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Joseph Mayr begegnet Kaspar Castner - Ingolstadt/Peking
von Gerd Treffer

Historische Blätter Ingolstadt - Jahrgang 14 - Ausgabe Nr. 134 vom 15.02.2024

Am 1. Februar 1671 wird Joseph Mayr in Hall, Tirol, geboren. 1687 tritt er in das Noviziat der Jesuiten in Landsberg am Lech ein. Es folgen vierzehn Jahre der philosophischen Studien, des Magisteriums der Theologie. Am 21. Mai 1701 wird er in Eichstätt zum Priester geweiht. Nach dem Tertiatsjahr in Altötting kehrt er nach Ingolstadt zurück. 1703 unterrichtet er an der Bayerischen Landesuniversität Mathematik, dann liest er den dreijährigen philosophischen Kurs. Er lebt im Ingolstädter Jesuitenkonvikt.

Aus dieser Zeit stammt höchstwahrscheinlich seine Begegnung mit dem damals schon berühmten Kaspar Castner, der, nachdem er in Ingolstadt Theologie studiert hatte und 1694 zum Doktor der Theologie promoviert worden war, 1697 als Missionar nach Macao und von dort in die Jesuitenniederlassung von Foshan (der heutigen Ingolstädter Partnerstadt) gekommen war, wo er am 15. August 1700 sein abschließendes Ordensgelübde abgelegt hatte.

150 Jahre zuvor hatte sich der Mitbegründer des Jesuitenordens , der Hl. Franz Xaver, eine Ikone, das Urbild des Jesuitenmissionars, bemüht, in das verbotene Land China einzureisen, um dort eine Mission zu begründen. Ohne einen Fuß auf das chinesische Festland zu setzen, hatte er auf der dem chinesischen Riesenreich vorgelagerten Insel Sancian einen einsamen Tod gefunden.

1700 nun ereilte den Jesuitenpater Kaspar Castner in seinem Konvikt zu Foshan der Auftrag seiner Ordensoberen, nach Sancian zu segeln, um am Sterbeort des Heiligen Franz Xaver eine Kirche zu bauen. Mit bereitwilliger und tatkräftiger Unterstützung der chinesischen Beamtenschaft und Mandarine gelang diese schwierige Mission. Castner schrieb darüber einen Bericht in lateinischer Sprache, der in China mühsam (da das Chinesische keine Lettern sondern nur Zeichen kennt ) in Holz geschnitten und gedruckt wurde. Nur wenige Exemplare davon haben sich bis heute erhalten – eines in der Bibliothek der Ludwig-Maximilians-Universität München.

Caspar Castners Bericht über das Grab des Heiligen Franz Xaver

Eine von Thierry Meynard, S.J., Professor für Philosophie an der renommierten Sun Yat-sen Universität in Guandong (Kanton) und Gerd Treffer, Ingolstadt, erarbeitete und herausgegebene wissenschaftliche Edition dieses Berichts von Castner - einschließlich eines Faksimile-Abdrucks des in China hergestellten Buches - erschien 2019 mit Übersetzungen ins Deutsche, ins Englische und ins Chinesische und ausführlichen Anmerkungen zu den einzelnen Textpassagen unter dem Titel „Sancian als Tor nach China“. Der Band wurde in seiner europäischen Version aufgenommen in die Reihe „Jesuitica“ des renommierten Regensburger Verlages Schnell und Steiner und in die Historische Reihe des Audi-Konfuzius-Instituts Ingolstadt, die chinesische Version wurde Teil der Publikationsreihe der Sun Yat-sen-Universität. Das Erscheinen dieser wissenschaftlichen Publikation war Anlass eines international besetzten Symposions an der Universität in Kanton mit Teilnehmern von Universitäten aus Frankreich, Deutschland, Australien, Macao und Hongkong . „Sancian als Tor nach China“ wurde vielfach rezensiert, insbesondere im Historischen Teil des Römischen Archives der Gesellschaft Jesu.

Castner zu Besuch zurück in Ingolstadt

Um in die erste Dekade des 18. Jahrhunderts zurückzukehren: Castner war in China rasch zu hohem Ansehen gelangt, nach Peking versetzt, Mandarin höherer Stufe geworden, später Vorstand des Mathematischen Instituts und Direktor der Kaiserlichen Sternwarte zu Peking und zum Lehrer kaiserlicher Prinzen, darunter des Thronfolgers berufen worden. Er gehörte zu den ganz wenigen Jesuiten, die aus China wieder nach Europa zurückkehrten ( und dort entsprechend bestaunt wurden), allerdings nicht mit dem Zie,l in Europa zu bleiben. Die Missionare hatten China zu ihrem Aufgabenland erkoren, und Castner kehrte auch wieder dorthin zurück.

Nach Europa zurück kam er als Gesandter des chinesischen Kaisers und Beauftragter der katholischen Bischöfe von Macao, Nanking u.a, um die Sache der „chinesischen Jesuiten“ in Rom zu vertreten. Die hatten eine besondere Missions-Methode entwickelt, die Akkomodation ( auch Akkulturation genannt), den Umgang mit der hochentwickelten, alten chinesischen Kultur auf Augenhöhe – ohne europäische Überheblichkeit: Genaugenommen war dies der erste Versuch in der Geschichte überhaupt : Zwei Kulturen sollten sich in gegenseitigem Respekt kennenlernen und voneinander profitieren. (Um es vorwegzunehmen: Dieser Versuch war den Chinesen sehr ernst, und er scheiterte nicht an ihnen, er scheiterte am hohen Klerus und an den Fürstlichkeiten Europas). Die Jesuiten hatten (ganz abgesehen von ihrer Befassung mit chinesischer Philosophie und Konfuzius) versucht, christlichen Glauben mit chinesischen Traditionen und der chinesischen Vorstellungswelt zu versöhnen – was verknöcherten Klerikern in Europa , die noch selten über den Dom-Turm ihrer Bistumskirchen hinauszudenken gelernt hatten, zu weit ging und deshalb zum sogenannten „Ritenstreit“ führte.
Seine Position am Pekinger Hof, seine brillante wissenschaftliche Karriere, seine Bedeutung für die Mission in China hatten Castner zur wichtigen Autorität zur der Verteidigung der Akkomodation gegenüber dem Heiligen Stuhl prädestiniert, die Papst Clemens XI. 1704 unter mancherart Einflüsterungen verboten hatte . Selbst vom Kuppeldach von Sankt Peter reichte offenbar der Blick allenfalls bis Trastevere oder Ostia.

Darüber zu debattieren , hatte man Castner nach Europa zurückgeschickt , sozusagen zur Missionierung für die Mission. Die Reise dauerte von 1702 bis 1706. In ihrem Rahmen kehrte Castner auch an den Ort seiner Studien, in die Stadt, in der er Jahre seines Lebens, ins das Konvikt, in dem er gelebt hatte, zurück. Ganz aufgeregt und offenbar hoch erfreut berichtet eine zeitgenössische Quelle von diesem „Heimatbesuch“ Castners. Der berühmte Chinamissionar habe „ in unserem Refectorio das Mittagsmahl eingenommen.“ Natürlich ist Castner dabei einigen alten Studiengenossen begegnet, hat sich wohl mit den Jesuitenbrüdern ausgetauscht, wie eingangs vermutet wohl auch mit Joseph Mayr, ganz sicher aber mit Ferdinand Orban.

Orban und seine Sammelleidenschaft

Ferdinand Orbans „ Kuriositätenkabinett“ war weithin bekannt, eine universitäre Schausammlung vom Feinsten, die Vorstufe eines europaweit bekannten „Museums“. 1724-1725 bauten die Jesuiten dafür sogar im Innenhof ihres Konvikts einen eigenen Museumstrakt (,den man heute als „ Orbansaal“ kennt). Bis 1784 war seine universitäre Lehrsammlung die größte Attraktion der Universität und zog Besucher aus ganz Europa an. Zu sehen waren völker- und naturkundliche Objekte, mathematisch-physikalische Instrumente , Textilien, Waffen, Bücher, die Hirnschale Oliver Cromwells , eine Mumie , Lehrstuhl und Birett Professor Ecks , 125 Gemälde ( Rubens, Tintoretto, Tizian, Michelangelo…)
Vorweg: Bei der Aufhebung des Jesuitenordens ging die Sammlung in das Eigentum der Universität über und wurde später auf einschlägige Universitätseinrichtungen und staatliche Sammlungen verteilt. So kam die oben erwähnte kostbare Ausgabe des Castner-Berichtes über die Errichtungen einer Kirche am Sterbeort des Heiligen Franz Xaver auf Sancian in den Bestand der Münchner Universitätsbibliothek.

Viele seiner besonders interessanten Ausstellungsobjekte bezog Orban von seinen Jesuitenmitbrüdern aus den fernen Missionsgebieten, und selbstredend ließ er sich die Gelegenheit nicht entgehen, wenn er schon Castner von Angesicht zu Angesicht im Refectorium gegenübersaß, sich Exponate anzueignen und um weitere zu betteln. Im Orban-Katalog jedenfalls steht verzeichnet: Zur Sammlung gehörten „Messer und zwei Stäbchen - sind von P. Castner, einem gebürtigen Münchner. Dieser Missionar der Gesellschaft war zu Peking und stand in großem Ansehen bey Hof; der Kaiser machte ihn zum Mandarin und gebrauchte sich seiner Person in der Gesandtschaft nach Rom, von da aus kam er wieder in unsere Provinz und in unserem Refectorio nahm er das Mittagsmahl ein , bei dem er diesen Löffel, Messer und Gabel gebrauchte.“ Später wurden sie im „Museum“ gezeigt. Der Katalog zählt weitere „sinesische Bestände auf“ . (Darunter wertvollste Dokumente, die in Ingolstadt zu präsentieren eine äußerste verdienstvolle Aufgabe wäre). Als Besonderheit erwähnt der Katalog , die „Erzählung der Erbauung des Grabes des H. Franz Xaver, die P. Casparus Castner zusammengeschrieben hat…“ (Siehe oben die Anmerkung, wie dieses Buch, genau dieses, wohlgemerkt, in den Bestand der Universitätsbibliothek gelangt ist).

Bekannt ist: Am Eingang zu „Orbans-Museum“ stand später nach Castners Besuch (museumsdidaktisch revolutionär und Vorgänger aller späten Entdeckungen musealer Dramaturgie) eine Mannequin-Puppe mit dem Mandarins-Ornat Kaspar Castners und mit seinem Mandarins-Hut.(Ein Hinweis nur: Selbiger Mandarins-Hut ist in den Beständen des Georgianums noch heute vorhanden: man vergleiche die obige Anregung, solch einmalig mit der Ingolstädter Geschichte verknüpfte Objekte in einer Ausstellung oder gar dauerhaft in Ingolstadt zu präsentieren).

1706 kehrt Castner - begleitet von einer Reihe junger Missionare nach China zurück. Nebenbei weiht er en passant - als Astronom ist er schließlich auch ein guter Navigator zur See - eine kürzere Seeroute ( über Timor und) ohne Zwischenstopp ein. 1707 ist er zurück in Peking

Mayr seinerseits ist in Ingolstadt hängengeblieben. Mehrmals ersucht er um seine Entsendung in die überseeische Mission. Man kann nur spekulieren, welche Rolle dabei seine Begegnung mit Castner gespielt haben mag. Der Jesuitenhistoriker Duhr hat in den Berichten aus der Missionsarbeit deutscher Jesuiten von deren „deutschen Auslandssehnsucht“ gesprochen. Dazu gehörte wohl auch ein wenig der Wunsch, den engen Denkweisen des alt-gewordenen Europa zu entrinnen und neue Weite zu erleben.

1706 bis 1708 ist Mayr Studienpräfekt in Amberg. 1708 kehrt er nach Ingolstadt zurück. Bis 1719 ist er Professor für Dogmatik, in dieser Zeit fünfmal Dekan. 1710 scheint ihm endlich der Weg nach Mexiko offen, im letzten Moment wird ihm die Erlaubnis entzogen.

1719 verlässt Mayr die Universität, aber nicht die Stadt. Er übernimmt das Amt des Studienpräfekten. Erst 1727 geht er als Rektor der Universität nach Dillingen. 1731 bis 1734 ist er Provinzial der Oberdeutschen Ordensprovinz. Dann leitet er – wieder - 1734 bis 1737 das Ingolstädter Kolleg.
Und schließlich geht er nach Rom. Dort ist er bis zu seinem Tod im Februar 1743 „Assistens Germaniae“.
Seinen großen Jesuitenbruder Castner hat er um viele Jahre überlebt. Castner ist am 9. November 1709 im Alter von 44 Jahren in Peking verstorben. Er wurde auf dem berühmten Jesuitenfriedhof in Peking bestattet.


Literatur:
Thierry Meynard, Gerd Treffer; Sancian als Tor nach China. Kaspar Castners Bericht über das Grab des Heiligen Franz Xaver – Sancian, Gate to China – Kaspar Castner’s account tot he grave of Saint Francis Xavier; Regensburg 2019.
Gerd Treffer; Jesuitenmission in China. Der Jesuitenfriedhof in Peking. (Zur Ausstellung im Bayerischen Armeemuseum); Ingolstadt, 2016