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Baiuwaren
Die Siedlungsverhältnisse in der Region Ingolstadt
in der ersten Hälfte des 6. Jahrhunderts

Phase von Irlmauth

Der Blick zurück in die Region Ingolstadt gilt der weiteren Entwicklung. In der Bittenbrunner Nekropole ist die Laufzeit des Materialhorizontes der Gründergeneration bis in die Jahre um 500 verfolgbar. Ab etwa dieser Zeitmarke zeigt sich dann aber eine neue Erscheinung, die nach U. Koch als Phase von Irlmauth benannt wurde. (76) Der größte Fundbestand dieser Phase im nördlichen Oberbayern liegt wiederum aus Bittenbrunn vor. Die Gründe hierfür sind offensichtlich nur darin zu sehen, daß diese Nekropole bisher als einzige in der Region nahezu vollständig dokumentiert werden konnte. (77) Daneben gibt es Belege für diesen Horizont aus zufällig entdeckten und unvollständig untersuchten Gräberfeldern bei Lenting und Irsching (78) sowie aus Kipfenberg, (79) einer schon früh ergrabenen und ungenügend dokumentierten Nekropole.

Abb. 18. Zuchering, Zierscheibe
Ein weiteres Gräberfeld dieses Zeithorizonts wird wohl durch den Lesefund einer Vogelfibel angezeigt, die vom Schotterkörper der Niederterrasse östlich von Zuchering stammt (Abb. 17). Dieses Fundareal befindet sich in geringer Entfernung eines im Luftbild dokumentierten Reihengräberfeldes. Ebenfalls dem Horizont Irlmauth zuzuordnen ist eine kleine, einglättverzierte Knickwandschüssel (oder besser Schälchen) vom Typ Altenerding-Aubing aus dem unter der heutigen Überbauung liegenden Gräberfeld von Gerolfing (Taf. 26, 1). Es wurde bereits vor geraumer Zeit anläßlich einer Baumaßnahme geborgen, allerdings erst jüngst zur Kenntnis gebracht. (80) Th. Fischer hat kürzlich diese eigenartige Keramikform diskutiert und die Frage nach ihrem Produktionsort mit »möglicherweise Regensburg« beantwortet. (81) Im Gegensatz zu E. Keller (82) sieht Fischer darin kein »thüringisches« Element, sondern eher eine östliche Komponente, deren Tradition er im niederösterreichischen Donauraum vermutet.

Blickt man einmal mehr über die Grenzen der Region hinaus, läßt sich feststellen, daß das nördliche Albvorland zwar wenige, aber doch deutliche Hinweise auf eine Zugehörigkeit zum Verbreitungsgebiet der Fazies Irlmauth liefert. Das gilt noch mehr für das Donautal in Richtung Osten. H. Geisler sieht in den Befunden von Straubing/Bajuwarenstraße die Phase Irlmauth mit starkem Übergewicht vertreten. (83) Die Verhältnisse im dortigen Umfeld sind wegen fehlender, unvollständiger oder mangelhafter Aufschlüsse noch unbekannt, doch ist anzunehmen, daß ein so bedeutender Befund wie der von Straubing/Bajuwarenstraße durchaus als richtungweisend gelten kann. Die östlichsten Belege dieses Horizonts lassen sich donauabwärts sogar bis Linz verfolgen.

Im Gebiet südlich des Tertiären Hügellandes ist es wieder das Gräberfeld von Altenerding, das positive Belege erbrachte. (84) Dieser womöglich zentrale Ort liefert ebenfalls den Nachweis einer Zugehörigkeit zum Verbreitungsgebiet der Fazies Irlmauth, wobei die »westliche« Komponente deutlich überwiegt. (85) Damit ist nach bisherigem Kenntnisstand auch das am weitesten nach Süden ausgreifende Verbreitungsareal angezeigt.

Die Befunde aus Irlmauth, und dies gilt in gleicher Weise auch für die bedeutenden Gräberfelder von Bittenbrunn, Straubing und Altenerding, beinhalten Fundobjekte, die in ihrer Zusammensetzung Fragen der ethnisch-antiquarischen Analyse aufwerfen. Offenbar gleichzeitig erscheint neben einer überwiegend westlich geprägten Fazies auch ostgotisches, thüringisch-böhmisches und langobardisches Fundgut in allerdings geringen Anteilen. (86) Die daraus gezogenen Schlüsse auf eine ethnische Zuwanderung aus den jeweiligen Stammlanden können als plausibel hierfür angesehen werden. Die Ursachen dafür sind unterschiedlicher Natur, der Archäologe muß sich hier den Überlegungen der Historiker anschließen.

Danach dürfte der Zustrom aus dem alamannischen Kernland als Folge der Niederlage der Alamannen im Kampf gegen die Franken im Jahr 497 bzw. aus den daraus resultierenden Folgeerscheinungen (Aufstand von 506) angesehen werden. Christlein hat als Ausweichquartier für die alamannischen Flüchtlinge allerdings lediglich das Gebiet zwischen Iller und Lech ins Auge gefaßt. (87) Doch dürften sich die schon einmal »alamannisch besiedelten« Gebiete nördlich der Donau, einschließlich des Albvorlandes, die kulturell mit dem Donauraum eine Einheit bildeten, ebenso angeboten haben.

Den Einwand von Christlein, man müsse im Gegensatz zu der von U. Koch vorgeschlagenen ethnisch-mobilen Interpretation dem »westlichen« Fundgut von Irlmauth und damit der Fazies als solcher einen eher statisch-einheimischen Charakter zugestehen, könnte ein »Sowohl-Als auch« ablösen. (88) Die Bevölkerung von Bittenbrunn könnte sich, ohne daß ein Bevölkerungswechsel stattfand, des westlichen »Marktes« bedient haben. Aber auch die Aufnahme zusätzlicher Familien ist denkbar. Bei neu gegründeten Siedlungen aber, wie etwa Irlmauth, ist davon auszugehen, daß eine Zuwanderung stattgefunden hat. Die Argumente für eine Zuwanderung von erheblicher Intensität sind inzwischen so sehr angewachsen, daß diese Annahme zweifellos zu favorisieren ist. (89)

Die Bevölkerungsentwicklung in der Region Ingolstadt ab der Mitte des 6. Jahrhunderts

Karte 5
Ein letzter Blick in die Region Ingolstadt zeigt, daß ab der Mitte des 6. Jahrhunderts eine Vielzahl an Einzelbeobachtungen von Reihengräbern vorliegt (Karte 5). Für die meisten davon gilt, daß sie nur kleine Ausschnitte von Gesamtbefunden darstellen, die noch dazu schlecht dokumentiert sind.

Es wäre müßig, die Fundorte im einzelnen aufzulisten, da sie durchwegs in ihrem Aussagewert äußerst beschränkt sind. Und doch handelt es sich dabei um die einzigen Quellen, die uns zur Lösung der vielfältigen noch offenen Fragen verhelfen können. Die Erforschung der zugehörigen Siedlungen hat eben erst begonnen. Die Verteilung der Reihengräber zeigt an, daß sie in großer Zahl an die sogenannten -ing- und -heim-Orte gebunden sind. Daraus könnte geschlossen werden, daß diese Siedlungsgründungen weitgehend dem gesamten 6. Jahrhundert zuzuordnen sind. Die besiedelten Flächen decken sich dabei weitgehend mit den Böden von bester Bonität. Die Reihengräber am südlichen Rand des Donaumooses sind dagegen nicht mehr mit -ing- und -heim-Orten assoziiert. Da sie ausnahmslos erst dem 7. Jahrhundert zuzuweisen sind, kann für die genannte Zeitstufe eine weitere Kolonisationsphase erschlossen werden.

Karte 6
Als eine der bedeutendsten Fundstellen einer frühmittelalterlichen Siedlung in Bayern sei der Befund von Zuchering genannt, dessen Ergebnisse im Rahmen einer Bamberger Magisterarbeit vorgestellt werden sollen. (90) G. Diepolder hat in ihrer Kartenvorlage das Ingolstädter Becken als die größte zusammenhängende Siedlungskammer im bayerischen Stammesherzogtum des 6. Jahrhunderts ausgewiesen (Karte 6). (91) Wirtschaftlich gesehen gehörte diese traditionsreiche Region sicherlich zu den bedeutendsten Stützen des agilolfingischen Herzogtums. Vor allem tritt dabei die Eisenverhüttung ins Blickfeld. Der geographische Rahmen wird durch die Rohstoffquellen definiert. Das dadurch umgrenzte Gebiet dürfte die Donau mit ihrem südlichen Uferstreifen von Neuburg bis Kelheim umfassen und nördlich kurz hinter dem Albabbruch enden. Die oben bereits genannte Siedlung von Zuchering hat eine umfangreiche Eisenindustrie während des 7. und 8. Jahrhunderts angezeigt. (92)

Gerade auch das Altmühltal bestätigt diese Entwicklung. Ein bedeutender Ort scheint in diesem Zusammenhang Eichstätt gewesen zu sein, über welches im 8. Jahrhundert der Adelige Suidger verfügte. Seine mächtige Stellung neben dem Herzog, die womöglich in der Tradition der Genealogien gründet und die wir der vita Willibaldi entnehmen können, dürfte auf dem genannten Industriezweig beruhen. Obereichstätt, das im übrigen bis ins 15. Jahrhundert Herzogsgut war und dann erst an den Eichstätter Bischof fiel, könnte eine diesbezügliche Tradition repräsentieren, deren Ende erst im frühen 20. Jahrhundert endgültig besiegelt wurde. Dieses Thema kann hier nicht vertieft werden und soll an anderer Stelle eine ausführliche Würdigung erfahren.


Sammelblatt des Historischen Vereins Ingolstadt, 99. Jahrgang, 1990
Karl Heinz Rieder, Ingolstadt 1991. S. 37-40.

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