Logo Kurt Scheuerer, Ingolstadt Wissensspeicher zur Geschichte von Ingolstadt  
Tafeltext zur Ausstellung:
Vom Werden einer Stadt - Ingolstadt seit 806
Lebensbilder – Ein Mann und eine Frau
aus spätmerowingischer-karolingischer Zeit

 
Anhand von schriftlichen, bildlichen und archäologischen Zeugnissen wird im Folgenden das Aussehen eines Mannes und einer Frau rekonstruiert, die in der Zeit um 700 in der Region um Ingolstadt gelebt haben.

Für dieses Unternehmen bieten sich das Männergrab vom Löwenbuckel bei Gerolfing und das Frauengrab 87 von Großmehring an. Durch ihre zahlreichen Beigaben (Trachtzubehör, Schmuck, Geräte und Waffen) zählen sie zu den sehr reich ausgestatteten Gräbern in der Region. Man erhält dadurch bereits einen Hinweis auf die herausragende soziale Stellung der beiden Toten.

Eine Beschreibung der Kleidung muss sich auf Schrift- und Bildquellen aus der Zeit um 800 stützen, da sich nur in wenigen Gräbern größere Stoffreste in verwertbarem Umfang erhalten haben.

Eine ausführliche Beschreibung der Männertracht, wie sie auch in höchsten gesellschaftlichen Kreisen getragen wurde, verdanken wir Einhards Biografie Karls des Grossen: „Er kleidete sich nach der nationalen Tracht der Franken: auf dem Körper trug er ein Leinenhemd, die Oberschenkel bedeckten leinene Hosen; darüber trug er eine Tunika, die mit Seide eingefasst war; die Unterschenkel waren mit Schenkelbändern umhüllt. Sodann umschnürte er seine Waden mit Bändern und seine Füße mit Stiefeln. Im Winter schützte er seine Schultern und Brust durch ein Wams aus Otter- oder Marderfell. Darüber trug er einen blauen Umhang."

Eine bildliche Umsetzung dieser Beschreibung ist auf einem Fresko um 800 in der Kirche St. Benedikt in Mals, Südtirol, zu sehen (Abb. Fresko von Mals). Der dargestellte Adelige trägt einen dunklen Umhang, eine langärmelige, kittelartige Tunika, deren Rand verziert ist und die über den Knien endet. Darunter sind noch Hosen zu erkennen, die unter dem Knie durch Riemen gebunden sind. In den Händen trägt der Mann eine Spatha.

Diese Männertracht wiederholt sich auf anderen bildlichen Darstellungen, z.B. Stuttgarter Psalter (Abb. Miniaturen aus dem Stuttgarter Psalter. Ausschnitte aus Frauenhandbuch 16 und 11) oder Vivian-Bibel. Ihre Grundelemente, kittelartige Tunika, Hose und Umhang, sind bereits bei Germanen zu sehen, die auf römischen Denkmälern und Kunstwerken abgebildet sind. Man kann den Eindruck gewinnen, dass die germanische Männertracht sehr konservativ war und sich über Jahrhunderte hinweg kaum in ihrer Grundausstattung geändert hat. So sollte man davon ausgehen können, dass sich die Männer in der „bilderlosen" Zeit des frühen Mittelalters so gekleidet haben.

Bestätigt wird dies durch einige Gräber, in denen sich dank günstiger Bedingungen große Teile der Kleidung erhalten haben.

So haben sich in Größhobing Grab 143 bei der Hauptbestattung am Südende der Grabkammer Reste eines blauen Wollumhangs erhalten, dessen Ränder mit Goldbrokat eingefasst waren (siehe Beitrag Weinlich/Nadler).

Umfangreiche Befunde zur Kleidung liegen aus den Gräbern 1 und 8 von St. Ulrich und Afra aus Augsburg vor. Beide Kleriker trugen knielange, kittelartige Tuniken aus Leinen, darunter lange Leinenhosen, die unterhalb der Knie durch Bänder verschnürt waren, an den Füßen halbhohe Stiefel, die von den Knöcheln aufwärts mit Riemen umwickelt waren. Die Tuniken wurden durch Ledergürtel zusammengehalten, an dem Messer und Gürteltasche befestigt waren. Der Mann aus Grab 1 trug über den Leinenkleidern einen Umhang aus Langhaarwollgewebe, der aus Grab 8 eine wohl ärmellose Jacke aus Fischotterpelz.

Im Plattengrab P 100 unter der Kirche St. Severin in Köln konnten ebenfalls umfangreiche Reste der Kleidung geborgen werden. Es fanden sich ein Untergewand aus Leinen und ein Obergewand aus feiner Wolle, das bis zu den Knien nachweisbar war. Darüber trug der Tote eine Art Lederwams, auf dem Goldbrokatstreifen lagen, die um den Hals liefen und auf der Brust einen spitzovalen Ausschnitt bildeten und bis zu Hüften reichten. Allerdings ist nicht sicher, ob die Goldbrokatstreifen das Lederwams zierten oder einen nicht mehr erhaltenen Umhang. An den Beinen ließ sich noch eine innere Leinen- und eine äußere Wollschicht nachweisen, die durch schmale, kreuzweise gebundene Lederriemen gehalten wurden. An den Händen trug der „Sänger" Lederhandschuhe, an den Füßen Schuhe aus Rindleder.

Wie exquisit die Beinbekleidung sein konnte, zeigt der perfekt erhaltene und bis jetzt einmalige Fund von Bein- oder Schuhriemen aus dem Grab 493 von Straubing-Alburg. Einer der hier bestatteten Männer trug an seinen Unterschenkeln Lederriemen, auf die ein mit Goldlahn verziertes Stoffband genäht war. Dank dieses Goldlahns lässt sich die kreuzweise Verschnürung und Befestigung mit kleinen Schnallen und Riemenzungen rekonstruieren. Die kleinen Schnallen befestigten die Riemen vermutlich an den Schuhen. Oben endeten die Lederriemen in Riemenzungen und waren unter den Knien wahrscheinlich verknotet. (Abb. Unterschenkelbereich der Bestattung 3 aus dem Grab 493 von Straubing-Alburg)

Nach den angeführten schriftlichen, ikonografischen und archäologischen Belegen gehören zur Grundausstattung der germanischen Männertracht kittelartige Tunika, Hosen, Umhang oder Jacke, Schuhe oder Stiefel. Daher kann man davon ausgehen, dass der Mann vom Löwenbuckel bei Gerolfing sich ebenso kleidete. Ein Detail seiner Kleidung hat sich sogar erhalten: Goldfäden, die auf den Schenkelknochen gefunden wurden und vermutlich den Saum seiner Tunika zierten. Ein letzter Hinweis auf die Qualität der Stoffe. (Abb. Beigaben aus dem Männergrab vom Löwenbuckel bei Gerolfing) Die weiteren Beigaben vervollständigen das Bild des Mannes. An seiner linken Seite hat er, am Gürtel befestigt, den Langsax (ein einschneidiges Schwert) mit silbernem Ortband getragen. Eine Flügellanzenspitze und ein Schild, der mit goldenen Nieten verziert war und dessen Schildbuckel eine goldene Randeinfassung aufwies, vervollständigen die Waffenausrüstung. Zum Besitz des Mannes gehörte ein Glasgefäß, ein sogenannter Tummler. Entweder am Gürtel oder auf dem Sax war ein Messer befestigt. Ein Rasiermesser könnte sich in einer Gürteltasche befunden haben.

Nun zur Frau aus dem Grab 87 von Großmehring.

Für die Kleidung der Frauen ist die Quellenlage bei weitem nicht so üppig wie für die der Männer. In den Schriftquellen finden wir keine detaillierten Beschreibungen, so dass auf Bildquellen zurückgegriffen werden muss. Vor allem der Stuttgarter Psalter liefert zahlreiche Darstellungen von Frauen.

Auf allen Bildern tragen die Frauen lange, offenbar gegürtete Tuniken mit kurzen, weiten Ärmeln, darunter ein Hemd mit langen, eng anliegenden Ärmeln. Über den Tuniken liegt ein Umhang, der von einer Fibel verschlossen wird. Dieser Umhang kann über den Kopf gezogen werden, da er ärmellos ist. Den Kopf bedeckt gelegentlich ein heller Schleier. Auf einigen der Miniaturen des Stuttgarter Psalters kann man auch eine Art Haarnetz oder Haube erkennen, die das Haar der Frauen zusammenhält. (Abb. Miniaturen aus dem Stuttgarter Psalter: Frauenhandbuch Ausschnitte 02, 11, 16) Außerdem erhält man einen guten Eindruck von der Farbigkeit der Kleidung und der reichen Verzierung der Tunika.

Von archäologischer Seite lässt sich die frühmittelalterliche Frauenkleidung am besten durch das Grab der Königin Arnegunde in St. Denis bei Paris beschreiben. Im Sarkophag der um 580 bestatteten Königen haben sich umfangreiche Geweberest erhalten, die eine Rekonstruktion des königlichen Gewandes erlauben: Eine Art Haube lässt sich nur anhand zweier Kugelkopfnadeln erschließen. Darüber wurde ein Schleier aus roter Seide getragen, der bis auf die Hüfte reichte und vermutlich mit einer großen Nadel auf der Brust befestigt wurde. Ein Mantel aus braunroter, leinengefütterter Seide mit langen, weiten Ärmel mit goldbestickten Manschetten bildete die äußerste Kleidungsschicht. Er war vorne in ganzer Länge offen und wurde am Hals und auf der Brust durch ein Almandinscheibenfibelpaar und an der Hüfte durch einen geknoteten Ledergürtel verschlossen. Darunter trug die Königin eine Tunika aus violettblauer Seide mit vermutlich kurzen Ärmeln, die anscheinend bereits wenige Zentimeter unter dem Knie endete und durch ein Gürtel mit prachtvollen Metallverschluss gehalten wurde. Unter der Tunika fanden sich geringe Reste eines Hemdes aus feiner Wolle. Die Beine steckten in wollenen Strümpfen, die durch lederne Strumpfbänder mit Metallbeschlägen gehalten wurden, die Füße in Schuhen aus Leder mit metallenen Verschlussgarnituren.

Wie die archäologischen und bildlichen Zeugnisse zeigen, scheinen sich die Grundelemente der weiblichen Kleidung, Tunika mit kurzen Ärmeln, langärmeliges Hemd, Umhang/Mantel und Schleier, vom Beginn der jüngeren Merowingerzeit, der Sterbezeit der Königin, bis in die Karolingerzeit nicht verändert zu haben. Unterschiede zeigen sich in der Länge der Tunika, die bei der Königin ungewöhnlich kurz ist, und in der Anzahl der Fibeln.

Man kann also getrost davon ausgehen, dass die Frau aus Grab 87 von Großmehring die eben beschriebenen Hauptelemente der Kleidung getragen hat. Der Umhang kann indirekt durch die beiden silbernen Fibeln nachgewiesen werden, die ihn am Hals und auf der Brust verschlossen. Ungewöhnlich für die Zeit um 700, da normalerweise nur noch Einzelfibeln getragen wurden. Die Ohren der Großmehringer Dame zierten goldene Ohrringe. Ihre Tunika wurde von einem Gürtel zusammengehalten, wie die Gürtelschnalle und die Riemenzunge zeigen. Von diesem Gürtel hingen an der rechten Seite Messer und Kamm herab und links, eventuell in einem Lederbeutel, Schlüssel und Bronzenadel in einer Knochenhülse (siehe Beitrag Ledderose)

Was verraten uns nun die Beigaben und der Grabbau über die soziale Stellung der beiden Toten?

Die gesellschaftlich hervorragende Position des Herrn aus dem Löwenbuckel bei Gerolfing zeigt sich zu einem in seiner Bestattung in einem Grabhügel, zum anderen in seiner reichen Ausstattung mit Beigaben. Obwohl die Bergung des Grabes 1877 oder 1878 nicht gerade sachgemäß vonstatten ging, und die Beigaben zum Teil nur noch durch Zeichnungen und Fotografien aus dem Ende des 19. und dem Anfang des 20. Jahrhunderts bekannt sind, lässt sich eine mehrteilige Waffenausrüstung (Sax, Lanzenspitze und Schild) rekonstruieren. Alle Waffen weisen Verzierungen in Edelmetall auf (Sax: Ortband in Silber, Schild: goldene Niete und Schildbuckeleinfassung in Gold, Lanzenspitze: bronzevergoldete Niete). Hinzukommt noch ein wertvolles Glasgefäß.

Ähnliche Grablegen unter großen Hügeln mit aufwändigen Einbauten und reicher Beigabenausstattung wurden in den letzten Jahren in der Region um Ingolstadt ergraben, z.B. Großmehring Gräber 24 und 55, Etting-Sandfeld Grab 3, Pfünz (Nachbestattung in einem hallstattzeitlichen Grabhügel) und Kinding-Enkering. Ihnen ist ebenfalls gemeinsam die optische wie auch räumliche Abgrenzung von den örtlichen Reihengräbern. Auch die Ausstattung mit Beigaben hebt diese Gräber weit über den Durchschnitt hinaus, insbesondere die mehrteilige Ausstattung mit Waffen (Pfünz und das stark gestörte Grab 24 von Großmehring) und die Verwendung von Edelmetall. Denn in der Zeit um 700 wird meist eine stark reduzierte Beigabensitte gepflegt, die im Laufe der 1. Hälfte des 8. Jahrhunderts endet. Damit erfüllen die genannten Gräber gleich mehrere Kriterien, die anderenorts als kennzeichnend für gesellschaftlich führende Schichten herausgearbeitet wurden. Eventuell kann man den Männern aus diesen Gräbern einen adelsähnlichen Status zuerkennen.

Ähnlich zu beurteilen ist die Frau aus Großmehring, die auf einem Friedhof bei der Hofstelle beigesetzt wurde. Ihre Beigaben aus Edelmetall, goldene Ohrringe und zwei silberne Pressblechscheibenfibeln, heben sie von ihren Zeitgenossinnen deutlich ab und unterstreichen nicht nur ihre Wohlhabenheit, sondern auch ihren besonderen Rang in der Gesellschaft. Besonders die Mitgabe von zwei Fibeln fällt ins Auge, da in der Zeit um 700 bzw. im frühen 8. Jahrhundert eine einzelne Fibel üblich war. Eine eher unscheinbare Beigabe, der eiserne Schlüssel, unterstreicht, dass wir mit der hochgestellten Dame aus Grab 87 wohl die Herrin des Hofes vor uns haben. Denn Schlüssel gelten im Allgemeinen als Symbol für die Schlüsselgewalt der Hausherrin. Eine ähnlich reich ausgestattete Frau aus der Region um Ingolstadt ist bis jetzt nur noch aus Pfünz bekannt. Sie wurde zusammen mit ihrem Mann in einem hallstattzeitlichen Grabhügel bestattet.

Unter Zuhilfenahme von schriftlichen, bildlichen und archäologischen Quellen kann man sehr anschauliches Bild des Mannes vom Löwenbuckel bei Gerolfing und der Frau aus Grab 87 von Großmehring entwerfen. Ihre herausragende, eventuell adelsähnliche Stellung in der frühmittelalterlichen Gesellschaft verdeutlichen ihre reichen Beigaben aus Edelmetall und die Besonderheiten ihres Bestattungsplatzes (Grabhügel und Hofgrablege). Außerdem kann man so einen gewissen Eindruck von den noch verschollenen Bewohnern des frühmittelalterlichen Ingoldestat gewinnen. Gerade der Herr vom Löwenbuckel bei Gerolfing gibt Hinweise, wie man sich Ingold, den aus den Ortsnamen erschlossenen Gründer, vorstellen kann, sowohl hinsichtlich seinem Äußeren als auch seiner gesellschaftlichen Stellung.

Textgrundlage: Katalog zur Ausstellung, S. 132-137.


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