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19.11.2020

Leben ohne Gewalt

Internationaler Tag gegen Gewalt an Frauen

Gewalt gegen Frauen wird oft verharmlost, ignoriert und nicht genug beachtet. Dabei ist Gewalt gegen Frauen in Deutschland ein gravierendes Problem. Jede dritte Frau ist von körperlicher und/oder sexueller Gewalt betroffen, so das Ergebnis einer Untersuchung der Europäischen Grundrechteagentur von 2014. Doch die wenigsten betroffenen Frauen suchen Hilfe und Unterstützung. Das muss sich ändern.

Deshalb setzt das bewährte Bündnis mit dem Frauenhaus der Caritas Ingolstadt, Soroptimist Ingolstadt, Zonta Club Ingolstadt, Wirbelwind e.V. sowie der städtischen Gleichstellungsstelle von Dienstag, 24. November, bis Mittwoch, 25. November, ein Zeichen auf dem Rathausplatz. Mit Schildern und eindringlichen Botschaften machen sie auf die Gewalt gegen Frauen aufmerksam. Sie wollen betroffenen Frauen zeigen, dass sie nicht alleine sind und Ihnen Mut machen sich aus der Gewalt zu befreien. Das Bündnis will außerdem Mitmenschen auffordern, hinzusehen und das Schweigen zu brechen. Es geht darum, die Gewalt konkret zu benennen und zu bekämpfen.
Nach diesen beiden Tagen werden die Schilder noch in der Fußgängerzone, im Westpark, in der Technischen Hochschule und bei Supermärkten stehen. Ergänzend wird auf den großen digitalen Bildschirmen im Stadtgebiet auf die Unterstützungsmöglichkeiten durch das „Hilfetelefon“ hingewiesen.

Mord, Totschlag, Körperverletzung, Bedrohung, Stalking, sexuelle Nötigung, Vergewaltigung oder Zwangsprostitution sind die Facetten der Gewalt gegen Frauen. Jeden Tag versucht ein (Ex-)Partner seine Frau zu töten, jeden dritten Tag stirbt eine Frau in Deutschland durch häusliche Gewalt. Nach Angaben des Bundeskriminalamtes erleiden jährlich rund 140.000 Frauen in Deutschland Gewalt. Die Dunkelziffer ist laut Fachkreisen um ein Vielfaches höher.
In der Region Ingolstadt sind vergangenes Jahr 668 Fälle von häuslicher Gewalt polizeilich aufgenommen worden. Wenn Kinder erleben, dass ihre Mutter vom Vater oder dem (Ex-)Partner misshandelt, geschlagen oder bedroht wird, erleiden auch sie fast immer einen seelischen und häufig auch einen körperlichen Schaden.
Neben der sogenannten häuslichen Gewalt gibt es dann noch die Gewalt im öffentlichen Raum. Nach einer jüngsten Befragung des Kinderhilfswerks Plan, fühlen sich Mädchen und Frauen in Großstädten zunehmend unsicher. Die Befragung hat deutlich gemacht, dass Mädchen und junge Frauen auch in deutschen Großstädten täglich sexuell belästigt, verfolgt, bedroht und beleidigt werden. Dadurch wird ihnen das Recht genommen, sich frei und sicher in den Städten zu bewegen.

Hilfetelefon
Wenn im Umfeld beobachtet wird, dass sich Frauen plötzlich verängstigt zurückziehen oder der konkrete Verdacht besteht, dass eine Frau geschlagen worden ist, steht das bundesweite Hilfetelefon sowohl den betroffenen Frauen als auch Menschen im Umfeld zur Seite. Dort kann rund um die Uhr, an allen Tagen im Jahr und in 17 Sprachen über die Sorgen, Beobachtungen oder einen Verdacht gesprochen und beraten werden. Unter der Rufnummer 116 016 und über die Online-Beratung unter www.hilfetelefon.de stehen professionelle Beraterinnen anonym, kostenlos und barrierefrei zur Verfügung. Auf Wunsch vermitteln die Beraterinnen an eine Unterstützungseinrichtung vor Ort.
Das Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“ ist beim Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben angesiedelt.

Derzeit gibt es bundesweit fast 350 Frauenhäuser, davon auch eines in Ingolstadt. Dazu kommen bundesweit rund sechshundert Beratungs- und Interventionsstellen. In Ingolstadt finden betroffene Frauen eine breite Unterstützung durch Polizei, Strafvollzug, medizinische Behandlung, Therapien und Beratungseinrichtungen, wie z.B. bei der Beratungsstelle Wirbelwind e.V., Telefon 0841 17353, und beim Caritas-Frauenhaus in Ingolstadt unter der Nummer 0841 309-700.

Das Problem betrifft alle gesellschaftlichen Schichten und alle Ethnien. Gewalt gegen Frauen ist nicht abhängig von der Bildung, von der Staatsangehörigkeit oder vom Selbstbewusstsein der Frau. Am häufigsten erleben Frauen Gewalt im familiären Umfeld oder im sozialen Nahbereich. Die Weltgesundheitsorganisation WHO bezeichnet Gewalt gegen Frauen als eines der größten Gesundheitsrisiken von Frauen. Gewalt verletzt die Menschenwürde und hat für die Betroffenen und deren Angehörige weitreichende, oft jahrzehntelange Folgen für deren körperliche und psychische Gesundheit. Die Täter sind meist Ehemänner, Freunde oder Ex-Partner und der Anteil deutscher, männlicher Staatsangehöriger lag bei den von der Kriminalstatistik erfassten Fällen im Jahr 2018 bei 78 Prozent. Die Folgekosten von Gewalt an Frauen ermittelte eine Kostenstudie (tredition 2017) mit 3,8 Milliarden Euro jährlich.

Die Europäische Union und 45 Mitgliedsstaaten haben die sogenannte Istanbul-Konvention unterzeichnet. Deutschland hat sie ebenfalls ratifiziert, so dass sie seit 2018 rechtsverbindlich ist. Die Konvention, die in Istanbul 2011 unterzeichnet wurde, ist ein Übereinkommen des Europarates zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt. Ziel des Pakts ist es, den Schutz von Mädchen und Frauen vor sexuellen Übergriffen und vor körperlicher und psychischer Gewalt in Europa zu verbessern. Weiter soll das Abkommen einen Beitrag dazu leisten, die Diskriminierung von Frauen zu beseitigen und die wirkliche Gleichstellung von Männern und Frauen zu gewährleisten.

Petra Kleine, Bürgermeisterin Stadt Ingolstadt:
„Es braucht Mut, das Schweigen zu brechen. Es braucht besonderen Mut, gerade über diese so nah erlebte, häusliche Gewalt zu erzählen und sie für uns alle sichtbar zu machen. Dafür brauchen die Frauen und Mädchen unsere Solidarität und Unterstützung. Sie brauchen Ermutigung und Hilfe – ausreichend, zur richtigen Zeit und nach ihrem individuellen Bedarf. Die hohen Zahlen zu häuslicher Gewalt im Alltag dürfen uns nicht sprachlos und schon gar nicht mutlos werden lassen. Wir müssen aus dem Mut der Mädchen und Frauen immer wieder Aufklärung und Unterstützung machen – mit gut ausgestatteten, vielfältigen, vielschichtigen und auch präventiven Angeboten. Damit es nicht so weitergeht, sondern besser werden kann. Geben wir den Mädchen und Frauen unsere Aufmerksamkeit und arbeiten gemeinsam an einer Gesellschaft, in der wir alle leben können.“

Barbara Deimel, Gleichstellungsbeauftragte der Stadt Ingolstadt:
„Wichtigstes Signal an die betroffenen Frauen muss sein: Ihr seid nicht allein! Es gibt Hilfe und Unterstützung. Alle Frauen haben ein Recht auf ein gewaltfreies Leben. Wichtigstes Signal an die Verantwortlichen in der Politik: Unterstützen Sie die betroffenen Frauen mit Beratungsstellen und deren finanzieller Ausstattung sowie mit weitergehenden Maßnahmen. Aber setzen Sie sich auch dafür ein, die Gewalt zu bekämpfen. Dafür braucht es viele Menschen und die Bereitschaft sich fundamental für die Gleichstellung und vor allem für die Frauen einzusetzen. Die männlichen Täter sind hier das Problem und die Bedrohung. Es müssen gezielt auf nationaler und kommunaler Ebene Lösungsansätze gefunden werden, um die Gewalt zu beenden.“

Kathy Zängler, Präsidentin Soroptimist Club Ingolstadt:
„Gewalt gegen Frauen und Mädchen ist eine der weitverbreitetsten Menschenrechtsverletzungen der Welt. Sie kann jede Frau treffen – unabhängig vom Alter, sozialem oder kulturellem Hintergrund. Geschlechterbedingte Gewalt hat viele Gesichter und wirkt sich gravierend auf alle Lebensbereiche aus. Die Beendigung und die gezielte Prävention von Gewalt an Frauen muss ein Kernpunkt in unserer Gesellschaft und in unserer Politik werden. Strukturen und Institutionen müssen noch besser zur Behandlung von physischer und psychischer Gewalt gerüstet sein. Dieses Thema muss immer wieder in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt werden – nicht nur am Orange Day.“

Andrea Schlicht, Leiterin Frauenhaus der Caritas Ingolstadt:
„Im letzten Jahr sind insgesamt fünfzig Frauen mit fünfzig Kindern aus ihrem Zuhause zu uns ins Frauenhaus Ingolstadt geflüchtet, 172 Mal haben wir telefonisch beraten. Vor allem betroffene Frauen, aber auch Freunde, Verwandte, Arbeitskolleginnen, Kliniken und Ämter. Mit 35 Frauen haben wir Beratungsgespräche geführt. Bei der Rufbereitschaft am Abend, in der Nacht und am Wochenende gingen 137 Anrufe ein.
Frauen, die zu uns kommen, haben zuhause oft über viele Jahre Gewalt erlebt. Schläge, Vergewaltigung, Morddrohungen, soziale Isolation gehörten zu ihrem Lebensalltag. Kinder und Jugendliche erleben diese Situation mit oder erfahren selbst Gewalt. Psychisch und physisch erschöpft, oft traumatisiert und aus ihrer vertrauten Umgebung gerissen, kommen diese Frauen und Kinder zu uns ins Frauenhaus. Gewalt gegen Frauen ist nicht nur absolut inakzeptabel, sondern eine schwerwiegende Verletzung der Menschenrechte. Wir als Gesellschaft, die Politik und jede/r Einzelne von uns sind in der Verantwortung für Frauen Sicherheit zu schaffen. Wir wollen mit der Aktion ,Orange‘ ein Zeichen setzen und das Schweigen brechen.“

Marlies Mayer, Präsidentin ZONTA Club Ingolstadt:
„Gewalt gegen Frauen und Mädchen ist die weltweit häufigste Menschenrechtsverletzung. Dagegen setzen wir uns als internationale Organisation entschieden ein, sowohl auf nationaler Ebene als auch weltweit. Ziel unsrer Aktion ,Zonta says NO‘ ist es, dafür zu sorgen, dass immer mehr Menschen hinschauen und NEIN sagen, wann immer Frauen und Mädchen Gewalt ausgesetzt sind. Gewalt gegen Frauen und Mädchen darf nicht mehr bagatellisiert oder als deren persönliches Problem betrachtet werden. Dies gilt für alle Lebensräume, im Privaten, im Öffentlichen aber auch in der virtuellen Welt. Schauen auch Sie hin, wenn Sie Gewalt und Bedrohung bemerken. Geben Sie den männlichen Gewalttätern keine Unterstützung indem Sie wegschauen. Es gibt viele Möglichkeiten: auf politischer Ebene, durch Unterstützung der Beratungsstellen, durch ein Gespräch zum rechten Zeitpunkt oder auch ein ,Dislike‘ in den sozialen Medien. Jeder Frau und jedem Mädchen soll und muss es ermöglicht werden ein selbstbestimmtes Leben zu führen!

Andrea Teichmann, Wirbelwind Ingolstadt e.V.:
„Gewalt gegen Frauen hat viele Gesichter. Ebenso vielfältig muss das Hilfesystem aufgestellt sein. Das ist notwendig, weil emotionale, psychische, sexualisierte, strukturelle aber auch physische Gewalt von außen kaum erkennbar sind.“