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Flußgeschichte unserer Heimatlandschaft I
Die Urdonau

 
Heinrich Niedermeier
Heinrich Niedermeier auf einem seiner geologischen Ausflüge, ca. 1996

 

1.0 Im Anfang war das Paradies!

Die Aufschüttungslandschaft entsteht

Vor 15 Millionen Jahren - im erdgeschichtlichen Abschnitt des "Jungtertiär" - war unser Heimatgebiet eine paradiesisch schöne Fluß-Seenlandschaft vergleichbar den heutigen "Everglades" in Südflorida.
Unter warmfeuchtem Klima wuchsen Palmen, Mammutbäume, Zimtbäume und Sumpfzypressen. Alligatoren, Schildkröten und viele Fischarten belebten die Gewässer, gewaltige Waldelefanten und die Vorläufer unserer heutigen Pferde suchten Nahrung in Sumpf- und Galeriewäldern, Riesenschlangen lauerten auf Beute.

Jungtertiär. Zeichnung: Heinrich Niedermeier
Die trägen Flüsse kamen von Osten und zogen in gewaltigen Schleifen (= Mäandern), Seen und Altarme bildend, nach Westen.
Sie schleppten den fein zerriebenen Schutt (= Molasse) der aufsteigenden Ostalpen als Sand, Kies oder Ton mit und setzten ihn in der weiten Senke zwischen dem noch niedrigen, flach nach Süden abtauchenden Jura und dem Alpenrand ab.
So entstand in Millionen von Jahren eine leichtwellige Aufschüttungslandschaft mit geringen Höhenunterschieden.

 

2.0 "Krimi" Landschaftsentwicklung

2.1 Auf Spurensuche im Museum

Beweise für die Existenz der damaligen vielfältigen Pflanzen- und Tierwelt liefern Fossilien (Versteinerungen), die in unseren erdgeschichtlichen Museen in Eichstätt, Solnhofen, Neuburg, München und im Stadtmuseum Ingolstadt zu bewundern sind.

Fossilien in unserer näheren Umgebung sind - sieht man einmal vom Juragebiet ab - zwar sehr selten, wer aber Neugier, Geduld, etwas kriminalistischen Spürsinn und "Jagdeifer", genaue Beobachtungsgabe für Kleinigkeiten und Zeit (!) besitzt, kann ohne weiteres auch hier welche finden. Zu empfehlen sind im Ingolstädter Gebiet Baugruben, Kanalgräben, Sand - Lehm - Kiesgruben, Kieshaufen und Kiesstrände an Baggerseen oder Baggereien. Jede Kiesschüttung auch mitten in der Stadt oder in Wohngebieten der Umgegend kann fündig sein, z.B. Kiesschüttungen um Häuser, Geschäfte, Industriebauten.

Erst voriges Jahr fand ich im Aushub einer Baugrube im Westen Ingolstadts große Sandsteinblöcke aus der Molasseschüttung mit zahlreichen Einschlüssen von Blatt-Fossilien.
Sie haben vor schätzungsweise 3 - 8 Millionen Jahren in unserer Gegend existiert. Die genaue Bestimmung der (mir unbekannten) Pflanzenart kann nur ein Spezialist, in diesem Fall ein Paläontologe (= Wissenschaftler, der ausgestorbene Lebewesen erforscht), zuverlässig leisten.
Beim Bau der Ingolstädter Donaustaustufe (1965) fand ein Kollege in einem Sandstein aus dem ausgebaggerten Untergrund der Donau ein großes Blattfossil, das nach wissenschaftlicher Untersuchung als Zimtbaumblatt bestimmt wurde. Es ist einleuchtend, daß aus Fossilien Rückschlüsse auf das Klima der damaligen Zeit möglich sind: Zimtbäume wachsen z.B. heutzutage auf der Insel Ceylon, Südindien im tropischen (= heiß-feuchten) Klima!

Erdgeschichtliche Zeitabschnitte:
Eozän (=Alttertiär): 54-38 Millionen Jahre vor heute
Altpliozän (=Jungtertiär): ca. 5 Millionen Jahre vor heute
Jungpleistozän (=Eiszeit): 100.000-10.000 Jahre vor heute
 

2.2 Auf Spurensuche in freier Landschaft

Weil wir schon auf Fossiliensuche in freier Landschaft sind: Beweise für vorzeitliche Klimaänderungen und Landschaftsgeschichte liefert natürlich auch die Landschaft selbst. Sie stellt nämlich sozusagen ein "Fossil im Großformat" dar, das allerdings dauernden Veränderungen unterworfen ist. Zu untersuchen sind also die heutigen Landschaftsformen (Täler und Hochflächen) und die Böden (Kies - Sand - Löß - Lehm - Moorböden), welche teils durch Flüsse oder Winde abgelagert wurden, teils durch Verwitterung an Ort und Stelle entstanden. An ihnen ist abzulesen, wie sie sich unter dem Einfluß wechselnder Klimate und wechselnder Vegetation (Pflanzenbedeckung) bis zum heutigen Zustand entwickelt haben. Sie stellen gewissermaßen die "Fingerabdrücke" dar in dem "Krimi", der Landschaftsentwicklung heißt. Da eine solche Entwicklung sehr, sehr langsam verläuft, für eine menschliche Betrachtungsweise unmerklich, ist sie nicht direkt zu beobachten sondern nur indirekt durch Schlußfolgerungen aus den oben erwähnten "Indizien" zu erschließen.
 

2.3 Wer waren (und sind!) die Täter?

2.3.1 Allgegenwärtige Zerstörer: Die Kräfte der Verwitterung

Klimatische Einflüsse lockern und zermürben das feste Gestein, z.B. die Temperaturverwitterung durch Sonneneinstrahlung, Erhitzung, durch Frost, bzw. durch den tageszeitlich bedingten Wechsel der Temperaturen. Durch Ausdehnung bei Hitze und Zusammenziehung bei Abkühlung entstehen Zugspannungen, die das Materialgefüge lockern. Haarrisse gestatten Eindringen von Regenwasser, das bei tiefen Temperaturen durch Eisbildung (Ausdehnung!) Gesteinsteile absprengt.

Die chemische Verwitterung löst durch kohlensäurehaltiges Regenwasser vor allem Kalkgesteine auf und führt es mit den Bächen und Flüssen weg. Von jedem Quadratkilometer der Frankenalb (=des Fränkischen Jura) gehen jährlich im Durchschnitt 100 Tonnen Kalk in Lösung. Das bedeutet, eine Masse von 40 Kubikmetern festen Gesteins.

Bei der biologischen Verwitterung sind 2 Arten zu unterscheiden:

  • Die chemisch biologische Verwitterung:
    Bakterien, Algen, niedere Pilze, Flechten, Moose und Pflanzenwurzeln scheiden Säuren aus und greifen den Mineralboden an.

  • Die physikalisch-biologische Verwitterung:
    In Spalten eindringende Pflanzenwurzeln sprengen den Gesteinsuntergrund durch Wachstumsdruk (bis über 10 kg/cm²!). Wühlende Tiere (Regenwürmer, Maulwürfe usw.) bahnen den Verwitterungsfaktoren (Wasser, Luft, Kälte) den Weg für das weitere Zerstörungswerk.
 

2.3.2 Fließender Abtransport des Raubgutes

Die Arbeit der Flüsse - Bäche - Rinnsale

Sie transportieren das gelockerte Gestein aufgrund des Gefälles ab (= Erosion, Abtragung), zerkleinern und zerreiben es zu Kies, Sand, Schlamm. Auch die unsichtbaren, gelösten Anteile im Flußwasser (z.B. Kalk) werden so ununterbrochen weiterbefördert.
Aber nicht nur Material aus weit entfernten Liefergebieten (z.B. den Alpen) wird transportiert sondern auch Locker- bzw. Festgestein, das von den Flußufern (besonders Prallhängen) und vom festen Flußuntergrund losgerissen wird.

Vor dem Bau der Iller- Lech- und Donaustaustufen war der Flußuntergrund durchwegs mit einer dicken Schicht Kies bedeckt, die eine "Schutzpanzerung" darstellte und sogar in großen Mengen ausgebaggert werden konnte. Seit die Staustufen stehen, wird kein Kies mehr transportiert (Sperriegelwirkung). Die Folge ist, daß sich der Fluß durch Strömung und mitgeführte feinere Schwebstoffe zunehmend in den bei Ingolstadt bestehenden weichen Molassetonuntergrund eingräbt.

Das führt mit der Zeit natürlich zu Problemen bei den Brücken, deren Pfeiler unterspült werden. Sie mußten schon (Adenauerbrücke, Schillerbrücke) durch aufwendige und teuere Schutzpackungen aus Blockgestein mit Feinmaterial gesichert werden. Die Maßnahmen müssen irgendwann einmal sicher wiederholt werden, weil ja die Erosionskraft der Donau unablässig weiter wirkt.

Entstehung von Flußterrassen. Zeichnung: Niedermeier
Erlahmt die Transportkraft eines Flusses z.B. aus Wassermangel (Dürre, Eiszeit, Versickerung) oder Gefälleabnahme (absinkender Untergrund) so wird das mitgeschleppte Frachtgut abgelagert (= Akkumulation). In diese abgelagerten Massen kann sich der Fluß wieder eingraben und neue Fließrinnen schaffen. Dabei entstehen Flächen verschiedener Höhe, die einen Zeitmaßstab für die ablagernde und ausschürfende Tätigkeit des Flusses darstellen, die sogenannten Flußterrassen. Sie werden nach der Höhenlage über der Normalspiegelhöhegemessen z.B. die 3 m - Terrasse = die Flußaue, die bei Hochwasser überschwemmt wird, die 5 m - Terrasse (= die Niederterrasse - hochwasserfrei), die 7 m und 14 m Hochterrasse usw. Die höchsten (und damit ältesten Flußkiese) der Urdonau über dem heutigen Altmühltal liegen rund 150 m über dem heutigen Flußwasserspiegel!
Flußterrassen haben für die Flußgeschichte höchste Beweiskraft und stellen gute "Fingerabdrücke" für die gesamte Landschaftsgeschichte dar.
Neben der linienhaften Abtragung gibt es noch eine flächenhafte, die aber nicht von Flüssen, Bächen, Rinnsalen her erfolgt, sondern z.B. durch Abrutschen durchfeuchteter Hänge nach schweren Regengüssen oder Abgleiten aufgetauter Böden über noch gefrorenem Untergrund.

Es ist verständlich, daß Verwitterung, Abtragung, Transport und Ablagerung von vielerlei Faktoren abhängen, vor allem aber vom Klima: d.h. hohe oder geringe Niederschläge, hohe oder niedrige Temperaturen, Temperaturwechsel mit hohen oder geringen Schwankungen, hohe oder geringe Verdunstung und damit reicher Pflanzenwuchs oder Steppe bzw. Wüste. Unsere Landschaft wurde also vor allem durch das Klima geformt.
 

2.3.3 Underground-Bewegungen

Schließlich wäre die "Transportgesellschaft Fließgewässer" bald am Ende, wenn nicht gewaltige, unablässig wirkende Kräfte aus dem Erdinnern immer wieder Reliefunterschiede (=Höhenunterschiede) schaffen würden. Diese erdinneren (= endogenen) Kräfte bewirken großflächige Hebungen und Senkungen, Kippungen, Verschiebungen und Verbiegungen von Teilen der Erdkruste oft über Jahrmillionen hinweg. Die Kräfte der Verwitterung und die Flüsse (beides erdäußere = exogene Kräfte) versuchen diese Höhendifferenz wieder auszugleichen und verändern dadurch das Bild (die Form) der Erdoberfläche. Landschaft ist also etwas, was sich dauernd ändert.

Heinrich Niedermeier, 1994


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