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Karl Heinz Rieder:
Eine neue Freilandstation
des frühen Jungpaläolithikums bei Wettstetten, Lkr. Obb.

 
Besonders spannend sind die wissenschaftlichen Fragen an den Zeitraum zwischen 40.000 und 30.000 vor heute, vor allem deswegen, weil darin der Wandel vom Mittelpaläolithikum zum Jungpaläolithikum stattfand. Zugleich fällt in diesen Zeitraum auch der Wechsel vom klassischen Neandertaler zum anatomisch modernen Menschen (Cromagnonmenschen). Nach wie vor spärlich ist jedoch das Fundaufkommen aus diesem Zeitraum, vor allem was den bayerischen Raum betrifft. Und hier verteilen sich die Fundpunkte vorwiegend entlang der Donau, die schon damals eine Funktion als Verkehrsachse oder Korridor in Ostwest-Richtung besaß. Die im vorliegenden Fall interessierenden Kulturstufen werden nach den eponymen Fundorten als Szeletien und als Aurignacien bezeichnet. Die dünne Materialbasis läßt es wünschenswert erscheinen, auf alle neuen Fundkomplexe aufmerksam zu machen, um zunehmend Licht ins Dunkel dieser Epoche des Umbruchs zu bringen.

Seit 1990 hat Gerd Welker (Wettstetten) durch zahlreiche Feldbegehungen und Baubeobachtungen viel zur heutigen Kenntnis der Besiedlungsgeschichte der Wettstettener Flur beigetragen. Dabei konnte er neue, zunächst nur vermutete archäologische Denkmalflächen durch entsprechendes Fundmaterial bestätigen. Bei seinen Aufsammlungen gelang ihm die Entdeckung einer ausgedehnten Jagdstation bzw eines Basislagers von eben diesem Zeitraum des Übergangs der mittleren zur jüngeren Altsteinzeit. Auf einem exponierten Geländesporn am sog. Schindergrund fand er zahlreiche Artefakte, die bei der Betrachtung der charakteristischen Merkmale derzeit noch keine Entsprechungen im einschlägigen, überregionalen Fundspektrum haben. Als Rohmaterial fand überwiegend ein wenig qualitätvoller, gelbweißer Jurahornstein Verwendung, der gelegentlich eine Bänderung aufweist. Gelegentlich kommen Reste einer kreidig weißen Rinde vor, die auf eine Entnahme des Rohmaterials aus der lehmigen Albüberdeckung schließen lassen. Nach bisherigen Kenntnissen steht das Rohmaterial unmittelbar in der Umgehung des Fundplatzes an und zwar dort, wo sich die Jurakalke oberflächennah finden lassen.

Den Werkzeugen ist allen gemein, daß sie während einer weitgehend vegetationsfreien Periode der letzten Eiszeit vom anstehenden tertiären Sand überschliffen wurden und deshalb eine seidig glänzende Oberfläche besitzen. Viele der Steinartefakte sind darüber hinaus von Frostrissen überzogen oder schon auseinandergeplatzt. An diesen Bruchflächen läßt sich eine tiefgreifende Patinierung, also eine Veränderung oder Alterung der ehemals frischen Flächen erkennen. Sie ist ein weiteres Anzeichen dafür, daß die Objekte längere Zeit an der Oberfläche gelegen haben und der extremen Witterung der letzten Eiszeit ausgesetzt waren. Damit dürfte zumindest ein die Datierung der Artefakte einschränkendes Merkmal gegeben sein, nämlich daß sie bereits vor dem Kältemaximum der letzten Eiszeit, also vor etwa 20.000 Jahren in den Boden gekommen sind.

Wegen des sandigen und dadurch sauren Milieus des umgehenden Erdreiches oder Sediments haben sich die einstmals sicher vorhandenen Knochen der Fundstelle vollständig aufgelöst. Lediglich die widerstandsfähigen Steinwerkzeuge aus Hornstein haben die lange Zeitspanne mit „Blessuren“ überdauert.

Die zeitliche Einstufung ist besonders schwierig. Einerseits fehlen typische Messerformen des Mittelpaläolithikums, während die Anschlagtechnologie noch weitgehend dieser Periode entspricht. Andererseits besteht der überwiegende Teil der Werkzeuge aus sog. Kratzern, die als Leitformen des Jungpaläolithikums gelten. Das Geräteinventar läßt sich in der gegenwärtigen Zusammensetzung weder eindeutig einem Szeletien, noch einem klassischen Aurignacien zuweisen. Für das erstere fehlen beispielsweise Blattspitzen und ausgesplitterte Stücke als Leitformen. Das Inventar als Aurignacien anzusprechen fällt noch schwer, da insbesondere Kielkratzer in dem inzwischen etwa 1500 Artefakte umfassenden Fundkomplex nicht vorkommen. Eine Klingentechnologie ist jedoch in Ansätzen erkennbar. Aufgrund dieser Eindrücke ist man eher geneigt, das Inventar dem Aurignacien nahe zu stellen. Eine Erklärung, weshalb die eine oder andere Werkzeuggruppe nicht vertreten ist, ließe sich womöglich aus der Spezialisierung gewisser Tätigkeiten auf der Fundstelle ableiten. Wünschenswert wäre natürlich eine beschränkte Sondage, um die offenen Fragen weiter einzugrenzen.

Karl Heinz Rieder
Ausgrabungen und Funde in Altbayern 1995 bis 1997.
(Sonderausstellung Gäubodenmuseum Straubing 1998)
Katalog des Gäubodenmuseums Straubing Nr. 27. Straubing 1998. S. 13/14.

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