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Vertiefende Anmerkungen zur Archäologie
Tell el-Dab´a - Die Steinartefakte

 
Nicht nur in Ägypten, sondern in der gesamten Alten Welt haben Herstellung und Gebrauch von Steinwerkzeugen eine bis in die Anfänge der Menschheit reichende Tradition. Für die Anfertigung der Artefakte wurden dabei von Anfang an Horn- und Feuersteine besonders geschätzt, die unter dem Oberbegriff Silex zusammengefaßt werden. Die unterschiedliche Benennung als Horn- oder Feuerstein ergibt sich aus einer voneinander abweichenden geologischen Datierung der Gesteine. Beiden gemeinsam ist eine submarine Entstehung aus den Kieselsäureskeletten kleinster Lebewesen.

Dem Menschen standen Horn- und Feuersteine in Form von Knollen und Platten als Werkmaterial zur Verfügung. Die unterschiedliche Färbung verdankt der Silex der Einlagerung von Eisen- oder Manganoxiden, die es uns heute sehr erleichtern, die in einer vorgeschichtlichen Siedlung verarbeiteten Silexvarietäten zu differenzieren und bestimmten Lagerstätten zuzuweisen. Die in Ägypten verarbeiteten Gesteine stammen weitgehend aus den Kalkformationen der eozänen Schichten des Tertiärs, die im Land am Nil allgegenwärtig sind und deren Entstehung etwa 60 Millionen Jahre zurückliegt. Der Grund für die Bevorzugung gerade solcher Gesteine ist ihr ungeregeltes Mikrogefüge, welches eine sehr gute Spaltbarkeit garantierte und daher in nahezu jede Form gebracht werden konnte. Außer seinen guten Bearbeitungsmöglichkeiten weist der Silex vor allem eine große Härte auf, etwa 6-7 auf der Mohs'schen Härteskala, womit er fast so hart wie Stahl ist. Beide Eigenschaften tragen dazu bei, daß die Schnittleistung einer von einer Silexknolle abgespaltenen Klinge selbst von heutigen Messern nicht übertroffen wird.

Im Wechselspiel mit den Anforderungen seiner Umwelt und seinen eigenen Bedürfnissen und Fähigkeiten verbesserte der Mensch im Laufe der Jahrtausende seine Silexwerkzeuge, indem er immer wieder ihre Form unter dem Gesichtspunkt der Wirksamkeit veränderte. Dies ermöglicht heute den Wissenschaftlern eine weitgehend exakte zeitliche Einordnung von Steinartefakten. Seit dem Auftreten von Keramik und ab dem 4. Jt. v. Chr. dann der ersten brauchbaren Kupfergeräte mußten die Steinartefakte zwar ihre Vorrangstellung als chronologischer Indikator abtreten, doch bedeutete dies keineswegs einen Verlust ihrer Wertschätzung im Alltag des Menschen, da die zur Verfügung stehenden Metalle, also Kupfer und Bronze, für viele Tätigkeiten nicht die erforderliche Härte besaßen. Allein schon vor diesem Hintergrund erklärt es sich leicht, daß Herstellung und Gebrauch von Werkzeugen aus zähem Felsgestein und Silex nicht mit dem Beginn der Metallzeiten enden konnten.

Besonders in Ägypten hatten Steinartefakte noch bis weit in das Neue Reich hinein einen entscheidenden Anteil an der Produktion ägyptischer Sachgüter, wofür außer den schon genannten Gründen noch weitere Faktoren verantwortlich waren. So verfügte das Land am Nil nur über sehr geringe Eigenvorkommen an Kupfer, wodurch dieser Rohstoff nicht nur zur teuren Ware wurde, sondern auch weitgehend auf die besser gestellten Bevölkerungsschichten begrenzt blieb.

Bei genauer Betrachtung der dinglichen Kultur zeigt sich nun recht deutlich, daß Steinartefakte lange Zeit weder aus den privaten Haushalten noch aus den gewerblichen Werkstätten wegzudenken waren, sie im Grunde nahezu jeden Lebensbereich der Menschen im Alten Ägypten durchdrangen. Die nachfolgend aufgeführten Beispiele stellen nur einige ausgewählte Anwendungsbereiche dar, die allerdings nachdrücklich bezeugen, daß die Hochkultur des dynastischen Ägyptens ohne die Steinwerkzeuge kaum zu der uns bekannten Blüte hätte gelangen können.

Stellt man zum Beispiel bei der Betrachtung der zahllosen, zumeist sehr ästhetisch anmutenden Gefäße aus harten Felsgesteinen einmal die Frage ihrer Herstellung in den Vordergrund, so zeigt sich sehr schnell, daß ihre Fertigung ohne den Einsatz von Bohrköpfen aus Silex oder Quarzit nicht möglich gewesen wäre. In gleichem Maße trifft dies auf die Herstellung von Perlen aus Halbedelsteinen zu, von denen bis weit in das Neue Reich hinein keine einzige hätte ohne feine Bohrer aus Silex durchlocht werden können. Auch für die eindrucksvollen Großplastiken aus Basalt, Granit, Grauwacke oder auch Quarzit gilt grundsätzlich das gleiche, denn ohne die zerrüttende Wirkung harter Steingerölle ist eine Formgebung nicht denkbar. Schließlich und endlich hätten nahezu alle Felsengräber wie auch alle Bergwerksschächte ohne den Einsatz von speziell zugerichteten Pickeln aus hartem Silex oder Quarzit nur sehr schwer angelegt werden können.

Eines der wichtigsten Arbeitsgeräte im Alltag war ganz ohne jeden Zweifel die Erntesichel, ein mit Griff versehener, sorgfältig zugerichteter, bogenförmiger Holm aus Holz, in den als Schneide zwischen fünf und sieben Sichelklingen aus Silex eingesetzt waren. Lange Zeit wurden diese Einsätze mit Baumteeren eingeklebt, doch spätestens mit Beginn des Neuen Reiches auch mit Kalkmörtel, der sehr hart und schrumpfungsfrei war und das Erntegerät noch robuster und belastbarer machte. Aufgrund der Gesteinshärte von Silex und der dadurch hohen Schnittleistung blieb die Sichel bis in die frühe Eisenzeit in nahezu unveränderter Form bei der Getreideernte im Einsatz, was zahlreiche Ernteszenen in der ägyptischen Bilderkunst eindrucksvoll belegen.

Doch auch zum Aufbrechen der Ackerkrume sind Hacken aus Silex nicht selten zur Anwendung gekommen, wenigstens deutet dies der Fund eines solchen Gerätes aus Tell el-Dabca an. Die sehr markanten Gebrauchsspuren an seiner Arbeitskante lassen nur eine Deutung als Bodenbearbeitungsgerät zu. Vergleichbare Objekte sind seit langem aus dem Zweistromland und dem westlichen Maghreb bekannt und werden auch dort mit der Feldbestellung in Verbindung gebracht.

Doch nutzte man die Möglichkeit des eisenharten, allerdings auch spröden Werkstoffes Hornstein nicht nur für die Nahrungsmittelproduktion allein, sondern auch im kultischen Bereich. So galt dieses Gestein den Ägyptern seit frühester Zeit als rein, in gewissem Sinne sogar als heilig, und es verwundert daher nicht, daß ein speziell zugerichtetes, messerähnliches Gerät bei der rituellen Mundöffnungszeremonie zur Anwendung kam und flächenretuschierte große Schlachtmesser bis in die 18. Dynastie bei kultischen Schlachtungen von Rindern und Eseln benutzt wurden. Beispiele für religiöse Handlungen dieser Art liegen auch aus Tell el-Dabca vor, wo man in Schichten des Mittleren Reiches einige Bestattungen von Eseln aufgedeckt hat, denen das bei ihrer Schlachtung verwendete Steinmesser als Beigabe mit ins Grab gegeben worden war.

War die Quellenlage zu Steinartefakten im dynastischen Ägypten bis vor gar nicht langer Zeit recht unbefriedigend, so hat sich dies in den vergangenen Jahren erfreulicherweise positiv geändert. Dazu trugen vor allem die neu aufgenommenen Siedlungsgrabungen bei, in deren Verlauf gut stratifizierte Artefaktkomplexe geborgen werden konnten. Dadurch ist man nun in der Lage, die Entwicklung der verschiedenen Geräteformen (Ärmchenbeil aus Silex, s. Kat. Nr. 40) und die unterschiedliche Nutzung einzelner Silexvarietäten näher zu untersuchen. Gerade den Ausgrabungen in Tell el-Dabca sind umfangreiche Artefaktkomplexe zu verdanken, die einen Zeitraum vom Beginn des Mittleren Reiches bis einschließlich der frühen 18. Dynastie umfassen und aus denen sich nicht nur nennenswerte entwicklungsgeschichtliche, sondern auch historische Informationen gewinnen ließen.

So ergab beispielsweise die Untersuchung der verarbeiteten Silexvarietäten, daß sich die Organisation von Nachschub und Versorgung mit Rohmaterial im Laufe der Zeit änderte. Im Mittleren Reich wurde die Gewinnung und Verarbeitung des Rohmateriales ganz offensichtlich von zentraler Stelle gesteuert, denn unter den annähernd 900 Artefakten aus dieser Zeit fanden sich in Tell el-Dabca keine Hinweise auf eine Produktion von Silexgeräten vor Ort. Das verarbeitete Rohmaterial entspricht genau jenem, welches gerade in dieser Zeit im knapp 100 km südlich von Kairo gelegenen Wadi el-Sheikh abgebaut und sogleich zu Halb- und Fertigprodukten verarbeitet wurde. Es besteht kein Zweifel darüber, daß fertige Produkte aus dem Revier im Wadi el-Sheikh in die nördlichen Landesteile verhandelt wurden, auch nach Tell el-Dabca.

Dieses zentral gesteuerte und straff organisierte Abbau-, Produktions- und Verteilungssystem endete abrupt mit dem Beginn der Zweiten Zwischenzeit. Ab diesem Zeitpunkt kommen in Tell el-Dabca andere Silexvarietäten vor, die nun aber als unbearbeitete Rohknollen in die Stadt gebracht und erst dort zu Geräten weiterverarbeitet wurden. Die Ursache für diesen plötzlichen Wechsel kann unter Umständen darin liegen, daß die "Herrscher der Fremdländer" keinen Zugriff auf die Rohmaterialquellen weiter im Süden hatten, ihr politischer Einfluß also weitgehend auf das Nildelta beschränkt blieb. In diesem Zusammenhang erscheint es bemerkenswert, daß in der frühen 18. Dynastie zunächst noch die gleichen Rohstoffe wie in der Zweiten Zwischenzeit weiter Verwendung fanden und erst mit Beginn der 19. Dynastie wieder vermehrt auf die schon im Mittleren Reich geschätzte Silexvarietät aus dem Wadi el-Sheikh zurückgegriffen wurde.

Doch noch einmal zurück zu den Geräten, und hier vor allem zu den Erntesicheln, die auf dem Sektor der Nahrungsmittelproduktion von höchster Bedeutung waren. Wenn auch das Konstruktionsprinzip die gesamte Zeitspanne von der Frühzeit bis in das Neue Reich grundsätzlich beibehalten wurde, so zeigt eine genauere Analyse der Sicheleinsätze doch einige markante Veränderungen auf. Beispielsweise wurden die Einsätze im Verlauf ihrer Entwicklung immer breiter und dicker, d. h. robuster. Die früher unbearbeitete Schnittkante wurde seit der Zweiten Zwischenzeit retuschiert und mit kleinen Zähnen versehen. Die Funktionsweise der Sichel veränderte sich dadurch von einer schneidenden zu einer mehr reißenden. Auslöser dieser Entwicklung ist ganz offensichtlich die Einführung der künstlichen Feldbewässerung an der Wende von der Ersten Zwischenzeit zum Mittleren Reich. Die zielgerichtete Bewässerung erlaubte einen dichteren Bewuchs auf den Feldern und führte somit zu einem höheren Ernteertrag. Unabdingbar war nunmehr, die Erntesicheln zu verkürzen und deren Arbeitskante etwas stärker zu krümmen, um bei einer Ausholbewegung nicht mehr Halme einzuholen, als geschnitten werden konnten.

Als weitere Geräteform, an der sich im Laufe der Zeit ein Wandel aufzeigen läßt, ist das flächenretuschierte Schlachtmesser (Kat. Nr.41) zu nennen. Zu Beginn der Frühzeit erscheinen die Messer in stattlicher Länge bis 45 cm und mit deutlich abgesetztem Griffteil, dessen Herstellung eine spezielle Technik erforderte. Bis zum Beginn des Mittleren Reiches verschwindet der abgesetzte Griff mehr und mehr. Endpunkt der Entwicklung ist dann zu Ausgang des Mittleren Reiches das Messer mit integriertem Griff, der sich nur noch durch seinen dickeren Querschnitt vom Blatt unterscheidet. Ein besonders schönes Exemplar, das auf Grund seiner Griffgestaltung in die frühe 12. Dynastie datiert werden muß, fand sich in Tell el-Dabca in einer Grube mit Eselbestattung.

Nachdem nun zwei wichtige Bereiche angeführt worden sind, bei denen Geräte aus Silex unverzichtbar waren, soll noch ein kurzer Blick auf die Waffenausrüstung des ägyptischen Soldaten geworfen werden. Zum weitaus größten Teil bestanden die Waffen im Mittleren Reich und im frühen Neuen Reich natürlich schon aus Kupfer und Bronze. Zu den bevorzugten Nahkampfwaffen zählte die Kampfaxt, die im Querschnitt sehr dünn gehalten ist, vermutlich um möglichst wenig vom teuren Kupfer zu verbrauchen. Durch das relativ geringe Gewicht der Äxte reduzierte sich allerdings auch die Durchschlagskraft, letztlich also die Effizienz der Waffe. Gelegentlich wurden die Kampfäxte auch aus hartem Silex hergestellt, doch stammen solche Stücke meist aus Gräbern, wo sie eine teure Metallaxt als Beigabe ersetzen sollten. Die hohe Wertstellung von Kupfer wird also bis in den waffentechnischen Bereich hinein spürbar.

Als ungewöhnlich zu bezeichnen sind ein paar Pfeilspitzen aus Silex (vgl. Kat. Nr.348, 349), die in Tell el-Dabca in den Schichten der frühen 18. Dynastie gefunden worden sind. Alle fünf Exemplare weisen einen gestreckt dreieckigen Rumpf mit einem davon abgesetzten kleinen Schäftungsdorn auf. Da die Schußleistung steinerner Pfeilspitzen der von bronzener völlig ebenbürtig ist, kann die Präsenz dieser Fernwaffe im bronzezeitlichen Ägypten nicht überraschen. Die Form der Pfeilspitzen ist jedoch in Ägypten fremd, sodaß sich die Frage stellt, wer diesen Typ in das Waffenarsenal des ägyptischen Heeres eingeführt hat. Der bislang früheste Beleg vergleichbarer Geschoßspitzen stammt aus Soleb II, einem Friedhof der frühen 18. Dynastie, zwischen dem 1. und 2. Katarakt gelegen. Weitere Parallelen lassen sich dann aus den nubischen Königsgräbern von El Kurru anführen. Unter Vorbehalt kann bei dieser Form also an eine nubische Entwicklung gedacht werden, und ihr Nachweis in Tell el-Dabca dokumentiert entweder die Anwesenheit von nubischen Bogenschützen im Ostdelta oder spiegelt Tributleistungen in Form von Bögen und Pfeilen wider.

Eine vergleichbare Situation liegt für zwölf eiförmige Schleudergeschosse aus Quarz und Hornstein vor, die als kleine Anhäufung in der gleichen Schicht wie die Pfeilspitzen gefunden wurden. Der Fund von Schleudergeschossen ist insofern überraschend, als Unterägypten, bis auf ein kurzes Intermezzo in der zweiten Hälfte des 4. Jahrtausends, immer ein klassisches "Bogenland" war. Hingegen war die Schleuder im nordöstlichen Mittelmeergebiet, im Nahen Osten, aber auch in Nubien seit langem die bevorzugte Fernwaffe schlechthin. Es liegt auf der Hand, daß die Schleudergeschosse in Tell el-Dabca nur von Handwerkern gefertigt worden sein können, die aus einer der genannten Regionen stammten.

Betrachtet man die beiden ungewöhnlichen Waffenarten vor dem Hintergrund der nachgewiesenen Handelskontakte mit anderen Ländern, so zeigen die Funde aus den Schichten der frühen 18. Dynastie mehr als deutlich, daß Tell el-Dabca in dieser Zeit sehr intensive Kontakte mit dem nordöstlichen Mittelmeerraum und dem besetzten Nubien gepflogen hat. Beide Waffen, die Pfeile mit steinernen Pfeilspitzen wie auch die Schleudergeschosse, gehören nur in diesen Gebieten während der mittleren und späten Bronzezeit zur militärischen Ausrüstung.

Bei dem hier zur Verfügung stehenden Raum konnten naturgemäß nur einige wenige Aspekte angeschnitten werden, die die Bedeutung von Steinartefakten im dynastischen Ägypten aufzeigen. Vieles mußte zwar unerwähnt bleiben, doch dürfte deutlich geworden sein, daß die Steinartefakte als integraler Bestandteil altägyptischer Kultur aufgefaßt werden müssen und die Beschäftigung mit diesen, im Grunde recht unscheinbaren Kleinfunden durchaus zu lohnenswerten Ergebnissen führen kann.

Autor: Dr. Andreas Tillmann

Mit Zustimmung des Autors entnommen aus: Tillmann, Andreas. Die Steinartefakte,
in: M. Bietak, I. Hein (Hg.), Pharaonen und Fremde. Dynastien im Dunkel.
Katalog zur Sonderausstellung des Historischen Museums der Stadt Wien. Wien 1994, S. 105-109.

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