Foto: Marc Köschinger Wissensspeicher zur Geschichte von Ingolstadt  
Georgianum
Ausstellung im Stadtmuseum Ingolstadt 2018
Eröffnungsvortrag von Prof. Dr. Winfried Haunerland

 
Vortrag von Prof. Dr. Winfried Haunerland, München
Zur Eröffnung der Sonderausstellung
„Georgianum. Ein Ingolstädter Baudokument im Strom der Zeit“

Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Im Jahr 1494 stiftete Herzog Georg der Reiche ein neues Kolleg für elf bedürftige Studenten der Landesuniversität. 1994, anlässlich des 500. Jahrestages dieser Stiftung, veröffentlichte der Münchener Kirchenhistoriker und Altgeorgianer Georg Schweiger ein Buch mit dem Titel: „Das Herzogliche Georgianum in Ingolstadt, Landshut, München. 1494-1994 (1) (Regensburg 1994). Die drei Ortsnamen im Titel sind mir die Stichworte, unter denen ich mit Ihnen einen kleinen Blick werfen möchte auf die Geschichte der Institution, deren erste Herberge hier in Ingolstadt steht und Anlass für die Ausstellung ist, die heute eröffnet wird. Am Ende werden wir wieder in Ingolstadt ankommen.

1. Das Georgianum in Ingolstadt

Die elf Studenten, die zusammen mit ihrem Regens in dem neuen Kolleg Wohnung nehmen sollten, erhielten ihr Stipendium fünf Jahre und konnten nach den Studium der artes sich – sofern sie die Höchstdauer noch nicht erreicht hatten – anschließend der Theologie oder anderen Fächern widmen. Herzog Georg hatte damit sicher kein Priesterseminar im späteren Sinn gegründet, zumal eine akademische Ausbildung an der Universität seinerzeit nicht der obligatorische Weg zum geistlichen Amt war. Allerdings war die Stiftung des Georgianums doch ein Akt der Frömmigkeit des Herzogs, der gleichsam als Gegenleistung den Kollegiaten geistliche Gebetsverpflichtungen für die Stifterdynastie auferlegte. Der geistliche Charakter des Hauses wird auch dadurch betont, dass der Regens nicht nur Magister der Artistenfakultät sein musste, sondern zugleich auch Priester.

Dass dennoch das Herzogliche Georgianum als ältestes deutsches und zweitältestes Priesterseminar der Welt angesehen wird, hat seine Berechtigung darin, dass die Herzoglich Georgianische Stiftung über die Jahrhunderte hinweg Bestand hatte und durch verschiedene Entwicklungen immer mehr in die Rolle eines Kollegs kam, in dem jene wohnten, die den geistlichen Stand anstrebten. Als Petrus Canisius die Idee aufbrachte, das Herzogliche Georgianum in ein von den Jesuiten geleitetes Priesterseminar umzuwandeln, wurde 1555 unter Herzog Albrecht V. in diesem Sinn durch die Regierung die Struktur des Georgianums modifiziert oder – harmonisierend gesprochen – weiterentwickelt, wie Klaus Unterburger zusammenfasst: „so erhöhte man die Stipendienzahl und verlängerte die Dauer der Stipendien von fünf auf acht Jahre, was zur Folge hatte, dass nach dem Magister Artium auch noch eine längere Zeit Theologie studiert werden konnte. Vor allem aber wurde nun die Idee, dass die Freiplätze die Verpflichtung begründeten, den geistlichen Stand zu ergreifen, in die ursprüngliche Stiftung hineininterpretiert. (2) So jedenfalls die Deutung von Klaus Unterburger.

Das Haus wurde damals allerdings nicht den Jesuiten übertragen und 1593 gelang es sogar, die Unterordnung des Georgianums unter die mittlerweile vollständig von den Jesuiten übernommene Artistenfakultät aufzuheben und das Georgianum unter die Aufsicht der Universität und ihres Rektors zu stellen. So wurde das Georgianum weder durch die Jesuiten geprägt noch zu einem Priesterseminar, wie es dem Konzil von Trient vorschwebte, das 1563 die Errichtung eines Ausbildungshauses für die Priester allen Bistümern vorgeschrieben hatte. Das Georgianum behielt – wie Klaus Unterburger urteilt – weitgehend seinen „vorreformatorischen Charakter (3).

Die Eigenständigkeit des Georgianums wurde auch im 17. Jahrhundert erfolgreich verteidigt, als die sogenannten Bartholomäer eine Umformung versuchten. In den 1675 von Kurfürst Ferdinand Maria erlassenen Statuten „bestimmte man, dass aufgrund des Stiftungscharakters der meisten Stipendien das Haus eine primär der Ausbildung zum geistlichen Stand dienende Institution sei; nähme ein hierfür präsentierter Stipendiat nicht die Weihen, müsse er das Stipendium zurückbezahlten.“ (4) Auch die weitere Entwicklung im 18. Jahrhundert zeigt, dass das Georgianum in enger Verbindung mit der Universität blieb und weiterhin zwar nicht ausschließlich, aber doch vorwiegend der Priesterausbildung diente.

Ich wage ein erstes Resümee im Blick auf diese Entwicklung: Hier entwickelte sich ein Modell, mit dem Staat und Kirche in den vergangenen Jahrhunderten gut gefahren sind: Priesterausbildung an Universitäten, in denen die Theologie im Gespräch mit den anderen Wissenschaften steht und sich nicht leisten kann, ihre Wissenschaftlichkeit aufs Spiel zu setzen. Mehr als früher wissen wir heute, dass nicht nur die Theologie, sondern auch andere Wissenschaften keineswegs voraussetzungslos betrieben werden. Wenn Objektivität als Voraussetzungslosigkeit verstanden würde, gäbe es überhaupt keine objektiven Wissenschaften. Fehlende Objektivität in diesem Sinn wäre jedenfalls kein Spezifikum der Theologie.

Herzog Georg und seine Nachfolger haben mit dem Georgianum faktisch einen Ort geschaffen, der als wichtiges Bindeglied zwischen der universitären Theologie und einer ganzheitlichen, auch kirchlich mitgeprägten Bildung fruchtbar werden konnte. In meinen Augen gehört es zu den segensreichen Entwicklungen, dass im deutschen Sprachgebiet Theologische Fakultäten und Theologenkonvikte bzw. Priesterseminare hier aufs Ganze gesehen eine produktive Kooperation und Arbeitsteilung entwickelt haben. Schon bevor die Idee des tridentinischen Seminars entwickelt und umgesetzt wurde, finden sich insofern in den Ingolstädter Bemühungen seit dem 16. Jahrhundert Ansätze, die nicht nur in Bayern fruchtbar geworden sind.

2. Das Georgianum in Landshut

Am Ende des 18. Jahrhunderts gab es – erstmals in Österreich, aber dann auch in Bayern – die Tendenz, zur Qualitätssteigerung der Priesterausbildung die Zahl der Seminare einzuschränken und nur noch Generalseminare für größere Bereiche einzurichten. Auf dieser Linie liegen auch die Bemühungen, im Jahr 1785 das Georgianum in Ingolstadt zu einem pfalzbayerischen Generalseminar umzuwandeln. Als die Landesuniversität im Jahr 1800 nach Landshut verlegt wurde, sollte das Georgianum endgültig das einzige im Land zugelassene Priesterseminar sein, also wirklich ein bayerisches Generalseminar werden. Im ehemaligen Jesuitenkolleg fand das Georgianum in Landshut seine neue Heimat.

Konflikte zwischen Universität und Georgianum führten dazu, dass der damalige Direktor Matthias Fingerlos, ein stark von der Aufklärung geprägter Pastoraltheologe, versuchte, das Georgianum von der Universität abzukoppeln und in eine gänzlich eigenständige Anstalt umzubilden. Gleichzeitig aber wuchs der Wunsch der Bischöfe, selbst mehr Einfluss auf die Priesterausbildung nehmen zu können. Das alles führt schließlich dazu, dass im Konkordat von 1817 festgelegt wird, dass alle Diözesen ein eigenes Diözesanseminar erhalten sollen. Die Idee des Generalseminars war damit offensichtlich nach gut dreißig Jahren obsolet geworden.

Im Rückblick wird man sagen können, dass das Generalseminar und der damit verbundene Zentralismus staatlichen Interessen entsprang, während die Bischöfe schon damals eher lokal und individueller dachten. Dennoch kann der gescheiterte Versuch eines Generalseminars im Blick auf aktuelle Entwicklungen anregend sein und zu denken geben. Denn Zentralisierung und Einheitlichkeit scheinen offensichtlich immer wieder wie Zauberformeln zur Qualitätsverbesserung. Nicht nur kirchliche Uniformierungsprozesse, sondern auch die gescheiterten Versuche staatlicher Planwirtschaft mahnen zur Zurückhaltung. Im Blick auf die Priesterausbildung ist es heute dringend, über Konzentration nachzudenken. Lebensfähige Priesterseminare brauchen eine gewisse Größe. Aber gerade solche Konzentrationen können im Dienst einer Vielfalt stehen, die den unterschiedlichen Begabungen, Laufbahnen und Entwicklungsmöglichkeiten besser gerecht werden.

Wenn – wie es in Sonntagsreden oft betont wird – der Einzelne mit seinem Potential und seinen Begrenzungen im Mittelpunkt stehen soll, dann wird es nicht wichtig sein, dass in jeder Diözese und an jeder Universität Priesterausbildung stattfindet. Aber dann wird es auch nicht reichen, ein einziges zentrales und einheitliches Modell zu entwickeln. Nötig werden mehrere Zentren mit unterschiedlichen Profilen und Schwerpunkten sein.

Nur an einem Beispiel sei dies illustriert: Es gibt Studenten, die in einer Großstadt wie München orientierungslos bleiben und gleichsam zu ertrinken drohen, es gibt aber ebenso Studenten, die in einer beschaulichen Kleinstadt wie Eichstätt nicht wirklich zu einem aufbauenden Studium finden, weil ihnen dort die Luft zum Atmen fehlt. Zwischen Zentralisierung und Zersplitterung brauchen wir einen Weg zu einer relativen, aber Vielfalt ermöglichenden Konzentration.

3. Das Georgianum in München

Werfen wir noch einen kurzen Blick auf die knapp zweihundert Jahre, die das Georgianum nun schon in München seinen Ort gefunden hat. Als König Ludwig I. die Landesuniversität 1826 nach München und damit in die Haupt- und Residenzstadt des Königreichs Bayern verlegte, zog auch die alte Herzogliche Stiftung in die Stadt an der Isar. Mit der Universität befand sich das Georgianum zuerst in der Innenstadt und erhielt von König Ludwig das heutige Gebäude, das zwischen 1835 und 1840 gegenüber der Universität an der Ludwigstraße errichtet wurde.

Das Georgianum blieb der Universität und näherhin der (Katholisch-) Theologischen Fakultät immer eng verbunden, nicht zuletzt dadurch, dass die Fakultät aus ihren Reihen den Direktor der Stiftung vorzuschlagen hatte. Die Spannungen zwischen Staat und Kirche sowie Theologie und Lehramt hatten zumindest indirekt auch Konsequenzen für das Georgianum. Denn aus kirchlicher Perspektive stellte sich verständlicherweise die Frage: Kann eine staatliche oder öffentliche Stiftung, die nicht unter kirchlicher Kontrolle steht, ein legitimer Ort der Priesterausbildung sein? Die Legitimität der Frage wird evident, wenn wir an diktatorische Regime denken, die alles und deshalb auch die Religionen und die Ausbildung der Religionsdiener kontrollieren wollen. Es war vor allem der Münchener Erzbischof Michael von Faulhaber, der in der staatlichen Stiftung einen Geburtsfehler des Georgianums sah und versuchte, es unter seine vollständige Kontrolle zu ziehen. Bleibendes Ergebnis dieser Auseinandersetzung ist, dass der Spiritual des Georgianums – im Gegensatz zum Direktor und Subregens – vom Erzbischof von München und Freising ernannt wird. Der Charakter der Stiftung allerdings hat sich nicht geändert.

Nach meiner Überzeugung hat die Konstruktion, die sich ja mehr entwickelt hat, als dass sie frei gewählt wurde, wohl bewährt. Denn auch wenn die Stiftung selbständig ist, so ist doch die Ausbildungsordnung auf die kirchlichen Vorgaben abgestimmt und von der Freisinger Bischofskonferenz genehmigt worden. Vor allem aber hat sich in Vergangenheit und Gegenwart gezeigt: Nicht wenige bayerische und zunehmend auch internationale Theologieprofessoren haben während ihres Studiums im Georgianum gelebt. Das Potential nutzt aber offensichtlich auch die Hierarchie immer wieder, wenn sie für kirchliche Führungsaufgaben auf ehemalige Georgianer zurückgreift. So gehören etwa der gegenwärtige Generalvikar von Passau, der neue Bischof von Würzburg und der emeritierte Papst Benedikt XVI. in Rom zu denen, die durch das Priesterseminar mit dem Faulhaber‘schen Geburtsfehler auf dem Weg ihrer Ausbildung gefördert und geprägt wurden.

Im Blick auf das Georgianum in München werden wir sagen können, dass die Stiftung mit Ausnahme der wenigen Jahre, als die Theologische Fakultät an der Ludwig-Maximilians-Universität vom Nationalsozialistischen Regime geschlossen worden war, über mehr als ein halbes Jahrtausend ihre Aufgabe treu erfüllen konnte. Dabei hat sie den Auftrag und damit den Stiftungszweck zeit- und situationsgemäß immer wieder neu interpretiert und weiterentwickelt. Die große Zahl der Theologischen Fakultäten und die geringer gewordene Zahl der bayerischen Priesterkandidaten hat in den letzten Jahrzehnten dazu geführt, dass der Stiftungsauftrag der neuen Situation angepasst werden konnte und auf die zunehmende Internationalisierung der Ludwig-Maximilians-Universität und ihrer Theologischen Fakultät eingehen konnte. Prinzipiell können heute Priesterkandidaten und studierende Priester nicht nur aus Bayern, sondern auch aus anderen deutschen Diözesen und aus der ganzen Welt im Georgianum leben und ihre das Studium ergänzende Ausbildung erhalten. (5) Deshalb ist es wohl keine Frage: Das eigentliche Anliegen der herzoglichen Stiftung von 1494 und der segensreichen Ingolstädter Jahrhunderte und Landshuter Jahre ist heute dem Herzoglichen Georgianum in München aufgetragen.

4. Das Georgianum in Ingolstadt heute

Aber so sehr wir in München also verpflichtet sind, die Stiftung – hoffentlich im Sinne des Stifters – weiterzuentwickeln, so sehr scheint es mir doch sinnvoll zu sein, dass auch hier in Ingolstadt das Anliegen des Stifters lebendig bleibt und der genius loci nicht ausgeblendet wird. Die Ausstellung, die wir heute eröffnen, verstehe ich jedenfalls als einen Versuch, sich diesem Geist des Ortes wieder einmal als Stadtgemeinschaft zu nähern. Das Georgianum soll ja – so empfinde ich die glückliche Entscheidung der Stadt Ingolstadt – vor dem Hintergrund seiner Geschichte eine zukunftsfähige Gestalt bekommen.

Als Universität und Stiftung im Jahr 1800 nach Landshut gegangen waren, wechselte das georgianische Gebäude-Ensemble Besitzer und Funktion. Die Kolleghäuser wurden öffentlich versteigert und dienten nach entsprechenden Umbauten der Brauerei Herrnbräu. In den letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts wurden die Gebäude von der Firma Gummi-Kraus genutzt.

Man mag das bedauern, weil dabei natürlich auch die Substanz des Gebäudekomplexes gelitten hat. Aber die Erfahrung zeigt, dass in der Regel jede Form der Nutzung mehr zum Erhalt eines Gebäudes beiträgt, als wenn ein Gebäude leer steht und damit der Verfall droht. Deshalb habe ich auch aus der Distanz mit Interesse wahrgenommen, dass es mehrfach Diskussionen über die zukünftige Nutzung gab. Zu meinem Bedauern musste ich dann aber immer wieder hören, dass diese Ideen nicht weiterverfolgt wurden. Dass jetzt ein Nutzungskonzept entwickelt wurde und der Gebäudekomplex bald universitäres, öffentliches und gastronomisches Leben beherbergen und ermöglichen soll, ist umso erfreulicher. Es gibt also Grund zu der sicheren Erwartung, dass das alte Georgianum in Ingolstadt eine Zukunft vor sich hat. Auf veränderte Weise wird es wieder im Dienst von Wissenschaft und Öffentlichkeit stehen.

Bekanntlich haben viele Menschen nicht nur einen einzigen Erben. Entsprechend darf auch des Herzogs Georgs neues Kolleg in Ingolstadt an verschiedenen Orten und von verschiedenen Institutionen und auf verschiedene Weise beerbt werden. Deshalb wünscht das Münchener Georgianum dem Ingolstädter Georgianum in großer Mitfreude und von ganzem Herzen eine blühende Zukunft.

Anmerkungen
(1) Georg Schweiger, Das Herzogliche Georgianum in Ingolstadt, Landshut, München. 1494-1994, Regensburg 1994.
(2) Klaus Unterburger, Zwischen Universität und bischöflicher Kontrolle. Das Verhältnis des Herzoglichen Georgianums in München zum Episkopat und zur Rechtsform eines bischöflichen Priesterseminars im Laufe der Geschichte, in: MThZ 61 (2010) 291-316, hier 298.
(3) Ebd. 300.
(4) Ebd. 302.
(5) Vgl. Winfried Haunerland, Das Herzogliche Georgianum. Ein Haus der Priesterbildung am Beginn des 21. Jahrhunderts, in: MThZ 61 (2010) 352-361.

Prof. Dr. Winfried Haunerland, München. 25. November 2018


Rundgang durch die Ausstellung (Tafeltexte)


Siehe auch:

Impressum - - - Nachricht an den Gestalter der Seiten: Kurt Scheuerer
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