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Dr. Gerd Riedel:
Umweltarchäologie

 
Auch wenn das Schlagwort "Umweltarchäologie" im Gegensatz zu bekannten Begriffen wie Siedlungs-, Stadtkern-, Unterwasser- oder Industriearchäologie eigentlich nicht geläufig ist, gibt es dennoch zum Themenbereich Archäologie und Umwelt sehr viel zu sagen. Überall, wo der Archäologe versucht, mit dem Spaten Aufschluß über das Leben in vergangenen Zeiten zu gewinnen, muß er berücksichtigen, daß seine Entdeckungen in ihre natürliche Umwelt eingebunden sind. Dabei ist es unerheblich, ob es sich um eine jungsteinzeitliche Befestigungsanlage, ein bronzezeitliches Dorf, einen römischer Schiffsanlegeplatz oder um einen mittelalterlichen Verkehrsweg handelt. Stets muß der Forscher nach Möglichkeit den ganzen Lebensraum des damaligen Menschen im Blick haben, um seinen Fund richtig verstehen zu können. Der Begriff Umwelt faßt eine Vielzahl von Faktoren zusammen: geologische Prozesse, Klima, Flora und Fauna etc.. Hier sollen nur einige wenige Beispiele aus dem Raum Ingolstadt angeführt werden.

Oppidum bei Manching

Jedes Kind lernt bei uns in der Schule die "Keltenstadt" von Manching kennen. Sie wird seit Jahrzehnten von Archäologen der Römisch-Germanischen Kommission, der Prähistorischen Staatssammlung München und des Bayerischen Landesamtes für Denkmalpflege untersucht. Dabei reicht es aber nicht aus, nur Gebäudespuren zu dokumentieren und auszuwerten oder das reiche Fundmaterial zu bearbeiten. Die Entstehung und die Blüte dieser großen Siedlung wäre nicht verständlich, würde man nicht ihre Lage berücksichtigen. Wo sie stand, traf ein bedeutender, in Ostwestrichtung verlaufender Verkersweg, der dem Donaustom auf seiner trockenen Niederterrasse folgte, auf eine ebenfalls wichtige Nordsüdverbindung, die auf dem Schwemmkegel der Paar verlief. Zu der verkehrsgünstigen Lage kamen Erzvorkommen in den Moosen der Umgebung, die die Grundlage zur Eisenverhüttung bildeten. Sie war eine weitere wichtige Einnahmequelle in der alten "Keltenstadt".
Von großem Interesse wären auch Erkenntnisse darüber, ob diese riesige "Stadt", die vor über 2000 Jahren noch viel näher an der Donau lag als heute, keine Hafen hatte. Auf sich allein gestellt wäre der Archäologe bei der Beantwortung dieser und ähnlicher Fragen oft überfordert. Er sucht deshalb die Untersützung von Nachbarwissenschaften, etwa der Archäobotanik, um nicht auf die falsche Spur zu kommen. So vermutete man, daß eine kleine, feuchte Senke im Bereich der "Keltenstadt", die den Namen "Lausgrub" trägt, der verlandete Hafen von Manching sei. Mithilfe vegetationsgeschichtlicher Untersuchungen konnte jedoch einwandfrei festgestellt werden, daß sich an der Stelle diese Senke in keltischer Zeit keine offene Wasserfläche befunden haben kann. Die Archäologen müssen den Hafen also an einer anderen Stelle suchen.

Südtrasse

Verkehranbindung zu Wasser und zu Lande, Industrie und Handwerk sind noch heute entscheidend für das Schicksal einer Stadt. Die Erforschung der die "Keltenstadt" umgebenden Umwelt im weitesten Sinne ist daher ebenso wichtig wie die Ausgrabungen in der Siedlung selbst.
Die intensive Betrachung der Landschaft um Ingolstadt hilft aber nicht nur, bekannte Fundplätze besser zu verstehen. Sie führt den Archäologen auch zu neuen Entdeckungen. Ein Paradebeispiel dafür liegt nur wenige Kilometer westlich von Manching: die Trasse der Bahn/B16. Wäre es nicht naheliegend, unter dem modernen Ackerhumus des bereits angesprochenen, hochwassergeschützten Schotterkörpers der würmzeitlichen Donauniederterrasse, dem der alte, ostwestverlaufende Verkehrsweg durch die "Keltenstadt" folgte, eine jahrtausendealte Siedlungslandschaft zu vermuten? Die Archäologen des Landesamtes für Denkmalpflege waren davon überzeugt - und sie wurden fündig. Mehrere Siedlungen aus Bronze- und Urenenfelderzeit sowie des Mittelalters, ein römisches Kleinkastell, ein keltischer Tempel und vieles mehr wurde entdeckt und dokumentiert.

Ingolstadt, Güterverkehrszentrum

Noch aktueller ist das Beispiel Güterverkehrszentrum. Während der ausgehenden Steinzeit und der Bronzezeit zogen es die Menschen oft vor, sehr nahe am Wasser zu leben. Den Unannehmlichkeiten und Gefahren der feuchten Uferbereiche gegegeneten sie durch Pfahlbauten und Bohlenwege, wie sie v.a. vom Bodensee oder aus dem Federseemoor gut bekannt sind. Ähnliches hatten die Archäologen im Hinterkopf, als am Augraben im Norden Ingolstadts die Baumaschinen anrückten. Sie fanden zwar keine Siedlung, aber einen siedlungsnahen Arbeitsbereich am Ufer des Augrabens mit zahlreichen Funden, die im durchfeuchteten Erdreich die Jahrtausende wohlbehalten überdauert hatten.
Wird der Archäologe einmal nicht fündig, dann kann ihm auch hierbei das Studium der natürlichen Umwelt oft weiterhelfen. Südlich der Donau fehlen weitgehend Hinterlassenschaften steinzeitlicher Jäger und Sammler. Das bedeutet aber nicht, daß der Mensch diesen Landstrich damals nicht betreten hätten. Vielmehr haben die Donauschotter, die ständig in Bewegung waren, im Laufe der Jahrtausende die meisten Spuren verwischt. Manchmal hat die Natur die Spuren früherer Menschen nur versteckt. Im Altmühltal wurde so manches Hügelgräberfeld durch von den Hängen herabfließende Erde überdeckt und konnte erst in jüngster Zeit im Zuge von Baumaßnahmen wiedergefunden werden.

Ingolstadt, Stadtkern

Auch bei der Erfoschung der Geschichte unserer Stadt Ingolstadt sind nicht nur Historiker und Archäologen, sondern z.B. auch Botaniker und Geologen gefragt. Nach wie vor steht nicht genau fest, welche Bedeutung die Schutter für die Entstehung und Entwicklung des frühen Ingolstadt hattte. Denn es ist keineswegs sicher, daß ihr historisch überlieferter Verlauf bei Ingolstadt schon zur Zeit der Siedlungsentstehung oder kurz vor der Stadtgründung derselbe gewesen ist. Wie man im spätmittelalterlichen Ingolstadt lebte, illustrieren die Untersuchungsergebnisse einer Faßlatrine aus der Georg-Oberhäußer-Straße besonders markant. Feigenkerne weisen auf Handelsbeziehungen in den Mittelmeerraum hin und zeigen, daß sich die Ingolstädter damals schon einen gewissen Luxus leisten konnten. Kopflausnissen belegen aber, daß die damaligen hygienischen Verhältnisse nicht unbedingt mit unseren heutigen Vorstellungen vereinbar sind.

Der Archäologe ist denmach in vielerlei hinsicht mit der Umwelt befaßt. Ihre Beeinträchtigung erschwert nicht zuletzt auch seine Arbeit. Rasch fortschreitende Erosionsprozesse durch die Industrialisierung in der Landwirtschaft bedrohen zahllose Bodendenkmäler. Der Einsatz aggressiver Chemikalien haben der Archäologenfaustregel: "Der Boden ist der beste Konservator", längst die Grundlage entzogen. Im Bemühen um einen pfleglichen Umgang mit der Natur treffen sich Archäologe und Umweltschützer, beide mit dem Ziel, unsere Heimat zu bewahren.

Gerd Riedel, Ingolstadt 1996


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