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Gerd Riedel:
Latrinen Geschichte(n)
Kleine Sonderausstellung des Stadtmuseums Ingolstadt 1994

 
Gerd Welker in der Latrine. DK-Foto: Wolf
Aus aktuellem Anlaß der Notgrabung am Neckermann-Eck im August 1994 unter der Leitung von Herrn Riedel und der Mitarbeit von Mitgliedern des Historischen Vereins Ingolstadt fand im Stadtmuseum Ingolstadt eine kleine Sonderschau vom 11. bis 25. September 1994 statt.

Die Bergung mittelalterlicher Latrinen stellt eine Tätigkeit dar, die alles andere als angenehm ist.
Deshalb seien die Namen der freiwilligen Ausgräber und der Helfer bei der nachfolgenden Fundbearbeitung an dieser Stelle kurz aufgezählt.

Benachrichtigt durch Herrn Kurt Scheuerer erklärten sich Frau Irmgard Gutzeit sowie die Herren Gerd Welker, Robert Knieg mit Tochter Birgit, Christian Dittmar, Christian Ostermaier, Josef Widmann, Otmar Herrmann, Helmut Schmieder, André Neißer, Gerd Perzel und Sohn, Horst und Renate Riedel, Bernd Sztrna, Dr. Claus Hager, Sebastian Enzinger und Helmut Böhm dankenswerterweise zur spontanen Mithilfe bereit.

Die Entdeckung

"Glauben Sie mir, hier finden Sie nichts!" - Diesen oder einen ähnlichen Satz hören die Archäologen meistens dann, wenn sie sich mit Bauherren oder Architekten vor Beginn einer Baumaßnahme unterhalten. So war es auch am Neckermanneck, und die erste Begutachtung der Baugrube schien die Einschätzung der Bauleute zu bestätigen.

Der Keller des abgerissenen Neckermanngebäudes hatte schon vor Jahrzehnten die vorhandene archäologische Substanz weitgehend beseitigt. Nördlich und westlich an ihn anschließend bestand der Untergrund aus modernem Bauschutt, Kanalisationsgräben, betonierten Sickerschächten oder natürlichem Donauschotter. Für gezielte archäologische Untersuchungen bot sich kein Ansatzpunkt. Dennoch entschlossen sich die Archäologen, die Baustelle nicht aus den Augen zu lassen. Denn die Altstadt von Ingolstadt hat sich in der Vergangenheit schon oft als Fundgrube erwiesen, so daß jederzeit mit Überraschungen zu rechnen war.

Schon nach wenigen Tagen zeigte sich, daß der erste Eindruck der Bauleute und der Archäologen falsch war. Denn unter einer modernen Abwasserleitung legte der Bagger die Oberkante eines gemauerten Schachtes frei. Im weiteren Verlauf der Bauarbeiten schnitten die Maschinen einen zweiten Schacht an, dessen Inhalt aus Sicherheitsgründen nur teilweise geborgen werden konnte.
Schließlich kam unter einer modernen Sickergrube die Kalksteinfassung eines dritten Schachtes ans Tageslicht.
Bei diesen drei Bauwerken handelt es sich um alte Latrinen. Dafür spricht nicht nur ihre Verfüllung aus kompostierten Fäkalien. Die drei unterschiedlich tiefen Abortgruben waren in den anstehenden Lehm eingegraben, der kein Wasser führte. Eine Nutzung als Brunnen ist daher nicht anzunehmen.

Die Ausgrabungen

Sebastian Brandt, das Narrenschift, 1494, nach A. Schramm, Bildschmuck der Frühdrucke 22, Abb. 1172
Die tiefen und engen Schächte von Brunnen oder Latrinen sind für die Archäologie besonders ergiebige Fundorte. Gegenstände, die vor Jahrhunderten in sie hineingerieten, waren oft für lange Zeit unerreichbar. Auch von der Zerstörung durch Baumaßnahmen, Katastrophen oder Kriege blieben sie weitgehend unbehelligt. Die meist feuchten Verfüllungsschichten sorgen zudem für eine sehr gute Erhaltung von Gegenständen aus Holz, Leder oder Stoff. Unverweste Pflanzenreste geben Aufschluß über Umwelt und Ernährung vergangener Zeiten.

In der starken Anhäufung von Fundgut auf engem Raum liegt der Reiz, aber auch die Schwierigkeit bei der Untersuchung von Brunnen und Latrinen. Die Bergung der Latrinen am Neckermanneck war den Mitarbeitern des Stadtmuseums, die vom Landesamt für Denkmalpflege unterstützt wurden, im Rahmen der regulären Arbeitszeit nicht möglich. Da der Fortgang der Bauarbeiten durch die notwendigen Ausgrabungen nicht behindert werden durfte, erklärten sich Mitglieder des Historischen Vereins Ingolstadt kurzfristig bereit, an zwei Wochenenden die begonnenen Arbeiten zu beenden.

Gerade die unteren Abschnitte der Kloaken enthielten das älteste und aufschlußreichste Fundmaterial. Der freiwillige und ehrenamtliche Einsatz der Vereinsmitglieder rettete somit wichtige Zeugnisse unserer frühen Stadtgeschichte. Bisher konnte in der Ingolstädter Altstadt nur eine Latrine dokumentiert und ausgewertet werden, nämlich die Faßlatrine beim Bau des Kaufhauses Wagner. Umso wichtiger und erfreulicher sind die Resultate, die am Neckermanneck erzielt wurden.

Die Latrinen

Die Verfüllung von Latrine 1 bestand, grob gesprochen, im oberen Teil aus sandigem und kiesigem, gelblich-grauem Schutt. Ihren unteren Teil dagegen bildete eine zähe, dunkelbraune und übelriechende Masse aus Fäkalien. Der Abtrittschacht war über längere Zeit in Benutzung gewesen und wohl auch einige Male zumindest teilweise entleert worden. Als er nicht mehr gebraucht wurde, verfüllte man ihn mit Schutt. Dies geschah wohl schon im 18. oder am Anfang des 19. Jahrhunderts. Zahlreiche Gefäße, vor allem aber ein schönes Repertoire figürlich verzierter Ofenkacheln mit allegorischen Darstellungen, gelangten dabei in die Latrine. Diese Kacheln stammen aus dem 16. und dem frühen 17. Jahrhundert. In den Fäkalienschichten lagen die ältesten und am besten erhaltenen Funde. Bemerkenswert sind mehrere fast komplette Töpfe, zalhreiche Glasfunde sowie Fragmente von Ofenkacheln. Sie belegen, daß die Kloake schon in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts benutzt wurde. Von den Mahlzeiten der alten Hausbewohner sind uns Obstkerne, Eierschalen und Tierknochen erhalten geblieben.

Latrine 2 wurde von der Baggerschaufel von oben bis unten aufgeschlitzt. Benachrichtigt durch Herrn Gerd Welker konnten Mitarbeiter des Stadtmuseums die Verfüllung grob dokumentieren. Exakte Untersuchungen waren aber aus Sicherheitsgründen nicht möglich. Der Abtritt liegt größtenteils im Nachbargrundstück direkt an der Parzellengrenze. Wahrscheinlich benutzten ihn zwei Haushalte miteinander. Auch diese Latrine wurde schon im 16. Jahrhundert verwendet. Genaueres wird aber erst zu erfahren sein, wenn sie nach dem Abriß des Nachbargebäudes vollständig untersucht werden kann.

Die dritte Latrine ist die älteste. Sie lag nur kanpp drei Meter neben Latrine 1. Mehrere, zum Teil ziemlich vollständige Gefäße datieren sie in die ersten Jahrzehnte nach der Stadtgründung Mitte des 13. Jahrhunderts. Das viele Moos, das aus ihr geborgen werden konnte, wurde im Mittelalter wohl anstelle von Toilettenpapier verwendet. Wann Latrine 3 ausgedient hatte, ist heute nicht mehr zu klären. Denn eine moderne Sickergrube hatte ihre oberen Partien total zerstört. Es liegt jedoch nahe, daß sie im 16. Jahrhundert aufgegeben und durch Latrine 1 ersetzt worden ist.

Resumée

Die Grabungstätigkeit am Neckermanneck wurde erst am 21. August eingestellt. Seither konnten die Funde lediglich gewaschen und grob gesichtet werden. Die Ausstellung zeigt deshalb nur einen kleinen Teil des noch unrestaurierten Fundgutes. Aufarbeitung und Auswertung des Materials haben erst begonnen, wiederum mit Unterstützung des Historischen Vereins Ingolstadt.

Ungeachtet dessen ergeben sich schon jetzt einige interessante Hinweise. Das hölzerne Stadtmodell von Jakob Sandtner zeigt am späteren Neckermanneck in der 2. Hälfte des 16. Jahrhunderts dichte Bebauung. Durch die Ausgrabungen an dieser Stelle konnte nicht nur ein Teil der Gegenstände geborgen werden, die damals in diesen Häusern verwendet wurden.
Es stellte sich zudem heraus, daß seit dem 13. Jahrhundert aufwendige Maßnahmen zur Entsorgung von Unrat in der näheren Umgebung des Herzogkastens ergriffen werden mußten. Die Bebauung dürfte an dieser Stelle demnach schon damals recht dicht und das städtische Leben gut organisiert gewesen sein.
Das paßt zu der Tatsache, daß bei den Ausgrabungen des Landesamtes für Denkmalpflege am Herzogkasten und beim Zehenthof Keramik aus der Zeit vor der Stadtgründung gefunden wurde. Zwischen Moritzkirche und Herzogkasten entwickelte sich das frühe Ingolstadt offensichtlich besonders schnell.

Gerd Riedel, 1994


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