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Siegfried Hofmann:
Christoph Scheiner - Galileo Galilei
Ein Beitrag zur Ausstellung: Die Jesuiten in Ingolstadt

 
Mit dem Streit zwischen Christoph Scheiner und Galileo Galilei geriet die Ingolstädter Astronomie in den Sog einer Auseinandersetzung, die die wissenschaftliche Welt erregt hatte und noch immer erregt: in den Kampf zwischen dem ptolemäischen und dem kopernikanischen Weltbild und die Rolle der Kirche.
Christoph Scheiner, 1575 oder 1573 in Wald bei Mindelheim geboren, hatte nach seinem Noviziat in Landsberg in Ingolstadt studiert und hier schließlich von 1610 bis 1616 Hebräisch und Mathematik gelehrt.

Scheiner, Entdeckung der Sonnenflecken

Dem Astronomen Scheiner, der in einem Turmzimmer der Jesuitenkirche Heilig Kreuz Observationen durchzuführen pflegte, widerfuhr am 6. März 1611 im Beisein und unter Assistenz Johann Baptist Cysats Unerwartetes.

Erst am 12. November 1611 berichtete er dem Augsburger Markus Welser darüber:
»Vor etwa sieben oder acht Monaten richteten wir - ich und ein Freund - das Fernrohr, das ich auch jetzt benütze und das ein Objekt 600fach oder auch 800fach vergrößert, auf die Sonne und wollten deren optische Größe im Vergleich zum Monde messen und fanden beide beinahe gleich. Und als wir dieser Sache nachgingen, bemerkten wir in der Sonne einige irgendwie sich verdunkelnde Flecken gleich schwarzen Tropfen. Weil wir aber dies damals nicht nach Plan erforschten, dachten wir von dieser Sache gering und verschoben sie auf ein anderes Mal.

Im Oktober kehrten wir deshalb auf diese Sache zurück und fanden in der Sonne sich zeigende Flecken in der Art etwa, wie du sie beschrieben siehst.
Weil aber diese Sachen allen Glauben überstieg, trugen wir anfangs Bedenken, ob sich dies nicht zufällig durch einen verborgenen Fehler des Auges, des Fernrohrs oder der Luft ereignete.
Deshalb zogen wir die Augen der verschiedensten hinzu, die alle ohne Zweifel dasselbe in derselben Lage, Anordnung und Zahl sahen.
Wir zogen deshalb daraus den Schluß, daß in den Augen kein Fehler sei; wie könnte nämlich sonst geschehen, daß die Augen verschiedener an einem Zustand derselben Art leiden und diesen an gewissen Tagen in einen anderen veränderten?«

Weitere Briefe an Welser vom 19. und 26. Dezember 1611 folgten.

Galileis Antwort

Noch im Dezember 1611 schrieb Welser an Galilei, im Januar 1612 ließ er die drei Briefe Scheiners unter dem Decknamen »Apelles« - wie es der Orden verlangte - drucken.
Galilei schwieg zunächst, sichtlich verstimmt, am 4. Mai 1612 gab er Antwort, weitere Briefe folgten. Auch Galilei gab diese seine Briefe in den Druck, 1613 lagen sie der Öffentlichkeit vor.
Galilei beanspruchte nun seinerseits, die Sonnenflecken vor Scheiner entdeckt und diese bereits im Frühjahr 1611 in Rom vorgeführt zu haben, später (1619) wird er diese Entdeckung auf 1610 datieren, wohl im Blick auf die inzwischen publik gewordene Entdeckung der Sonnenflecken durch Johannes Fabricius am 9. März 1611.
Damals dürften beide, Scheiner und Galilei, des Johannes Fabricius 1611 erschienene »Narratio« noch nicht gekannt haben.
Scheiner und Galilei hier Unredlichkeit vorzuwerfen, entbehrt jeglicher Grundlage, auch Kepler war über den verspäteten Erhalt dieser Schrift verärgert gewesen.

Galileis Vorwurf

Schwerer wiegt der Vorwurf der Unredlichkeit Scheiners durch Galilei.
Dieser Vorwurf wird dadurch gestützt, daß ein Mitbruder Scheiners, Paul Guldin, berichtet hatte, daß er bei der Demonstration der Sonnenflecken durch Galilei anwesend gewesen sei und Scheiner davon in Kenntnis gesetzt hätte, worauf Scheiner seinerseits Beobachtungen angestellt hätte.
Galilei ging es hierbei um zweierlei: um die Priorität der Entdeckung und um deren Stellenwert für den Nachweis der Richtigkeit des kopernikanischen Systems, Scheiner hingegen nicht um den Ruhm des Entdeckens, sondern die Rettung seiner Ehre:
»Was gewinne ich dabei«, schrieb er später in seiner »Rosa Ursina«, »wenn man mich für den ersten Entdecker der Sonnenflecken hält und als solchen ausgibt, und was verliere ich, wenn man mir solchen Titel abspricht? Ich würde mich schämen, um so eitlen Vorrang zu streiten.«

Unstreitig ist, daß Scheiner und Galilei zunächst den Stellenwert ihrer Beobachtung der Sonnenflecken nicht erkannt hatten. Dies mag der Grund für die späte Veröffentlichung gewesen sein.
Denkbar ist auch der Vorschlag Braunmühls, daß die Erzählung Guldins Scheiner veranlaßt haben könnte, seinerseits von seinen nun schon über ein halbes Jahr zurückliegenden Beobachtungen Bericht zu erstatten, und daß er erst nach der Kunde von Galileis Demonstration die systematischen Observationen aufnahm.
Wie verärgert Galilei tatsächlich war, ist u. a. aus seinem Brief vom 16. Juni 1612 an Paolo Gualdo in Padua zu vernehmen. In seinem Buch "Il Saggiatore" von 1623 erhob er vor aller Öffentlichkeit den Vorwurf des Plagiats.

Scheiner schreibt Galilei

Scheiner war sich sichtlich nicht des Zornes Galileis bewußt.
Mit Brief vom 6. Februar 1615 sandte er ihm die 1614 erschienene Schrift über eine unter seinem Vorsitz erschienene Ingolstädter Disputatio seines Schülers Georg Locher zu. Er sprach hierbei Galilei auf dessen kopernikanische Hypothesen an und bat ihn um sein Urteil, über Gegenteiliges würde er nicht beleidigt sein.

Wenig später, am 11. April 1615, ließ er Galilei seine Neuerscheinung »Sol Ellipticus« zugehen, wiederum um dessen, wenn auch gegenteiliges Urteil bittend. Scheiner scheint ohne Antwort geblieben zu sein, wenigstens zunächst.

Christoph Scheiner: Sonnenflecken. Rosa ursina.

Rosa Ursina, Dialogo

1630 erschienen in Rom Scheiners bewundernswertes monumentales Hauptwerk »Rosa Ursina« und 1632 Galileis »Dialogo dei Massimi Sistemi del Mondo«.
Galilei holte darin zum großen Schlag nicht nur gegen das ptolemäische Weltsystem, sondern speziell gegen Scheiner aus, den er mit seinem Schüler Georg Locher dem Gespött der wissenschaftlichen Welt preiszugeben gedachte. Die Angriffe auf Lochers »Disquisitiones« ziehen sich wie ein roter Faden durch Galileis großes Werk.

kopernikanisches System

Weder Lochers Schrift noch die Frage der Sonnenflecken wären wohl dieses gewaltigen Aufhebens Wert gewesen, wenn Galilei nicht Scheiner und Locher zu finsteren Widersachern des kopernikanischen Systems gestempelt hätte, wenig bedenkend, daß er hiermit auch die ihm wohlwollenden und dem kopernikanischen System zugeneigten Jesuiten am Collegium Romanum in Rom gegen sich aufbringen mußte.
Dabei hatte sich Galilei in der Beweiskraft seiner Argumente für das kopernikanische System in einigen Punkten gründlich verschätzt, etwa am Beispiel der Gravitation, der Erdbewegung, der Gezeiten und selbstverständlich der Sonnenflecken.
Gerade wegen dieses vermeintlichen Beweiswerts der Entdeckung der Sonnenflecken rollte Galilei die Geschichte ihrer Entdeckung in der Auseinandersetzung mit Scheiner in seinem großen Werke erneut auf und datierte nun bewußt seine Entdeckung auf 1610, also vor Scheiner und Fabricius.
Scheiner war in der Wertung zurückhaltender, die Dokumentation seiner Observationen bleibt aber ebenso bewundernswert wie seine Entdeckung der Neigung der Sonnenachse gegen die Ekliptik.

Galilei-Prozeß

Der Galilei-Prozeß von 1632/1633 griff unglücklicherweise auf die Indizierung von 1616 zurück. Gegenüber damals aber war nun eine Verschärfung sondergleichen eingetreten.
Kardinal Bellarmin hatte seinerzeit als möglichen Weg aufgezeigt: keine kirchlichen Bedenken gegen das kopernikanische System als Hypothese; sollten unumstößliche Beweise dafür vorgelegt werden, sei ein bedachtsames Vorgehen und erneutes Überdenken, ob man bisher die Heilige Schrift richtig verstanden habe, erforderlich.
Und der Jesuit Inchofer hatte im Prozeß zweifelsohne richtig gesehen, daß dieser Beweis weder aus den Sonnenfleckenbeobachtungen noch aus den Gezeiten zu erbringen war.
Galilei und seine Freunde waren von den »Schlichen Pater Scheiners und anderer Jesuiten, die ihn ins Verderben stürzen wollen« überzeugt (Brief Gabriel Naudés an Pierre Gassendi vom April 1633). Nicht zu übersehen ist, daß namhafte Jesuiten gerade nicht vom kopernikanischen System abrückten, wie Niccolo Fabri de Peiresc an Pierre Gassendi im September 1633 schrieb.

Descartes über Scheiner

Scheiner haftete die Fama des Drahtziehers im Galilei-Prozeß an, so daß Descartes, selbst in Schwierigkeiten geraten, gegenüber Mersenne im Februar 1634 mutmaßte:
»Ich habe mir sagen lassen, daß die Jesuiten zur Verurteilung des Galilei beigetragen haben; und das ganze Buch des Paters Scheiner zeigt zur Genüge, daß sie nicht zu seinen Freunden zählen.
Im übrigen aber erbringen die Beobachtungen dieses Buches so viele Beweise, um der Sonne die ihr zugeschriebene Bewegung abzusprechen, daß ich nicht zu glauben vermag, daß Pater Scheiner nicht selbst in seinem Herzen an die Meinung des Kopernikus glaubt ...«

Bewertung

So hoch damals die Wogen in der ganzen wissenschaftlichen Welt gingen, so möchte ich dennoch an meiner Beurteilung von 1986 festhalten:
Das Kernproblem blieb der Widerspruch zwischen der Heiligen Schrift und naturwissenschaftlichen Erkenntnissen bzw. Hypothesen, d. h. die grundsätzliche Frage nach dem Selbstverständnis von Verkündigung und Wissenschaft und der Tragfähigkeit der jeweiligen Methoden.
Hier Theologie und Naturwissenschaft zu scheiden bedeutete gerade damals eine Herausforderung, der man auf Anhieb nicht gewachsen war. Von seiten der Kirche bzw. Theologie hier Widersprechendes als Hypothesen zuzulassen hatte sicherlich ein Maximum an Liberalität bedeutet.
Galileis Schwäche war in seinem Ausgreifen auf Schriftinterpretation gelegen, wobei ihm manche Freunde wie Foscarini durch vorschnelle Gleichsetzungen Bärendienste geleistet hatten, sowie im Fehlen eindeutiger Beweise, verschärft noch durch die Härte der Attacken besonders im »Dialogo«.

kopernikanisches System in Ingolstadt

Angesichts des Galileo-Prozesses taten sich die Jesuiten auch in Ingolstadt noch lange Zeit mit dem kopernikanischen System schwer.
Selbst den modernen Naturwissenschaften zugewandte Gelehrte wie Joseph Mangold und Berthold Hauser wollten es nur als Hypothese zulassen, obwohl sich seit Bellarmin die Beweislage völlig verändert hatte, noch immer stand die Frage der Interpretation der Heiligen Schrift einer allgemeinen Anerkennung im Wege, wie bei Berthold Hauser im achten Band seiner »Elementa philosophiae ad rationis et experientis ductum conscripta atque usibus accommodata« von 1755 bis 64:

Berthold Hauser

»Das Copernikanische System würde wohl allgemein als Thesis angenommen werden, wenn nicht die Rücksicht auf die Heilige Schrift entgegenstünde; aber P. Fabri erklärt, wenn die Copernikaner die Bewegung der Erde wirklich beweisen, wird die Kirche erklären, daß die Stelle der Heiligen Schrift nicht im Literalsinn, sondern figürlich aufzufassen sei; bis jetzt fehlen die Beweise.
Das System von der Bewegung der Erde kann wegen seiner großen inneren Wahrscheinlichkeit als eine schöne Hypothese angenommen werden. Fern sei aber eine Zensur gegen die heutigen Verteidiger des Copernikanischen Systems, da Rom schweigt und sie dieses Schweigen als eine hinreichende Approbation ihrer Meinung ausgeben.«

Nicasius Grammatici, Benedikt Stattler

Doch gab es auch konsequente »Kopernikanisten« unter den Jesuiten wie den ebenfalls zeitweise in Ingolstadt wirkenden Nicasius Grammatici, der zur Verbreitung des Systems ein Planetolabium nach dem heliozentrischen System entwarf, in einem Kupferstich 1726 veröffentlichte und eine entsprechende Gebrauchsanweisung unter dem Titel »Explicatio et usus planetolabii novi a mathesi Ingolstadiensi Soc. Jesu cum licentia superiorum astrophilis exhibiti Anno MDCCXXVI«.
Daß dann Benedikt Stattler das kopernikanische System mit physikalischen und astronomischen Gründen bewies, war zu erwarten.

Hofmann, Siegfried. Christoph Scheiner - Galileo Galilei.
In: Die Jesuiten in Ingolstadt, 1991, S. 160-163.


siehe auch:


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