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Andreas Tillmann:
Mesolithikum

 
"Nach einer letzten Rückkehr der Gletscher am Ende der Würmeiszeit, einer als Dryas III bezeichneten, sehr kurzen Kälteschwankung, stieg die Jahresmitteltemperatur in den folgenden drei Jahrtausenden stetig an." Der erste Abschnitt der Nacheiszeit, das Präboreal oder Vorwärmezeit, begann etwa um 9000 v.Chr. Wärmeliebende Pflanzen- und Tierarten wanderten ein, und die Ren- und Pferdeherden wanderten nach Norden ab.

Frühmesolithikum

Die Menschen mußten ihre Lebensweise umstellen. "Nicht länger gehörte die Speerschleuder zur Ausrüstung des Jägers, sondern Pfeil und Bogen für die Standwildjagd in den nun bewaldeten Gebieten sowie die aus Mikrolithen zusammengesetzte Harpune für die Fischjagd...
Hatte man zuvor im Gelände auf weite Strecken freie Sicht und erlegte das Wild in Entfernungen zwischen 50 und 100 m, so mußte man sich nun durch die Wiederbewaldung auf die Pirschjagd auf Einzel- und Gruppenwild umstellen, wobei das beliebteste Wild während des gesamten Mesolithikums von Anfang an das Wildschwein war, gefolgt von Hirsch, Reh, Hase und Vögeln.
Als Ergänzung der tierischen Nahrung wurden Fische mit Reusen, Querangeln und der Harpune gefangen...
Die pflanzliche Nahrung bestand aus Beeren, Nüssen, Früchten und Samen, die man durch Darren und Trocknen sogar haltbar zu machen wußte..."

"Zogen die einzelnen Jägergruppen früher hinter den großen Tierverbänden her, so verblieb man nun längere Zeit an ein und demselben Ort, um die dort vorkommenden Ressourcen auszunutzen. ...
Die Lage der meisten Fundplätze auf trockenen und hochwasserfreien Terrassen, meist an Gewässern gelegen, deutet auch darauf hin, daß wohl nicht nur die Wassernähe wichtig war, sondern vor allem auch der damals allenthalben große Fischreichtum der Gewässer ein gewichtiger Grund bei der Wahl des Siedlungsplatzes war."

Der zu bearbeitende Silex wurde erwärmt (Temperung) und "verfärbte sich je nach den in ihm enthaltenen Spurenelementen entweder in Rot- oder in Grautöne, die darüber hinaus einen seidigen Glanz aufweisen." ...
"Sind die Dreiecke zu Beginn mehrheitlich von gleichschenklig-stumpfwinkliger Gestalt mit Retuschen an beiden Schenkeln, so verändern sie ihre Form bis zum Ende des frühen Mesolithikums kontinuierlich zunächst über spitzwinklig-gleichschenklige Formen, dann hin zu ungleichschenkligen Formen und schließlich zu extrem ungleichschenkligen Dreiecken, wobei die Ursache für diese Entwicklung sicherlich das Streben nach effizienteren Waffensystemen war. ...
Ein weiterer Trend bei den Geräten ist die stetige Miniaturisierung der mikrolithischen Formen, welcher als Ursache ein ökonomisches Ziel zu Grunde gelegen haben wird: je kleiner die Geräte, desto größer war die Unabhängigkeit vom Rohmaterial und von einer bestimmten Grundform für die Geräteproduktion."

Spätmesolithikum

Am Anfang des 7. Jts v.Chr. "änderte sich das Klima erneut, und es begann die Zeit des Atlantikums, in der es beträchtlich wärmer und feuchter war als heute. Bis auf die Flußtäler und Seeuferzonen dürfte das südliche Mitteleuropa flächendeckend von einem nahezu undurchdringlichen Urwald, dem vielzitierten Eichen-Lindenmischwald, überzogen gewesen sein.
Diesen neuen Herausforderungen war der frühmesolithische Mensch mit seinem an andere Umweltbedingungen angepaßten Gerätefundus zunächst nicht gewachsen. Er reagierte darauf mit einer technologischen Umstellung seiner Grundformproduktion, und innerhalb einer sehr kurzen Zeitspanne wechselte schlagartig in ganz Europa die Technik der Artefaktherstellung: es wurden nun lange, meist kantenparallele Klingen gefertigt, aus denen jetzt nur noch ganz selten Dreiecke, keine Mikrospitzen mehr, sondern fast ausschließlich Trapeze hergestellt wurden, die als querschneidige Pfeilspitzen Verwendung fanden. Dieser markante Bruch bei den Grundformen und Geräten markiert die Wende vom Früh- zum Spätmesolithikum und dokumentiert zugleich die hohe Flexibilität der mesolithischen Bevölkerung hinsichtlich ihrer Fähigkeit, sich veränderten Bedingungen anzupassen.
Der Anstoß zu diesen technischen Neuerungen resultiert mit ziemlicher Sicherheit aus kulturellen Kontakten mit den frühen neolithischen Bauernkulturen des Balkanraumes, von wo entsprechende Traditionen bekannt geworden sind."

Es gibt hierzu nur wenig Funde im Ingolstädter Donauraum.
"Mit der geringen Siedlungsdichte steht der hiesige Raum jedoch keineswegs alleine da, sondern sie gilt für das gesamte südliche Mitteleuropa in gleicher Weise. Die hauptsächlichen Gründe dafür werden zum einen in einer anderen Siedlungsweise als zuvor gesehen und zum anderen auf eine sehr feuchte und warme Klimaschwankung im mittleren Atlantikum zurückgeführt, während der die Flüsse wegen nicht mehr aufnehmbarer Wassermassen häufig ihren Lauf gewechselt haben und viele flußnahe Landschaften erodiert und nachhaltig verändert haben.
Deutlicher Beleg für diese extreme Feuchtphase sind auch zahlreiche Höhlen und Felsschutzdächer, in denen sich für das mittlere Atlantikum ausgeprägte Verbruchschichten als Folge von Luftfeuchtigkeit und Frostsprengung nachweisen lassen.
Diese Feuchtphase wird für den allgemeinen Fundstellenmangel verantwortlich gemacht, weil durch ihre Auswirkungen zahlreiche Fundplätze in Flußnähe zerstört worden sein dürften.

Die Lebensweise des spätmesolithischen Menschen muß aufgrund der veränderten Umweltbedingungen ungleich komplexer gewesen sein als in den vorangegangenen Zeiten.
Durch den dichten Wald nahm die verfügbare Biomasse deutlich ab und mußte durch eine Ausweitung der Jagd auch auf kleinere Tiere sowie durch eine intensivere Ausnutzung aquatischer und botanischer Ressourcen kompensiert werden.

Die weiteren historischen Vorgänge im Verlauf des späten Mesolithikums erschließen sich indes erst, wenn man die Randbereiche dieser Kultur miteinbezieht. Wie schon erwähnt, formierten sich zu Beginn dieses Abschnittes die ersten jungsteinzeitlichen Kulturen, und zwar zum einen auf der Balkanhalbinsel und zum anderen im Süden Frankreichs. Über das Rhonetal und natürlich auch über das weite Tal der Donau kamen die spätmesolithischen Menschengruppen Süddeutschlands mit diesen Kulturen in Kontakt, wie der Nachweis mediterraner und westbalkanischer Schmuckschnecken in unserer Region mehr als deutlich zu zeigen vermag.

Eingebettet in dieses Spannungsfeld kamen die spätmesolithischen Menschen immer wieder mit jungsteinzeitlichen Ernährungsstrategien in Kontakt, und diese dürften ihnen aufgrund ihrer eigenen schwierigen Ernährungslage ganz offensichtlich nicht ungelegen gekommen sein.
So gab es im Verlauf des etwa 1500 Jahre andauernden Spätmesolithikums immer wieder kulturelle Kontakte zwischen späten Jägern und Sammlern einerseits und den frühen Bauern andererseits, wobei erstere einige »neolithische« Elemente übernahmen, so zunächst das geschliffene Steinbeil sowie Mahl- und Schleifsteine und später dann auch Hausziege und Schaf.

Mangels Fundstellen aus dieser Zeit im südlichen Mitteleuropa sind etliche Details, die zum Übergang von der aneignenden zur produzierenden Wirtschaftsweise führten, noch nicht in allen Einzelheiten geklärt. Eine Zusammenschau sämtlicher Funde und Befunde zeigt aber, daß die seit Jahrzehnten propagierte Landnahme Mitteleuropas durch die Einwanderung frühneolithischer Bauern aus Westungarn unter dem Strich keine Erklärungen bietet, die die große und schnelle räumliche Ausbreitung der ältesten neolithischen Kultur Mittleeuropas, der Linienbandkeramischen Kultur, plausibel machen könnte. Nach Wertung zahlreicher Befunde spricht derzeit vielmehr alles dafür, daß die späten Mesolithiker im Verlauf des 6. Jahrtausends einen kulturellen Standard erreicht hatten, der es ihnen ermöglichte, binnen einer ungemein kurzen Zeitspanne und unter Umsetzung neolithischer Elemente aus dem nordöstlichen Balkangebiet eine eigenständige Kultur zu entwickeln.

Dieser eminent bedeutsame Vorgang, der Schritt vom Jagen und Sammeln hin zum Anbau von Getreide und Viehzucht, zählt zu den größten ökonomischen Umwälzungen in der Menschheitsgeschichte überhaupt und stellte für die betroffenen Menschengruppen eine unglaubliche Herausforderung dar. Nahezu sämtliche Lebensbereiche mußten umgestellt werden, was einige Zeit in Anspruch nahm. Es verwundert daher nicht, daß die älteste Phase dieser frühesten Bauernkultur Mitteleuropas nahezu 200 Jahre für ihre ökonomische und soziologische Konsolidierung benötigte, während der sich an Hand der Keramik nur schwer Veränderungen nachweisen lassen."


Dr. Andreas Tillmann
in: Archäologie um Ingolstadt. Kipfenberg 1995. S. 35-40.

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