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Dr. Werner Karl
Ananizapta und der Middleham Jewel

 
Dr. Karl sieht seine Interpretation am besten bestätigt durch den sog. Middleham Jewel, ein wohl zwischen 1450 und 1475 entstandenes Goldamulett, das erst 1985 in unmittelbarer Nähe von Middleham Castle gefunden wurde. Dieses "feinste Stück der englischen Goldschmiedekunst des 15. Jahrhunderts" (Jones-Olsan) befindet sich heute im Yorkshire Museum in York.

Ob zwischen dem Amulett und den Besitzern von Middleham Castle - Richard Neville (+1460), dessen gleichnamiger Sohn (+1471); Eduard IV. schenkte Middleham Castle seinem Bruder Richard, dem späteren König Richard III (1483 - 1485), der von 1471 bis 1483 als Herzog von Gloucester auf Middleham Castle regierte - eine Verbindung besteht, ist bis heute ungeklärt, obwohl für Dr. Karl vieles für Cecily Neville (Mutter Eduards IV. und Richards III.; Cecilys Tochter Margarete war die Schwiegermutter von Kaiser Maximilian I., in dessen Gebetbüchern sich wie auf dem Middleham Jewel das Wort "ananizapta" findet) als der Auftraggeberin des Amuletts spricht.

Die Vorderseite des Amuletts wird beherrscht von einem Saphir (Symbol für die Herrlichkeit des Himmels; Ex 24, 9-10). Darunter ist die Heilige Dreifaltigkeit dargestellt: Gott Vater, Christus am Kreuz, die Taube des Heiligen Geistes. Eingefasst wird das Ganze von dem Schriftband: "ecce agnus dei qui tollis peccata mundi miserere nobis tetragramaton ananizapta (Seht das Lamm Gottes, das du hinwegnimmst die Sünden der Welt, erbarme dich unser! Tetragramaton Ananizapta)."

Die Rückseite zeigt die Geburt Christi im Stil der Vision der heiligen Birgitta von Schweden. Über der Geburt Christi erscheint Gott Vater, unterhalb der Geburtsszene steht das Lamm Gottes mit der Siegesfahne der Auferstehung - Sinnbild für den sich für die Menschen am Kreuz opfernden und siegreich auferstandenen, verherrlichten Christus. Eingefasst wird die Rückseite von einem Band mit 15 Heiligen.

Die Inschrift der Vorderseite beginnt mit den Worten, die Johannes der Täufer bei der Taufe Christi im Jordan (Joh 1, 29) sagt: "Ecce agnus dei qui tollis peccata mundi (Seht das Lamm Gottes, das du hinwegnimmst die Sünden der Welt!)."
Bei der Taufe wird Christus von Johannes als das "Lamm Gottes" ausgerufen, mit dessen Blut die Menschen von ihren Sünden losgekauft werden. Beide - Christi Taufe durch Johannes und sein Kreuzestod - umschließen die Sendung des Messias. "Als Jesus zur Taufe kam und sah, dass die Himmel sich öffneten und dass der Geist Gottes in Gestalt einer Taube über ihn kam, da begann das Sakrament der Dreifaltigkeit zum erstenmal offenbar zu werden" (Origines, In Genesim Homilia II,5). Das von der Inschrift umgebene Bild der Heiligen Dreifaltigkeit bringt diese theologischen Zusammenhänge in wundervoller Weise zum Ausdruck.

Die folgenden Worte "miserere nobis (Erbarme dich unser!)" sind einerseits zusammen mit "ecce agnus dei qui tollis peccata mundi" feste liturgische Formel im Gottesdienst (Gesang vor der Kommunion, der den in der Eucharistie gegenwärtigen Christus als Opferlamm bezeichnet), andererseits bilden sie auch mit dem folgenden Wort "tetragramaton" eine Sinneinheit.

"Tetragramaton" ist der aus vier Buchstaben (jhwh) bestehende alttestamentliche Name Gottes: Jahwe. "Miserere nobis tetragramaton" heisst: "Erbarme dich unser, o Gott!" (Anspielung auf Psalm 51: "Miserere mei, Deus: Erbarme dich meiner, o Gott!"). Nicht nur das "Lamm Gottes" - Christus -, auch der Gott des Alten Testamentes - "tetragramaton" - wird um Erbarmen gebeten.

"Tetragramaton" - um die Ecke geschrieben - gehört sinngemäß aber auch zum folgenden Wort "ananizapta".
"Ananizapta" ("Verflucht sei der Teufel durch die Taufe!" Sinn: Jesus Christus, inmitten der Heiligen Dreifaltigkeit, hat durch die Taufe des Johannes und durch seinen Kreuzestod den Tod überwunden) hat den gleichen Sinn wie "Agnus" ("Lamm": Sinnbild für den von Johannes getauften und sich für die Menschen am Kreuz opfernden und siegreich auferstandenen, den Tod überwindenden, verherrlichten Christus).
"Tetragramaton ananizapta" bedeutet "Gottes Lamm" ("Ananizapta tetragramaton" findet sich in der Breslauer Handschrift I.Q.98 von 1451, auf dem Coventry Ring und einem Goldring, 15. Jh., Britisches Museum, und in den Gebetbüchern Kaiser Maximilians I.).

Da "Agnus (Lamm)" und "Ananizapta" in gleicher Weise das durch die Taufe und den Kreuzestod vollzogene Erlösungswerk Christi beinhalten, ist es kein Zufall, wenn auf dem Middleham Jewel "ecce agnus dei" und "aton ananizap" an beiden Seiten des Saphirs achsensymmetrisch zueinander angeordnet sind. Außerdem haben diese beiden Sinneinheiten jeweils 12 Buchstaben: Symbol für das Himmlische Jerusalem (Joh Offb 21,12.14.19.)
Auch lässt die Anordnung von "ananizapta" seitlich und über dem Saphir vermuten, dass dem Auftraggeber des Middleham Jewel Beda Venerabilis vertraut war, der vom Saphir schreibt: "Er bedeutet, dass die Seelen der Sterblichen durch das Leiden des Herrn und durch das Bad der heiligen Taufe in erhabener Weise aufgerichtet werden, die himmlische Herrlichkeit schon im Diesseits zu erfahren" (Explanation Apocalypsis III Kap.21).

Warum ist das Wort "ananizapta" durch den Saphir getrennt? Warum stehen die Buchstaben "ta" über dem Saphir?

Drei Beobachtungen sind für Dr. Karl wesentlich:
  • Die Buchstaben ta sind nicht nur die Endbuchstaben von ananizapta, sondern auch von "apta: Taufe" ("baptismate: durch die Taufe").
  • Die Buchstaben ta sind nicht in der Mitte des Bereiches über dem Saphir. Genau in der Mitte steht nur der Buchstabe a.
  • Der Saphir ist von einem ringförmigen Zierrand umgeben, der sowohl den Kreis (Symbol der göttlichen Unendlichkeit und Einheit) als auch die Sonne (uraltes göttliches Symbol: Ps 84,12; Offb 1,16) symbolisiert.

Der den Saphir umgebende Sonnenkreis ist zugleich der Buchstabe o, d. h. der erste Buchstabe des griechischen Wortes "omega", des letzten Buchstaben des griechischen Alphabetes (w;W) und symbolisiert das Ende, die Vollendung (Offb 21,6).
Der genau in der Mitte über dem Saphir, dem Sonnenkreis und dem o(mega) stehende Buchstabe a ist nicht nur der letze Buchstabe von ananizapta und von apta (Taufe), sondern auch der Anfangsbuchstabe von "alpha" (erster Buchstabe des griechischen Alphabetes) und bedeutet den "Anfang".

Der Buchstabe t vor dem a ist an dieser Stelle nicht nur ein Buchstabe. Das t hat die Form eines Kreuzes und ist von einer Verzierung (wehende Siegesfahne) gekrönt. Die Buchstaben ta bedeuten: Die Taufe (apta) ist der Anfang - a(lpha) - des Heilsweges des Menschen, dessen Ende und Vollendung der Himmel (Saphir inmitten des o des Sonnenkreises) ist. Der Weg zu diesem Ziel führt über das Kreuz Christi (t).

Der Weg zum Himmlischen Jerusalem (Offb 21,16.18.23.), in das die Vorderseite des Middleham Jewel dem Betrachter einen Blick zuteil werden lässt, führt gemäß der Inschrift über das "Lamm Gottes".
Dieser heilsgeschichtliche Weg nahm auf Erden seinen Anfang in Bethlehem - Thema der Rückseite des Middleham Jewel:
Nach dem Willen des Vaters (Gott Vater in den Wolken) nimmt der Sohn, dazu bestimmt, "Lamm Gottes" zu werden (unterhalb von Maria und dem Jesuskind), durch Maria menschliche Natur an.


Dieser Text auf Englisch

Ausführliche Interpretation von Dr. Karl in:
Werner Karl, Ananizapta und der Middleham Jewel,
Sammelblatt des Historischen Vereins Ingolstadt, 110. Jahrgang, 2001, S.57 ff.

Siehe auch:
Werner Karl, Ananizapta - eine geheimnisvolle Inschrift des Mittelalters,
Sammelblatt des Historischen Vereins Ingolstadt, 105. Jahrgang, 1996, S.59 ff.

Weitere Literatur:
P.M. Jones - L.T. Olsan, Middleham Jewel: Ritual, power, and devotion, in: Viator, Medieval and Renaissance studies 31 (2000), S. 249 ff.
John Cherry, The Middleham Jewel and Ring, York 1994.


siehe auch (mit Fotos):
The Yorkshire Museum - The Middleham Jewel


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