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Dr. Gerd Treffer
"Doctor Doctorum"
Zum 400. Todestag des Gregor von Valencia

 
Zum 400. Todestag des bedeutendsten deutschen Theologen im Jahrhundert nach dem Tridentinum: Gregor von Valencia

Unter den Universitäten Europas hatte die 1472 in Ingolstadt entstandene Hohe Schule Gewicht. Nachdem in den ersten Jahrzehnten ihres Bestehens der Schwerpunkt des geistigen Lebens bei der Artistenfakultät gelegen hatte, rückte im 16. Jahrhundert die theologische Fakultät stärker, zeitweise beherrschend in den Vordergrund.
In den theologischen und kirchenpolitischen Auseinandersetzungen wurde die Universität Ingolstadt das stärkste theologische Bollwerk der alten Kirche im Reich, gleichsam die katholische Gegenposition zu Wittenberg. In der ersten Hälfte des Jahrhunderts steht dafür Professor Johannes Eck; in der zweiten Hälfte sind es mehrere hervorragende weltpriesterliche Professoren und vor allem die Jesuiten.
1549 war Petrus Canisius nach Ingolstadt gekommen, um die nach Ecks Tod drohende Lücke anzuführen. Canisius wurde zu einer der wichtigsten Gestalten der katholischen Reform im Reich: Nach Jahrzehnten der Verzagtheit und Mutlosigkeit gewann die alte Kirche wieder an Selbstvertrauen.

Die letzten Jahrzehnte des 16. und die ersten des 17. Jahrhunderts bedeuten eine große Epoche der katholischen Fakultät. Zu Ingolstadt lehrten nun vorbildliche Weltpriester und Jesuiten, die zu den angesehensten Theologen ihrer Zeit zählten.
Der mit Abstand bedeutendste unter ihnen ist Gregor von Valencia. In seinem Aufsatz "Größe und Grenzen der Theologie" (in: Ingolstadt, Landshut, München - der Weg einer Universität) schreibt Georg Schwaiger:
"Als gefeierter Lehrer, als theologischer und kanonistischer Gutachter, als hervorragender Systematiker der Theologie hat er vornehmlich die große theologische Reform von Salamanca in Deutschland fruchtbar gemacht. Sein Einfluss ging auf alle Hohen Schulen der Jesuiten in Deutschland und auf alle katholischen Universitäten des Reiches über. Vornehmlich durch die zwei Jahrzehnte seiner Lehrtätigkeit in Ingolstadt und durch sein breites literarisches Wirken hat Gregor von Valencia eine neue Generation von Lehrern der Philosophie und Theologie herangebildet, auf der Grundlage des christlichen Aristotelismus und des heiligen Thomas. Dies trug ihm den Ehrentitel eines "Doctor doctorum" ein und rasch rückte eine neue Gelehrtengeneration nach".

Petrus Canisius hatte man als den Praeceptor Germaniae bezeichnet - den Vordenker, in der lateinischen Wortwahl an den "Schulmeister" gemahnend: den der die Grundlagen legt, gut ausgebildete Gelehrte, Doktoren nach sich zieht. Gregor wird von Papst Clemens VIII "doctor doctorum" genannt. Er ist der Lehrer der Gelehrten - setzt das Werk fort.

In Ingolstadt gehörten zu seinen bedeutendsten Schülern die Jesuitenprofessoren Jakob Gretser und Adam Tanner. Für die Bayerische Landesuniversität ist seine Bedeutung nur noch mit der von Eck vergleichbar. "Europaweit" war Gregor von Valencia einer der großen Dogmatiker seiner Zeit.
M. Mulsow schreibt (im biographischen Lexikon der Ludwig-Maximilians-Universität):
"Zuvor hatte man sich nach Padua oder Rom orientieren müssen, jetzt konnte man in Ingolstadt ... moderne Theologie hören". Seine "Commentarii theologici ... in summam D. Thomae Aquinatis" (1591-97) "waren das erste vollständige Korpus systematischer Theologie durch einen Jesuiten" (Ingolstadt, 4 Bände). Sie erreichen in 20 Jahren 12 Auflagen.
Sein Schüler Gretser rühmte die klare Vortrags- und noch eindrucksvollere Schreibweise des Lehrers, geprägt von seiner Herkunft aus der Reformtheologie von Salamanca, die Rückkehr zu den Quellen - zur Heiligen Schrift und zur Patristik - und das Empfinden für die sprachliche Form. So verpflanzte er die Synthese aus Humanismus und Scholastik nach Deutschland und wurde zum "Restaurator der Theologie in Deutschland" (M. Grabmann).
F.W. Bautz schreibt: "Er erneuerte die deutsche Scholastik durch Übertragung der Reformen der Salmantizenser, der Dominikanertheologen der Universität Salamanca, nach Deutschland."
Georg Schwaiger nennt ihn einen "einsamen Theologen", der nicht für sein Jahrhundert geschrieben habe, dem aber die Zukunft gehören sollte.
Siegfried Hofmann, der führende Historiker Ingolstadts unserer Zeit ordnet Gregor von Valencia in den Rahmen der Universität (und der gelehrten Welt seiner Zeit) ein. Er attestiert den Jesuiten in Ingolstadt zunächst - ungeachtet zeitgenössischer und späterer Anfeindungen - eine "anerkennenswerte wissenschaftliche Gesamtleistung" und stellt fest: "Einige Professoren dieses Ordens erreichten einen ganz eminenten Rang." und: "An erster Stelle möchte ich in diesem Zusammenhang Gregor von Valencia nennen ... Er wird nicht zu Unrecht der bedeutendste deutsche Theologe in dem Jahrhundert nach dem Tridentinum genannt".
Auch Bautz nennt ihn (neben seinem Schüler Tanner) den "bedeutendsten katholischen Theologen, der in Deutschland im nachtridentinischen Jahrhundert wirkte."

Gregor de Valencia kommt im März 1549 - dem Jahr, da Petrus Canisius nach Deutschland kommt - in Medina del Campo in Kastilien zur Welt. 1564 beginnt er sein Studium der Philosophie, Rechte und Theologie in Salamanca, wo ihn die Predigten von Joh. Ramirez so begeisterten, dass er am 12. Januar 1565 in Salamanca dem Jesuitenorden beitritt. 1565/66 verbringt er im Noviziat von Medina. Einer seiner Lehrer und sein Novizenmeister ist Balthasar Alvarez. 1566-68 setzt er sein Studium in Salamanca fort, geht dann nach Valladolid und kehrt 1571/72 nach Salamanca zurück. Er erhält dort sein wesentliches Rüstzeug, saugt den dort entwickelten Thomismus auf.

1571 wird er von Ordensgeneral Francisco Borgia nach Rom berufen, um dort zwei Jahre lang, obwohl noch nicht Priester, am Römischen Kolleg, Philosophie vorzutragen. Nach dem Tode Borgias und seiner Priesterweihe sendet ihn Mercurian 1573 nach Deutschland.
Er kommt zunächst nach Dillingen. Im September 1573 wird er hier Lizentiat, im Oktober 1575 Doktor.
Am 20. Oktober 1575 nimmt er an der Universität Ingolstadt seine Vorlesungen als Professor für Dogmatik und Kontroverstheologie auf. 17 Jahre wird er hier lehren, bis er 1592 seinen Lehrstuhl an seinen Schüler Gretser abtritt. Er hielt aber noch bis 1597 zeitweise Vorlesungen und war auch noch Dekan.

In seine Ingolstädter Zeit fallen eine Reihe von ihm ausgefochtene Kontroversen.
In den Jahren 1578 bis 1581 führte er eine theologische Fehde mit dem Tübinger Protestanten Jakob Heerbrand über Idoloatrie und Messopfer.
1582 kämpft er gegen die lutherische Ubiquitätslehre, (nach der der Person Christi die Allgegenwärtigkeitseigenschaft Gottes zugesprochen wird, um die Realpräsenz im Abendmahl zu stützen). Auch gegen Calvinisten wie Fortunatus Crellius schrieb er an (1587).
1585 vertritt er in der "Analysis fidei Catholicae" die Unfehlbarkeit des Papstes, eine Lehre, die später (1869/70!) z.T. wörtlich vom I. Vatikanischen Konzil übernommen wurde. Die Schrift, eine Gesamtdarstellung des katholischen Glaubensgutes und eine Orientierungshilfe angesichts der divergierenden Meinungen zwischen Katholiken und Protestanten rief noch bis 1683 Gegenschriften hervor.
In "De rebus fidei hoc tempore controversis" (1591) fasst er seine zahlreichen Kontrovers-Schriften zusammen, gibt Leitlinien für die Kontroverstheologie - die Auseinandersetzung über vermeintliche oder tatsächlich kirchentrennende Lehre und Lebenspraxis, insbesondere die Kontroversen, die sich im 16. Jahrhundert zwischen römisch-katholischer und protestantischer und zwischen den protestantischen Konfessionen selbst entwickelten.

Valencias Wirkung auf die katholischen Lehranstalten, selbst auf protestantische Kreise war beträchtlich. Seine Schriften sind in Form und Inhalt von antiprotestantischer Polemik geprägt. Siegfried Hofmann notiert: "Dass er in seiner Polemik gelegentlich zu weit ging, hat ihm sogar Tadel des gewiss nicht laxen Canisius eingebracht". Er bezieht in beinahe allen Fragen eine rigorose Position, die in seiner Vorliebe für eine präzise argumentierende Apologetik gründet. Seine spekulative Kraft verliert sich nicht in Subtilitäten und Nebenfragen. Trotz gelegentlich überscharfer Tonart ist sie geprägt durch sachlich gelungene systematische Zusammenfassung der Themen. Valencia verwendet mit Vorliebe historische Argumente, vor allem solche, die auf den Kirchenvätern beruhen, die er nicht aus Zitatensammlungen, sondern mit bemerkenswerter Genauigkeit aus den Quellen entnimmt. Er zeigt auch eine gute bibelphilologische Schulung, die er nachweislich bei G. de Grajal und M. Martinez in Salamanca erworben hat. Von daher stammt auch sein Bestreben, positive und spekulative Theologie in Einklang zu bringen.

Verschiedentlich wurde die Frage gestellt, ob sich Gregor in Ingolstadt wohl gefühlt habe. Es scheint, dass er ein sehr anspruchsvoller Lehrer war, der (vielleicht deshalb) nur wenige Hörer hatte. In einem Brief an den Ordensgeneral (1583) schreibt er, er habe nur fünf Studenten, die obendrein nur geringe Fähigkeiten hätten und äußert den Wunsch, an einen anderen Ort versetzt zu werden. Außerdem, heißt es, habe er das Ingolstädter Klima nur schwer ertragen, aber das war auch in Dillingen schon so gewesen.
Die Ordensleitung verweist ihn in der Tat 1584 nach Polen. Doch Herzog Wilhelm V. lässt ihn nicht ziehen, "weil er Furcht vor einem neuerlichen Niedergang der theologischen Fakultät hatte", schreibt Mulsow, der vermutet, "vielleicht ist Valencia zufriedener geworden, als er 1586 Gretser zum Schüler erhielt".

Mulsow notiert, auch politisch sei Valencia einflussreich gewesen.
Die bayerischen Herzöge Wilhelm V. und Maximilian I. zogen ihn öfters zu Rate. So etwa in der Streitfrage, ob man trotz des kanonischen Zinsverbotes Zinsen nehmen dürfe. Nachdem er 1581 mit Ordensprovinzial Paul Hoffäus nach Rom gereist war, um an ordensinternen Beratungen über die vieldiskutierte Frage der Erlaubtheit des Zinsnehmens teilzunehmen, hielt Valencia 5 % Zins für Leihkapital aufgrund eines beiderseits kündbaren Rentenvertrages für zulässig. Diese Auffassung machte Schule und wurde von Herzog Wilhelm 1583 zum bayerischen Gesetz erhoben.
Als der Herzog 1590 der theologischen und juristischen Fakultät einige Fragen über das Hexenwesen vorlegte, riet Valencia in einem Gutachten zur Beibehaltung der Hexenprozesse; ebenso wie später sein Schüler Gretser. Das Gutachten entsprach den damaligen herrschenden Anschauungen, wie sie z.B. der Generalvikar des Erzbistums Trier, Peter Binsfeld, der Hauptverteidiger des bisherigen Hexenprozessverfahrens vertrat.
1582 hatte er den Kaiser, 1591 Herzog Wilhelm und 1593 den Erbprinz Maximilian auf Reisen begleitet, 1594 wird er zusammen mit Marianus von der Universität zum Reichstag nach Regensburg geschickt.
In Gretsers Vita findet sich eine ganze Reihe von Namen hochgestellter Persönlichkeiten, mit denen er Umgang pflegte.

Für seine Mitbrüder hielt Gregor in Ingolstadt Privat-Kollegien über Thomas von Aquin.
In Ingolstadt arbeitet er auch sein Hauptwerk aus: den bereits erwähnten, umfassenden, an Thomas von Aquin anknüpfenden theologischen Gesamtkommentar. Fünfeinhalb Jahre hatte man ihm dafür nach seinem formellen Abschied vom Professorenamt "Urlaub" gewährt.

1598 wurde er dann als Professor der Theologie und Studienpräfekt ans Collegium Romanum berufen - eine Auszeichnung für seine Person und eine Anerkennung der Bedeutung seiner Lehre. Sicher aber wollte auch Papst Clemens VIII., der Gregor schätzte, ihn in einer schwierigen Zeit um sich haben, zumal dort (1597 - 1607) der sogenannte Gnadenstreit über das Verhältnis der menschlichen Freiheit zum göttlichen Handeln zwischen Dominikanern und Jesuiten entbrannt war und in der congregatio de auxiliis, der von Papst Clemens eingesetzten Prüfungskommission zur Untersuchung des Streits über das Wesen der wirksamen Gnade, ausgetragen wurde. 1602 wurde Gregor zugezogen. Er verteidigte vor der Congregatio und vor dem Papst, der zur Aufklärung feierliche Disputationen im Vatikan unter seinem Vorsitz anordnete, mit Erfolg die Concordia seines Ordensbruders Luis de Molina als konform mit Augustinus gegen die Banezianische Position der durch Didacus Alvarez vertretenen Dominikaner.
Den Ausgang des schwierigen und auszehrenden Verfahrens sollte Gregor de Valencia nicht mehr erleben.

Mit vielen Fragen hatte er sich auseinandergesetzt. Siegfried Hofmann schreibt: "Die wissenschaftlichen Werke aus seiner Feder reichen von der Verteidigung Molinas über den Hexenwahn bis zum Zinsstreit. Gregor von Valencia war der große wissenschaftliche Verteidiger der Kirche..."

Gregor von Valencia ist am 25. April 1603 in Neapel gestorben, wo er in der gesünderen Luft Genesung gesucht hatte.

IN Newsletter vom 25.04.2003


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