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Andreas Tillmann:
Schnurkeramik - Glockenbecherkultur

 

Schnurkeramische Neufunde aus dem nördlichen Oberbayern

(S.77:) "Im Zusammenhang mit der Erforschung spätneolithischer Kulturen im süddeutschen Raum konnte das nördliche Oberbayern in den letzten Jahren mit einer Anzahl bemerkenswerter Gräber die Kenntnis über die Glockenbecherkultur um interessante Details zur Trachtausstattung erweitern.
Vor allem ist dabei natürlich an die kleine Glockenbechernekropole aus Oberstimm zu denken oder auch an das reich ausgestattete Männergrab aus Oberstimm mit seinen fünf verzierten Eberzahnknebeln, zwei Pfeilspitzen und einer Armschutzplatte. ...

Großmehring

Daß sämtliche Glockenbechergräber der letzten Zeit im Ingolstädter Becken zutage gekommen sind, könnte nun den Eindruck erwecken, daß die glockenbecherzeitliche Bevölkerung solche Siedlungslagen bevorzugt hat.
Vor übereilten Schlüssen warnen allerdings Fundstellen, die auf anderen Böden liegen, wie zum Beispiel das Gräberfeld von Großmehring, aus dem einer der bedeutendsten Goldfunde dieser Periode stammt. Leider wurde dieses Gräberfeld »zu früh« entdeckt und fiel in den nachfolgenden Jahrzehnten der Zerstörung anheim; ein kultureller Verlust, der in naher Zukunft kaum zu ersetzen sein wird. ...
Trotz einiger Unwägbarkeiten vermittelt das Ingolstädter Becken mit seinen Randbereichen also den Eindruck einer echten Glockenbecherprovinz. Die kulturellen Hinterlassenschaften dieses Gebietes können nicht nur in die ältere Phase datiert werden, sondern auch in die jüngere."

Schnurkeramik

Relikte der schnurkeramischen Kultur sind im Ingolstädter Becken durchweg selten.
"Bis heute muß man den Eindruck haben, als schlössen sich die Schnurkeramik und die Glockenbecherkultur in ihrer Verbreitung weitgehend aus.
Die schnurkeramische Kultur ist der zweite wichtige Bestandteil der Kulturszene des 3. vorchristlichen Jahrtausends. Den Namen verdankt sie dem Verzierungsstil der Tongefäße.
(S.78:) Während der frühen Zeitabschnitte wurde die Verzierung durch gedrehte Schnüre hervorgerufen, die horizontal in den noch weichen Ton gedrückt wurden.
Ebenso charakteristisch ist für diese Phase die Streitaxt aus Felsgestein sowie im östlichen Verbreitungsgebiet der Gebrauch von Kupfer, zumeist in Schmuckform.

Verbreitung

Die großräumige Verbreitung der schnurkeramischen Kultur erstreckt sich schon während der Frühstufe ungefähr vom Kaukasus im Osten bis in die Schweiz im Westen, und von Dänemark im Norden reicht sie bis in das Alpenvorland im Süden.
Im gesamten Gebiet handelt es sich im großen und ganzen um vergleichbare Ausprägungen von Kulturgruppen mit schnurverzierten Bechern.
Die frühe Verbreitung geht einher mit einer großen Ähnlichkeit bei den Grabfunden, weshalb man die früheste Phase der Schnurkeramik häufig auch als Einheitshorizont bezeichnet. In neuerer Zeit wird dieser wieder in Frage gestellt, ...

Pferd

Die weiträumige Verbreitung wurde und wird unter anderem auf das Pferd zurückgeführt, dessen Domestikation in dieser Zeit offenbar endgültig erfolgt war. Auch der Wagen mit Scheibenrädern kann nun häufiger nachgewiesen werden und bildet seit dieser Zeit das Rückgrat des Transportwesens.
Beide Neuerungen erlaubten es den Trägern dieser Kultur, eine Mobilität zu entwickeln, wie es sie in diesen Ausmaßen noch nicht gegeben hatte.
Den anthropologischen Untersuchungen zufolge handelt es sich bei den Schnurkeramikern um Zuwanderer aus dem Osten, die sich von den alteingesessenen Bevölkerungsgruppen vor allem durch ihre Langschädeligkeit unterschieden.
Die Herkunft und Entstehung der schnurkeramischen Kultur bleibt aber nach wie vor im dunkeln. Alle bisher vorgetragenen Theorien bieten keine endgültige Klärung, und so bleibt die Herleitung der Kultur aus dem Osten ebenso umstritten wie ihre Entstehung in Mitteleuropa.

Glockenbecherkultur

Nach dem frühen Ausgreifen bis weit in den Westen, und auch erst nach der Zeit des Einheitshorizontes, traf sie dort auf die frühen Ausläufer der Glockenbecherkultur, die ihren Ursprung wahrscheinlich in Spanien hatte und sich in den folgenden Jahrhunderten in die entgegengesetzte Richtung, bis in das heutige Ungarn, ausgebreitet hat.
Anthropologisch zeichnet sich die Glockenbecherkultur durch Menschengruppen aus, die eine ausgeprägte Rundköpfigkeit aufwiesen.
Im süddeutschen Raum kam es in den späten Jahrhunderten des 3. Jt. v. Chr. in nicht unbeträchtlichem Ausmaß zu einer gegenseitigen Durchdringung beider Kulturen, die es mitunter sehr erschwert, Einzelfunde einer von beiden zuzuweisen. Dies betrifft besonders die jüngere Phase der Schnurkeramik.

Siedlungen

(S.78:) Beiden Kulturgruppen eigen ist ihre große Mobilität, die auf Siedlungsweisen zurückgeführt werden muß, die zuvor nicht praktiziert wurde. Von beiden Kulturen sind so gut wie keine Siedlungen bekannt, und unser Wissen beruht weitestgehend auf Grabfunden ...
Gemeinhin wird der Mangel an Siedlungen dahingehend interpretiert, daß die ökonomische Grundlage beider Kulturen nicht auf dem agrarischen Sektor lag, der ein gewisses Maß an örtlicher Kontinuität erzwungen hätte, sondern daß die Menschen wohl Viehzüchter waren, die mit ihren Herden von Ort zu Ort zogen.
Andererseits ist es aufgrund dessen ebensowenig auszuschließen, daß Siedlungslagen bevorzugt wurden, die heute nicht direkt im Blickfeld denkmalpflegerischer Aufgabenbereiche liegen, und ihre Entdeckung deshalb in den meisten Fällen auf Zufall beruht.

ältere Schnurkeramik

(S.79:) Östlich des süddeutschen Raumes kann die Schnurkeramik in mehrere Phasen gegliedert werden, ...
Grundlage der chronologischen Differenzierungen bilden unter anderem Streitäxte, die es in vielen verschiedenen Varianten gibt. ...
Die ältere Schnurkeramik zeichnet sich durch die sogenannte A-Axt, häufig auch als gemeineuropäische Hammeraxt bezeichnet,aus ...
Ebenfalls mit zur typischen Grabausstattung gehört der schon erwähnte schnurverzierte Becher, von dem aber aus dem nördlichen Oberbayern noch kein sicheres Exemplar namhaft gemacht werden kann.
Überhaupt sind Belege dieser Zeitstufe in der Region mehr als spärlich. Im Grunde genommen bezeugen nur die vereinzelt gefundenen Streitäxte die Anwesenheit der Schnurkeramiker, doch dürften die Äxte in den meisten Fällen zerstörten Flachgräbern, seltener Grabhügeln, entstammen.

Schnurkeramik, mittlere Phase

(S.79:) "Für die mittlere Phase der Schnurkeramik könnte eventuell ein Grab aus Pilsting, Niederbayern, herangezogen werden. Als Beigabe fand sich ein Becher mit S-förmigem Profil und Standring, bei dem die gesamte Halszone mit waagrechten Schnureindrücken verziert war.
Hinzu kommt noch eine Steinaxt und ein Silexdolch, der sich typologisch deutlich von den üblichen Exemplaren absetzt, die aus Gräbern der Stufe »Geiselgasteig« bekannt sind. Den Beigaben zufolge steht das Grab zwischen der frühen Schnurkeramik und der Stufe Geiselgasteig.
In diesem Zusammenhang nicht uninteressant ist schon der erwähnte Befund des Grabhügels nordwestlich von Weißenkirchen. Winkelmann berichtet nicht nur von zwei Silexdolchen, sondern ebenfalls von drei Streitäxten aus Serpentinit. Grundsätzlich scheint also eine ähnliche Beigabenkonstellation wie im Pilstinger Grab vorzuliegen, wenn auch die endgültige Bestätigung natürlich fehlen muß".

Schnurkeramik, jüngere Stufe

(S.79:) ... "In den frühen 60er Jahren hat R.A. Maier sie aus dem Gesamtbestand der bayerischen Schnurkeramik herausgelöst und nach dem eponymen Fundplatz als Stufe »Geiselgasteig« benannt.
Definiert wird sie durch Becher mit stark geschweiftem, S-förmigem Profil, die im Regelfall einen kleinen Standring besitzen.
Im Gegensatz zur älteren Phase wird die Verzierung nun mit Stempel- und Stichwerkzeugen erzeugt. Die Verzierungsmuster umlaufen das Gefäß horizontal und teilen es nicht selten auch in Zonen auf.
Ein weiterer wichtiger Unterschied zur vorhergegangenen Phase ist das weitgehende Fehlen von Streitäxten. Diese Waffe wird nunmehr durch den Silexdolch ersetzt, womit sich ein gravierender Wechsel in der Bewaffnung andeutet. Ein solcher Dolch stammt auch aus Oberhaunstadt und wurde vor kurzer Zeit beschrieben.
Ergänzt wird ein typisches Grabinventar der Spätphase gelegentlich noch durch ein Silexbeil mit rechteckigem Querschnitt und trapezförmigem Umriß.

Stufe Geiselgasteig

(S.80:) Erst in jüngster Zeit wurde aus Niederbayern ein Grabinventar dieser Phase veröffentlicht, welches zum ersten Mal in Altbayern eine Armspirale aus Kupfer beinhaltet, die starke Affinitäten zu frühbronzezeitlichen Stücken hat. Wahrscheinlich liegt hier der seit langem gesuchte Nachweis vor, daß die Stufe Geiselgasteig bis an den Beginn der Frühbronzezeit angedauert hat.
Gerade die Stufe Geiselgasteig zeigt nun starke Beziehungen zur frühen Glockenbecherkultur. Im keramischen Inventar gibt es zwar keine großen Entsprechungen, da die Leitform der namengebende Glockenbecher mit Stempel- und Ritzverzierung ist, doch die Kleinfunde betreffend besteht zwischen beiden Kulturen eine nicht geringe Affinität. Davon ausgenommen sind eigentlich nur die V-förmig durchbohrten Knöpfe aus Bernstein und Eberzahnknebel.

Silexdolch, Glockenbecherkultur

(S.80:) Ein charakteristisches Glockenbecherelement ist der trianguläre Kupferdolch mit abgesetzter Griffplatte, der aber auch in Hornstein umgesetzt worden ist und nur aufgrund typologischer Erwägungen einer der beiden Kulturen zugewiesen werden kann, zumal die Spannbreite von Silexdolchen der Glockenbecherkultur noch nicht völlig klar ist.
In diesem Zusammenhang soll noch darauf hingewiesen werden, daß Silexdolche in weiten Teilen Mitteldeutschlands und der CSFR ein wichtiges Bindeglied zwischen dem ausgehenden Spätneolithikum und der beginnenden Frühbronzezeit sind.
Als Arbeitsgerät findet sich in Männergräbern auch ab und an ein Rechteckbeil, wie es ebenfalls in späten schnurkeramischen Gräbern vorkommt.
Sofern man also Einzelfunde zu begutachten hat, ist selten eine eindeutige Zuweisung möglich."

Andreas Tillmann
Schnurkeramische Neufunde aus dem nördlichen Oberbayern
Sammelblatt des Historischen Vereins Ingolstadt, 1990. S. 77-91.

Halbfabrikat vom Gradhof
Axt aus Gaimersheim
Literaturangaben

Bearbeitung: Kurt Scheuerer


Literatur

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Münstersche Beiträge zur Vorgeschichtsforschung 2 (1967).

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Arch. Korrbl. 8, 1978, S. 285-291.

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Winkelmann, F. (1926) Kataloge West- und Süddeutscher Altertumssammlungen: VI. Eichstätt.
Sammlung des Historischen Vereins. Frankfurt (1926).


Nach dieser einleitenden Beschreibung des chronologischen Hintergrundes können im folgenden nun zwei Neufunde vorgestellt werden, die beide in die ältere Phase der schnurkeramischen Kultur zu datieren sind. Es handelt sich dabei zum einen um eine nicht fertiggestellte Axt vom Gradhof bei Kösching, die mit großer Wahrscheinlichkeit auf eine schnurkeramische Siedlung hinweist, und zum anderen um die Überreste eines Grabes von der Flur »Neuhartshöfe« bei Gaimersheim.


Siehe auch:


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