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Maximilian Böhm:
Tierglocken aus aller Welt
Tafeltexte der Ausstellung

 

Hirte und Schellenrichter

Das Geläute der Herdentiere dient in erster Linie dem Hirten, der am Ton der Glocken und Schellen seine Herde zusammenhält. Es lag daher nahe, dass die Hirten sich auch mit Herstellung und Pflege der Geläute beschäftigten.
Ein typisches Beispiel liefern die Hirten des fänkischen Jura, von wo die hier ausgestellten Schellenbögen stammen.

Bis in die 1950er Jahre gab es hier vielerorts den Gemeindehirten. Dessen Aufgabe war nicht nur das Hüten der Tiere im Sommerhalbjahr.
Oft war er auch Stierhalter, Tierarzt, erfinderischer Handwerker und Hochzeitslader.
Zu seinen Nebentätigkeiten gehörte es auch, im Winter die Schellen zu reparieren, die während des Sommers Dellen, Risse und Sprünge bekommen hatten. Solche Beschädigungen beeinträchtigten den Klang der Schellen.
Die Hirten aber legten großen Wert auf einen harmonischen Klang der Geläute. Die Schellen einer Kuhherde waren klanglich aufeinander abgestimmt. In der Regel unterschieden sich dadurch auch die Geläute verschiedener Herden.

Selbst die Herstellung der Schellen war oft dem Hirten überlassen, was viel Geschick und Mühe erforderte. Das Blech wurde zugeschnitten und im Feuer geschmiedet. Anschließend wurden die Schellen gestimmt und schließlich poliert.


Schellenbögen aus Franken

Seit Anfang des 18. Jahrhunderts hatte sich im fränkischen Jura ein eigenständiges Hirtenbrauchtum entwickelt, das sich vereinzelt bis Mitte des 20. Jahrhunderts erhielt. Zu den Besonderheiten der hier ansässigen Hirten gehörte vor allem die Herstellung von bemalten Schellenbögen für die Weidetiere.

So waren die Hirten im Winter, wenn die Weidetätigkeit ruhte, mit dem Herrichten und Bemalen der Schellenbögen beschäftigt. Die hölzernen Schellenbögen ersetzten hier die andernorts üblichen Lederriemen.

Zur Herstellung der hölzernen Schellenbögen wurde ein zurechtgesägtes Nussbaumbrett in heißem Wasser gesotten, bis es biegsam war. Danach wurde es in der gewünschten Bogenform in einen Bock gespannt, damit es nach der Trocknung in dieser Biegung verblieb.
Die so gewonnenen Schellenbögen bemalte der Hirte mit Ölfarbe.

Die Schellenbogen-Ornamentik der Jurahirten entwickelte sich zu einer eigenständigen Volkskunst. Es bildeten sich verschiedene Grundtypen heraus, wie die "Blumenbogen", "Schneckenzugbogen" oder "Kronenbogen" (mit Krone und Reichsapfel bemalte Bögen). Beliebt war auch die Kennzeichnung der Viehhalter durch Handwerks- und Gewerbezeichen. Meist hielt man sich an einen festen Farbkanon.


Rudolf Daub: Das Werden einer Sammlung

»Da ich meiner Frau bei Bergtouren manchmal vorausgelaufen bin, schenkte uns unsere Tochter vor mehr als 30 Jahren zwei Glocken; eine tiefer tönende für mich und eine heller klingende für meine Frau. Wir sollten diese Glocken bei den Wanderungen auf verschlungenen Bergpfaden umhängen, um immer wieder zusammenzufinden.

Von da an nahmen wir wahr, dass die Kühe auf den Berghängen, die oft weit zerstreut weideten, Glocken umgehängt hatten, so dass auch sie nicht verloren gehen konnten. Damit traten Glocken erst richtig in unser Bewußtsein. Meine Frau bekam ein paar Kuhschellen geschenkt und hängte sie an die Wand. Wir sahen sie uns genauer an und erfreuten uns an den verschiedenen Arten und Formen.

Wenn wir nun von Reisen heimkehrten, brachten wir aus vielen Ländern und Gegenden typische Tierglocken zurück. So entstand die Sammlung mit Glocken von allerlei Tieren, von Kühen, Pferden, Eseln, Kamelen, Elefanten, Rentieren, Lamas, Ziegen und Schafen bis hin zu Glöckchen für Hunde, Katzen und Falken.«


Warum Tiere Glocken tragen

Schellen und Glocken werden den Tieren aus verschiedenen Anlässen und zu verschiedenen Zwecken umgehängt.

Am Anfang stand vermutlich die kultische Funktion der Glocke. Ihr Klang sollte vor bösen Mächten schützen und gute Geister herbeirufen.

Aber Glocken dienten auch immer schon als Schmuck, etwa bei Opfertieren oder bei heiligen Tieren. Beim Almabtrieb werden noch heute die schönsten Kühe mit großen Schellen geschmückt. Zugleich kennzeichnen die verschiedenen Geläute zusammen mit dem Riemenschuck das Eigentum der einzelnen Bauern.

Die wichtigste Funktion der Tierglocke ist jedoch ihr Gebrauch als Signalinstrument.
Das Glockengeläut dient dem Hirten dazu, das Vieh in unübersichtlichem Gelände wiederzufinden. Auch das Vieh selbst findet anhand des Geläutes wieder zusammen, wenn es sich zu weit zerstreut hat.

Gelegentlich dienen die Glocken auch als Warnsignal an Fuhrwerken. So warnt das Geläut der Schlittenpferde die Passanten vor dem lautlos herannahenden Gefährt.


Glocken - Schellen - Rollen

Landläufig wird der Begriff "Tierglocke" für alle Geläute von Nutztieren verwendet. Je nach Herstellungsweise kann man die Geläute aber nach Glocken, Schellen und Rollen unterscheiden.

Glocken
Eine Glocke wird aus heissem, flüssigem Metall gegossen. In der Antike handelte es sich dabei um Bronze, heutzutage giesst man Glocken aus exakt abgemischten Legierungen aus Kupfer und Zinn. Als Glocken werden aber auch die geschnitzten Geläute aus Holz, Bein oder Bambusrohr bezeichnet. Die typische Glocke Ostasiens ist klöppellos. Sie wird von aussen je nach Größe mit einem Holzklöppel oder Balken angeschlagen.

Schellen
Schellen werden aus Eisen-, Kupfer- oder Messingblech geschmiedet. Die Bleche sind seitlich vernietet oder verschweißt. Es gibt aber auch offene Formen, etwa in Afrika. Schellen haben meist einen Überzug aus Kupfer oder Messing, der sie vor Korrosion schützt und ihnen einen besseren Klang verleiht. Sie werden an Lederriemen oder an hölzernen Schellenbögen getragen.

Rollen
Rollen sind kugelartige Schellenformen mit einem losen runden Stein oder einer kleinen Eisenkugel im Innern. Die Rolle bzw. Rollschelle ist nach ihrem herum-rollenden Klöppel bezeichnet, nach ihrem Äußeren nennt man sie auch Froschmaul.


Frühe Tierglocken

Urformen der Glocke waren aus ausgehöhlten Fruchtkörpern, Holz oder Ton geformt, und es gab sie vermutlich schon in der Jungsteinzeit. Glocken und Rasseln waren ursprünglich Kultinstrumente mit unheilabwehrender Wirkung. Im alten Orient war es üblich, Opfertieren, heiligen Tieren und Reittieren Glocken und Schellen umzuhängen.

Die Entwicklung zur Metallglocke ging einher mit den Fortschritten der Metallurgie. Die frühesten Metallglocken dürften aus China stammen, wo schon ab 3000 v.Chr. Metalle gebräuchlich waren und Klanginstrumente angefertigt wurden.

Eine andere Wiege früher Hochkulturen war das mesopotamische Zweistromland. Die in der angrenzenden Provinz Luristan gefundenen Bronzen, darunter zahlreiche Tierglocken, zeichnen sind durch ihren besonderen Formenreichtum aus.
Die im 2. Jahrtausend v. Chr. in Luristan beheimateten Kassiten waren ein kriegerisches Reitervolk. Sie schmückten ihre Pferde mit Glocken und Schellen und legten diese nach dem Tod ihrer Krieger als Beigaben in die Gräber.

Aus unserem engeren Kulturkreis sind besonders schöne Tierglocken aus römischer und byzantinischer Zeit überliefert.


Tierglocken im Volksglauben

Glocken und Schellen wurden ursprünglich als Kultinstrumente verwendet. Nach den Vorstellungen von Naturvölkern lassen sich mit der Macht des Glockentones Dämonen vertreiben. Er soll die Tiere vor bösen Geistern ("Almgeistern") und vor Missetätern schützen, die der Glockenklang in die Flucht jagt. Die Glocke behütet eine Gegend, die sie mit ihrem Geläut erfüllt.

Nach dem Volksglauben kann der Glockenklang auch gute, hilfreiche Geister herbeirufen und eine positive Stimmung erzeugen. In manchen Gegenden Mitteleuropas wurde während der Saat- und Erntezeit zu bestimmten Stunden geläutet, um das Saatgut gedeihen zu lassen und um einen reichen Ertrag einzufahren.

Bei großen Wintersportereignissen schwingen die Zuschauer noch heute nach altem Ritual Glocken und Schellen nicht nur als Lärminstrument, sondern auch "um die Götter günstig zu stimmen."


"Nur Fische tragen keine Glocken"

Den meisten von uns sind Tierglocken nur von den Weidetieren unserer Gebirgsregionen bekannt. Tatsächlich aber wird auf der ganzen Welt eine Vielzahl von Tieren mit Glocken geschmückt.
Und die Tiere tragen ihre Glocken an den unterschiedlichsten Körperteilen.

Neben den bekannten Weidetieren wie Kuh und Ziege, die ihre Glocken und Schellen meist um den Hals oder, wie beim Ziegenbock, als "Schürze" tragen, sind es vor allem die Arbeits- oder Lasttiere, denen man Glocken umhängt: Pferde tragen sie als Schmuck, welcher meist am Geschirr bzw. Zaumzeug oder als Hufgehänge getragen wird. Eseln, Maultieren, Arbeitselefanten oder Wasserbüffeln werden die Glocken meist um den Hals gehängt. Auch Yaks und Lamas tragen Halsglocken.

Die Schweine des Antoniusordens tragen meist ein Glöckchen im Ohr. Und bei den heiligen Kühen in Indien findet man kleine Geläute als Hörnerschmuck. Mit Glocken geschmückt werden die Karawanentiere der Wüste ebenso wie die Rentiere des Nordens.
Aber auch den Haustieren wie Hund und Katze werden mit Glöckchen bestückte Halsbänder umgeschnallt. Und traditionell trägt der Jagdfalke sein Glöckchen am Fuß.


Almabtrieb und Viehscheid

Der Almabtrieb ist ein großes herbstliches Fest der Sennbauern in den Alpen. Nachdem die Herde den ganzen Sommer auf den hochgelegenen Gebirgsweiden verbracht hat, kehrt sie nun heim in den Winterstall.

Am Tag des Viehscheids sammeln die Senner und Hirten ihre Tiere in der Höhe. Das sogenannte Kranzrind, das die Herde anführen wird, erhält einen aufwendig gestalteten Kopfputz aus Blumen und kleinen Spiegeln. Dieser Leitkuh wird die größte und schönste Glocke umgehängt. Dann beginnt der Abtrieb in das Dorf.

Unter dem lauten Dröhnen der dumpfen und hellen Glockentöne drängt die Herde talwärts, begleitet von den Bauern und Treibern in festlicher Kleidung. Unten warten bereits die Dorfbewohner auf den Ruf "das Vieh kommt!". Nach der Ankunft werden die Tiere auf den Scheidplatz getrieben, wo sie ihren Besitzern zugewiesen werden.

Der Viehscheid ist heute vielerorts zu einem touristischen Spektakel geworden, das Zehntausende von Besuchern anzieht.
Mit Bierzelt und brauchtümlichem Rahmenprogramm hat der Almabtrieb den Charakter eines Volksfestes erhalten. - Die Kuhglocken werden an diesen Tagen zu gefragten Souvenirs.


Schellen im Brauchtum

Ursprünglich galt das Tragen von Schellen als eine hohe Auszeichnung. Schon im Buch Mose wird berichtet, dass der jüdische Hohepriester goldene Schellen an seinem Gewand trug. Ihr Klang zeigte dem Volk, das im Vorhof wartete, die Verrichtungen des Priesters im Heiligtum an, so dass es diese betend verfolgen konnte.
Auch das Christentum behielt den Brauch bei, Schellen an Messgewändern zu befestigen. Im Mittelalter war es bei Rittern und Adeligen Mode, Schellen als Verzierung der festlichen Kleidung zu tragen.

Erst später erhielten die Schellen negative Bedeutung und dienten zur Kennzeichnung der Narren. Noch heute sind sie fester Bestandteil der alemannischen Fastnachtskostüme, etwa bei den Fasenickeln des Altmühltals. In manchen Orten des Alpenraumes wie in Mittenwald oder Garmisch-Partenkirchen gibt es noch den Brauch des Schellenrührens oder Schellenlaufens, bei dem eine maskierte Gruppe im rhythmischen Takt der um den Körper geschnallten Schellen durch das Dorf zieht.

Die Schelle gilt als Symbol für Narrheit und ihr Gerassel wird mit Geschwätzigkeit gleichgesetzt. In Schwaben nennt man ein schwatzhaftes Weib deshalb "eine alte Schelle".

»Im Mittelalter trugen die Aussätzigen Schellen und klingelten damit, um vor sich selbst zu warnen, aber auch, um zu betteln. Die Römer hängten Missetätern Schellen um, die abgestraft werden sollten.
Etwas ähnliches hat sich in Tirol erhalten:
Man hängt den beim 'Fensterln' Erwischten Viehschellen um den Hals und jagt sie damit durchs Dorf; ihr Vergehen wird sozusagen 'an die große Glocke' gehängt, damit sie dem Spott nicht entgehen. Diese Art der Volksjustiz können sich aber wohl nur sehr ehrbare Dörfer erlauben; mancherorts würde, wenigstens an den Samstagen, ein nächtliches Geläute entstehen, dass man glauben müsste, der Hirt treibt aus!«
Konrad Hörmann, 1917


Sven Hedin

»Mit unbeschreiblichem Wohlbehagen lauscht man im Liegen dem dumpfen Klange der leitenden Glocken in der Ferne; der Klang wird immer heller, er klingt ernst und feierlich und markiert den majestätisch ruhigen Gang der Kamele.
Schaut man in die Nacht hinaus, so sieht man mächtige schwarze Schatten gespensterhaft vorüberschweben; ihre weichen Tritte rufen keinen Laut hervor, aber die Glocken läuten mit durchdringenden Tönen, und von den Felswänden antwortet das Echo mit demselben Klange.

Zwanzig Jahre sind es schon her, seit ich diesen Klang zum erstenmal hörte, und seitdem ist er, wie ein leiser Ton klingend, durch mein Leben gegangen. Beim Klange der Glocken bin ich damals aus Bagdad nach Kurdistan hinaufgeritten, durch Choassan und Turkestan gezogen und habe die Wüste Takklamakan durchreist; dort läuteten sie uns zu Grabe, denn die ganze Karawane, außer mir und zweien meiner Leute, kamen vor Durst um.
Und beim Klange der Glocken zog ich auch durch das Land der Mongolen und durch Nordchina.«
Sven Hedin (um 1900)

 

Tafeltext: Dr. Maximilian Böhm, Ingolstadt, 2002


Siehe auch:
  • Bilder zur Ausstellung

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