4 Minuten zurück; in einem Monat entspricht dies 30° bzw. zwei Stunden. Durch eine etwas umständliche Zählung konnte man mit der Fingeruhr diese monatliche Abweichung berücksichtigen und damit dann die »rechten Stunden« ermitteln.

Apian wählte die Visierlinie vom Polarstern zu dem Stern gamma im Großen Bären.
»Und under disen Sternen ist dir khainer nützlich dann der Polus/ der mit dem A/ und ainer der mit dem C bezaichent ist. Der das C genendt wirt/ ist ainer auß den zwayen fördern rädern des Herwagens.« ...

Vor 500 Jahren stand der Polarstern nur ein wenig weiter vom Pol entfernt als heute. Apians Visierlinie zeigte am 1. März in Ingolstadt um Mitternacht mit einiger Genauigkeit senkrecht nach oben. »Es ist einem yetlichen schlecht verstendigen der Astronomischn kunst wißlich/ das diser Stern C/ am Ersten Tag des Mertzen/ geleich zu Mitternacht/ oben zwischen dem Polo und zenith (das ist der haubtpunct) an den Meridian stossen ist/ unnd zu Mittag under dem Polo.« ... Deshalb »hab ich den anfang des jars am Mertzn angehebt«.

»Wie aber du die finger der händt außeinander thun solt/ muest du auß dieser für gemalten figur abnemen.«
Fingeruhr
Bei richtiger Haltung ergibt sich zwischen Daumen und Zeigefinger ein rechter Winkel. Zwischen Zeigefinger und kleinem Finger ergeben sich 45°. Dieser Winkel wird von den beiden restlichen Fingern gedrittelt. Dadurch ist mit jeder Hand ein 15°-Winkel, welcher einer Himmelsdrehung von einer Stunde entspricht, ablesbar. Der Scheitel dieser Winkel ist außen an der Wurzel des Daumens zu suchen. »Unnd bey der wurtz des daumens solt du aussen an der hand verstehen und gedencken einen punct/ gleich als ein Centrum: Dann du solt unnd muost den Polum neben der handt unnd wurtzel des daumens sehen.«
Diese Proportionen gelten praktisch für alle Hände und sie sind unabhängig von der Armlänge.
»Wann du die handt also stille heltest/ unnd den Polum siechst neben der wurtz des daumens/ so schaw bey welhem finger du den Stern C findest/ Stehet er bey dem klainen finger so ist es die 12 stund. Findest du ihn bey dem andern finger/ so ist es 1 stund: bey dem mittlern finger bedeüt 2 stund: der zayger ist disem Exempel die 3. stund.«
Mit einiger Übung funktioniert das recht gut. Die Meßgenauigkeit dieser Methode dürfte bei etwa 15 Minuten liegen.

Kurt Scheuerer, 1995.


siehe auch:

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