Logo Kurt Scheuerer, Ingolstadt Wissensspeicher zur Geschichte von Ingolstadt  
Josef Würdinger:
Ingolstädter Musikmeister des 19. und 20. Jahrhunderts

 

Max Seidenspinner (1912-1989),
Musikmeister, Komponist und Dirigent
aus Ingolstadt

Max Seidenspinners Arbeit beim Sängerverein „Alte Bürger Sängerzunft" in Ingolstadt

Viel zu lange wurde das Ingolstädter Sangesleben in einer widrigen Zeit geknebelt. Diktatur und Krieg haben am Mark der Gesangvereine gezehrt, es fehlte an Nachwuchs. Viele der jungen Leute sind im Krieg geblieben oder waren noch in Kriegsgefangenschaft. So war die Wiedergründung des Sängervereins „Alte Bürger Sängerzunft" nicht ganz einfach.
Jetzt, zwei Jahre nach Ende des Krieges und nach erfolgter Genehmigung durch die örtliche amerikanische Militärregierung konnte daran gedacht werden, den seit 1845 bestehenden und durch die Nachkriegswirren arg gebeutelten Sängerverein wieder aufleben zu lassen. Schließlich wählten auf der ordentlichen Generalversammlung 1947 (genaues Datum ist nicht im Berichtsbuch des Sängervereins vermerkt) 35 Mitglieder den Ingolstädter Kaufmann Anton Widmann zum provisorischen 1. Vorsitzenden, um zumindest einen Neuanfang zu versuchen. (64)
Nach weiteren zwei Jahren, am 6. Oktober 1949 fassten 25 Mitglieder „nach längerer, lebhafter Debatte den Entschluss, den Verein auf keinen Fall untergehen zu lassen" (65), um auch wieder den Bürgern von Ingolstadt wertvolles Liedgut näher bringen zu können. Schließlich hatte ihr Verein eine lange und ehrenvolle Tradition und es galt jetzt, unter dem Vereinsvorsitzenden Josef Wimmer (seit 27.10.1949) sowie der Treue der Sänger eine kulturelle Einrichtung unserer Stadt wieder erstehen zu lassen. Als Chorleiter und Dirigent konnte der in Ingolstadt wohlbekannte Komponist Max Seidenspinner gewonnen werden.
Er, dem schon 1942 sein damaliger Lehrer, Professor Hugo Distler „beste deutsche Kantorentradition" bescheinigte, wollte „das musikalische Leben in der Stadt Ingolstadt in einer Hand vereinigt wissen", wie er später manchmal erzählte. Sein hoher Bekanntheitsgrad in Ingolstadt und nicht zuletzt als ein Komponist von hohen Graden haben wohl auch dazu beigetragen, dass die „Alte Bürger Sängerzunft" schon nach kurzer Zeit das 100. Mitglied begrüßen konnte. Mit seiner Arbeit und hartem „Training" mit den Chormitgliedern des Sängervereins konnte Max Seidenspinner den Ruf einer über 100jährigen Tradition fortsetzten und bewahren.

Seidenspinner

Der Sängerverein „Alte Bürger Sänger Zunft" konnte bereits 1945 auf eine 100jährige Tradition zurückblicken, eine Gründungsfeier war jedoch infolge der schweren Zeit nach 1945 nicht möglich gewesen. Nachdem dann aber doch im Oktober 1949 unter dem damaligen Vereinsvorstand Josef Himmer und dem gewählten Chorleiter Max Seidenspinner ein Neuanfang erfolgte, konnte dann ganz allmählich auch an eine Jubiläumsfeier gedacht werden. Nach einer längeren Pause trat nun der Sängerverein am 14. Mai 1950 unter der Gesamtleitung von Max Seidenspinner im schön dekorierten Saal des Kolpinghauses (damals noch Hospiz genannt) an der Johannesstraße wieder an die Öffentlichkeit, um mit Sängern und dem Ingolstädter Salonorchester in feierlicher Weise das 100jährige Gründungsjubiläum nachträglich zu begehen.
Die dargebrachten Lieder sowie die Orchesterdarbietungen fanden beim Publikum großen Beifall. Der Donau-Kurier schrieb am 16. Mai 1950: „...voll mitreißender Freudigkeit wurde gesungen und musiziert. Man hatte schnell den Eindruck gewonnen ,dass der neue Chormeister Max Seidenspinner alle Schwierigkeiten des Wiederbeginnens sicher überwinden wird, seine Musikalität scheint sich magisch auf den Chor zu übertragen. Er legt Akzent auf Rhythmus und Prägnanz und entkleidet das Volkslied doch nicht des Gemütvollen. An Beifall wurde nicht gespart, man sah lauter fröhliche Gesichter bei Musikanten, Sängern und Solisten".

Der Sängerverein hatte auch zwischenzeitlich die altherkömmliche Tradition der Weihnachtskonzerte wieder aufgenommen. So veranstaltete er nach langjähriger Pause am Samstag, den 9. Dezember 1950 in Gemeinschaft mit dem Ingolstädter Symphonieorchester im Neuen Schloss wieder ein Weihnachtskonzert, das Rudolf Obermeier, ein großer Kenner der Ingolstädter Musiktradition, als eine „Perle des Männergesangvereins" (66) bezeichnete. Neben einer erlesenen Folge wertvoller Chorlieder aus dem reichen Schatz deutschen Liedgutes aus mehreren Jahrhunderten brachte Max Seidenspinner auch zwei seiner eigenen Kompositionen zur Aufführung. Das „Hohe Lied", ein Chorwerk für Baritonsolo, Männerchor und Orchester nach Worten von Christian Morgenstern, „stellte an Sänger und Orchester besondere Anforderungen sowohl in der Dynamik wie in der Melodik. Die vielseitige Ausdrucksmöglichkeit wandelt die gewohnte Rhythmik und Harmonik zu neuen Formen ab und fordert von Chor, Orchester, Solisten sowie Zuhörer neuzeitliches Verständnis. (67) Eine weitere Kostbarkeit besonderer Art an diesem Musikabend war die Wiedergabe des heiteren „Capriccios", der anderen Neuschöpfung Max Seidenspinners durch das Orchester. „Auch hier führt der Komponist Seidenspinner auf eigenen Wegen in musikalisches Neuland. Vorsichtig und nicht übertrieben führte er seine Sänger in etwas modernere Formen der Musik, ohne sich dabei vom Wohlklang der Musik zu entfernen"; (68) Seidenspinner wusste sehr wohl, dass damals zu große Modernitäten beim Großteil der Bevölkerung ganz gewiss auf Ablehnung gestoßen wären.

Seidenspinner

Ein weiterer Höhepunkt in der noch jungen Nachkriegsgeschichte des Sängervereins Ingolstadt war das Weihnachtskonzert – Volksliederabend am 25. Dezember 1952 - im Schäffbräukellersaal. Zahlreiche Bürger aus Nah- und Fern konnten sich davon überzeugen, wie ein „zahlenmäßig starker, stimmlich schöner und musikalisch wohlgerüsteter Chor" (69) ein Weihnachtskonzert veranstaltete, bei dem nur die Zusammensetzung der Reihenfolge der dargebrachten Lieder hätten anders gestaltet werden sollen. Dank seines großen Einfühlungsvermögens und durch geduldige Probenarbeit hatte Max Seidenspinner einen Chor geformt", von dem der damalige Musikkritiker Wilhelm Dinges sehr beeindruck war. Dinges schrieb weiter: „...die Tongebung war edel, weich, warm, die Stärke der Stimmen wohl gegeneinander abgewogen, die Aussprache kultiviert, dass bis in die entferntesten Winkel des Saales jedes Wort zu verstehen war." (70) Neben dem „Künstlerleben-Walzer" von Johann Strauß und Liedern aus dem reichen Schatz deutschen Liedgutes konnte als „Glanznummer des Abends" die Uraufführung Max Seidenspinners Komposition „Mein Schätzelein" für Männerchor und Orchester gebracht werden. Stürmischer Beifall zwang zu einer Wiederholung, von dem die Kritik sagte: „Es war an diesem Abend das wertvollste Werk, das Max Seidenspinner dirigieren durfte, echt in der Komposition und gekonnt in der Durchführung für Chor und Orchester. (71)

Seidenspinner
Das Bild zeigt Max Seidenspinner (am Pult) mit dem seit 1952 angegliederten Damenchor, der erstmalig beim Weihnachtskonzert 1952 auftrat. (72)

Seidenspinner
Max Seidenspinner als Dirigent im Kreise seines Orchesters
beim Weihnachtskonzert 1952. (73)

 

Siehe auch: Max Seidenspinners Kompositionen

 

Seidenspinner

Haas
Ein Ereignis von höchster kultureller Bedeutung für Ingolstadt war die Erstaufführung des Volksliederoratoriums „Das Jahr im Lied" für Solostimmen, gemischtem Chor und Orchester von Josef Haas im Jahre 1953. (74) Diese Komposition, eine Folge von alten Volksliedern, durch die der Ablauf des Jahres mit seinen Jahreszeiten geschildert wird, wobei durch die Wechselgesänge zwischen Solisten und Chor das Werk farbig und abwechslungsreich wird (75), erntete bei der Kritik hohe Anerkennung. Chor und Orchester hatte der Dirigent Seidenspinner zu einem ganzen zusammen geschweißt, das eine Gesamtleistung von großer künstlerischer Form erstehen ließ. Seidenspinners Tatkraft und seiner Dirigentenleistung ist es zu verdanken, dass dieses große Werk so sauber und auch zur Zufriedenheit des Komponisten geboten werden konnte.

Die Aufführung erhielt durch die Anwesenheit des Komponisten eine besondere Note. Josef Haas sprach dem Dirigenten Seidenspinner sowie allen Mitwirkenden sein uneingeschränktes Lob und seine Anerkennung aus und sagte, „dass die zwei Stunden zu den glücklichsten seines Lebens zählten". (76)

Max Seidenspinner wollte „das musikalische Leben in Ingolstadt" in seiner Hand vereinigt wissen. Ganz sicher hatte er schon 1949 bei seiner Berufung zum Chormeister und Dirigenten den heimlichen Wunsch, mit seinem Chor die großen Oratorienaufführungen der vergangenen Jahrzehnte wieder aufleben zu lassen. Mit der Aufführung „Das Jahr im Lied" war der Anfang gemacht, jetzt ging es daran, dem Sängerverein zu seinem 110jährigen Bestehen und damit auch den Musikfreunden Ingolstadts ein besonderes Schmankerl zu servieren. „Das Lebensbuch Gottes" von Josef Haas. Es sollte den Zuhörern musikalisch „Die Menschwerdung, die Passion, sowie die Verklärung Gottes näher bringen. Nach monatelanger, intensiver Probearbeit wurde das Werk dank aller Mitwirkenden zu einer musikalischen Veranstaltung von hohem Rang, zu einem großartigen Kunsterlebnis für alle, die dieser Veranstaltung beiwohnten und in der Ingolstädter Presse wurde es als ein weiterer Markstein in der Ingolstädter Musikgeschichte bezeichnet. (77)
Josef Haas, der Komponist von „Das Lebensbuch Gottes", war von der Aufführung begeistert und machte allen daran Beteiligten ein großes Kompliment. Er sagte: „Es war ein Gottesdienst, was ich heute Nachmittag erlebte. Sie haben alle sehr schön gesungen, die Solisten, der Chor. Herr Seidenspinner ist ein vorbildlicher Dirigent und ich rechne es ihm besonders hoch an, dass er den Orgelpart an den notwendigen Stellen ins Orchester hineingenommen hat. Er hat damit genau das getroffen, was ich mir bei dieser Komposition gedacht habe. Gestaltung und Tongabe auch bei den Musikern war sehr gut. Machen sie alle so weiter und denken sie daran, dass man auch in einem Bräukeller zuweilen Gott dienen kann – durch die Kunst." (78)

Seidenspinner

Programm für die Erstaufführung „Das Lebensbuch Gottes" von Josef Haas

 

Max Seidenspinners Ingolstädter Zeit, zwischenzeitlich am 23.1.1955 zum Chormeister des Donau-Sänger-Kreises ernannt, ging aber nun ganz allmählich zu Ende. Die Sängerinnen und Sänger der „Alten Bürger-Sängerzunft" traf es hart, als er bekannt gab, Ingolstadt zu verlassen. Die Chronik des Vereins erzählt hierzu: „Am 19. April 1956 erklärte Seidenspinner, er müsse umständehalber seinen ihm so liebgewonnenen Sängerverein „Lebewohl" sagen. Eine Anstellung in München zwinge ihn, mit seiner Familie Ingolstadt zu verlassen. Schwer kamen die Worte aus seinem Munde; man merkte, wie hart es ihm dabei ankam, dem versammelten Chor sein Anliegen vorzutragen..."

Am 3. Mai 1956 wurde eine schlichte Abschiedsfeier für den scheidenden und nunmehrigen Ehrenchormeister organisiert, zu dem alle seine Freunde, Sängerinnen und Sänger erschienen. Ein nachdenklicher und ein gar nicht so gelöster und fröhlicher Chormeister ließ wohl jetzt im Kreise seiner Chormitglieder seine schöne Ingolstädter Zeit Revue passieren. Den Aufbau des Sängervereins in schwerer Nahkriegszeit, die ersten Zusammenkünfte und Chorproben, seine vielen Konzerte, das gemütliche Zusammensein mit seinen Musikfreunden, die harten Probenarbeiten an den großen Oratorien, die gleichsam für ihn wie für seinen Chor eine große Herausforderung darstellten, seine geselligen Abende im „Trainingslokal" Merl bei Xaver Hofbauer. Ganz sicher wird er sich auch daran erinnert haben, wie ihm „sein Damenchor" „für seine unüberwindliche Geduld als Chormeister" eine feine Ehrung, ja fast schon eine Liebeserklärung in Form eines duftigen Nelkenstraußes mit Angebinde überreichten und er dabei aus lauter Freude nasse Augen bekam." (79) Und er wird sich an die Worte seines Schriftführers im Sängerverein, Konrad Eitler, erinnert haben, der anlässlich der Oratorienaufführungen von Josef Haas im Chronik-Buch notierte: „dass wir die Musik von Josef Haas verstanden haben, ist das große und erhabene Verdienst unseres geliebten Chormeisters. Darum lieben wir Max Seidenspinner; denn er hat uns mit Freunde vermittelt, was Haas in Liebe zur Welt gebracht... und deshalb noch einmal: Wir lieben ihn". (80) Auf einen ganz einfachen Nenner gebracht, der Sängerverein war dankbar, so einen Chormeister gehabt zu haben. Keiner konnte das schöner und besser ausdrücken als Konrad Eitler. „Blumen welken, aber unser Dank soll nicht verstummen. Dank, o Gott, dass du den geeigneten Mann zur geeigneten Zeit ans Dirigentenpult gestellt hast. Heißen Dank dafür." (81)

Bis heute ist Max Seidenspinner bei den jetzt schon betagteren, ehemaligen Sängerinnen und Sängern in liebevoller Erinnerung geblieben.

Josef Würdinger, Ingolstadt, im September 2005


Anmerkungen
Zurück zu: Max Seidenspinner
Zurück zu: Ingolstädter Musikmeister des 19. und 20. Jahrhunderts


Impressum - - - Nachricht an den Gestalter der Seiten: Kurt Scheuerer
Zur Auswahl Personen aus Ingolstadt - - - Zur Auswahl Materialsammlung Kurt Scheuerer