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Stephan HUBER, Jakob KURRER - Große Ingolstädter Architekten
von Gerd Treffer

Historische Blätter Ingolstadt - Jahrgang 13 - Ausgabe Nr. 124 vom 01.10.2023

Dass sich in der Zeit der großen architektonischen Prachtentfaltung des Barock Kirchenbaumeister allererster Güte in Ingolstadt betätigten, ist bekannt, die Brüder Asam, Johann Michael Fischer …Kaum bekannt hingegen ist, dass Ingolstadt selbst Baumeister von Format hervorgebracht hat, die andernorts – in Eichstätt, Landsberg, Innsbruck, Konstanz, Luzern, Ochsenhausen, im elsässischen Ensisheim vielbeachtete Bauten errichtet haben: die „Jesuitenbaumeister“ Stephan Huber (1554 bis 1619) und Jakob Kurrer (1585 bis 1647), beide Architekten, keine Theologen und daher im Orden „Brüder“.

Stephan Huber (schreibt Joseph Braun in seinem Buch über die Kirchenbauten der deutschen Jesuiten, Freiburg 1910) kam 1554 in Ingolstadt zur Welt (auch wenn andere Quellen ihn in Egling – im heutigen Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen – und dritte in Landsberg verorten). Als er 1586 ( vergleichsweise betagt) in Landsberg in das Noviziat des Ordens eintritt, hat er längst einen Beruf und darin Erfahrung. Er ist Bildhauergeselle, hat das Handwerk eines „statuarius“ sogar in Rom erlernt. Im Menologus - einer Sammlung von „Lebensbilder(n) aus der Geschichte der deutschen Ordensprovinz der Gesellschaft Jesu“ - heißt es, Huber habe von „früher Jugend an eine seltene Lust und Fertigkeit in allerlei künstlerischen Versuchen und Erfindungen“ gezeigt. Sein Hang zur Bildhauerei („worin er zu großen Hoffnungen berechtigte“) trieb ihn („um sich darin gründliche auszubilden“) nach Rom, wo er eine Zeit lang mit großem Fleiß für seine Kunst arbeitete, aber auch erkannte, dass es noch eine weitere Kunst gebe, nämlich, „die Seele nach Gott zu bilden“. Nach der Ordensliteratur unterzog er sich (ungeachtet seines für einen Novizen fortgeschrittenen Alters) freudig allen Prüfungen und Übungen des Ordenslebens, wurde aber bald „herangezogen“, seine künstlerischen Fähigkeiten zu entfalten. So arbeitete er zunächst als Altarbauer in Landsberg, wo er bis 1588 den Hochaltar der neuen Jesuitenkirche schuf. Sein Talent wurde aber auch den anderen Niederlassungen der Jesuiten zu Teil: „Zahlreiche Heiligenstatuen verschiedener Größe und Form stammen aus seiner Hand; von seiner Fertigkeit und seinem Fleiß zeugen viele Altäre ersten Ranges und vorzüglicher Größe … so in den Kirchen der Kollegien von Ingolstadt, Augsburg, Hall, Regensburg, Brünn.“

Huber ebenso wie seine Oberen im Orden erkannten rasch, dass es manchen Fürsten, Magistraten, Bischöfen und Äbten ein Anliegen war, nicht allein bestehende Kirchen auszuschmücken und zu möblieren, sondern dass sie auch danach trachteten, neue Kirchenräume zu erstellen… „Mit fast unglaublicher Leichtigkeit und Raschheit erwarb sich Bruder Huber die nötigen Kenntnisse, größere Gebäude nicht nur mit Sicherheit aufzuführen, sondern auch in der Kunst und praktischen Einrichtungen mit den ersten Meistern seiner Zeit zu wetteifern…“ Zur Baukunst gelangte er zwischen 1593 und 1595 mit kleineren Werken in Ingolstadt und Regensburg. 1604 wird er nach Konstanz berufen, baut dort bis 1608 die Kirche St. Konrad (heute altkatholische Christuskirche), Kollege und Gymnasium der Jesuiten. Dann plant und baut er in Hall 1608 bis 1610 die Allerheiligenkirche – sie ähnelt der Konstanzer Konradkirche – , richtet sie ein und gestaltet anschließend (bis 1612) den alten Jesuitenkollegbau um.

1612 ist Stephan Huber wieder in Landsberg. Er baut den Ost-Trakt des Kollegs als Erweiterungsbau für die Novizen. 1578 hatte Pater Bonaventura Paradinas das Landsberger Ordensnoviziat begründet und seither kam kein Jesuiten-Adept mehr um Landsberg am Lech herum; Stephan Huber schuf ihnen den Lebensrahmen. Bei dieser Arbeit fand er als Gehilfen einen anderen Ingolstädter, den Bruder Jakob Kurrer. Man hat sich deshalb angewöhnt, ihn als den „jungen Kurrer“ zu bezeichnen. Tatsächlich war er Siebenundzwanzig, fertiger Maurergeselle und im Vorjahr dem Orden beigetreten.

Die Lebensbilder der Jesuitenbaumeister um diese Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert weisen Muster auf. Sie treten im Vergleich zu den „üblichen Novizen“, die mit etwa 18 Jahren (manche noch jünger, mit 14, wie der Orsini-Sohn, der 1567 bis 1569 ein Ingolstädter-Professoren-Gastspiel gibt) zum Orden stoßen, in durchaus gesetztem Alter ein. Sie sind ausgebildete, durchaus erfahrene Bildhauer oder Bauleute oder Künstler. Sie wechseln, wie es den Ordensgepflogenheiten entspricht rasch von Ordenshaus zu Ordenshaus, von Stadt zu Stadt. Das erweitert auch ihren (beruflichen) Horizont – einmal in der direkten Anschauung dessen, was sie an Architektur und verwendeter Technik an den neuen Lebensorten betrachten können. Sie finden aber auch in ihren neuen Kollegien, in den Büchern, Schriften, Archiven, die jedes Haus sammelt, Neues, Erwägenswertes, Anregungen. Oder aber, sie begegnen, wie Kurrer, anderen, erfahreneren, erprobten Lehrmeistern.

1613 wird Bruder Stephan Huber nach Ochsenhausen vermittelt. Die dortige Reichsabtei der Benediktiner gehört zu den größten oberschwäbischen Klöstern. Huber soll den neuen Konvent-Bau planen. Nach seinen Entwürfen entsteht ab 1615 eine Klosteranlage, die die nüchterne Architektur jesuitischer Kollegien mit den „residenzähnlichen süddeutschen Schlossbauten verbindet“. Hubers Planung für Ochsenhausen bildet den Anfang einer langen Reihe von prachtvollen „Klosterresidenzen“ des süddeutschen Barocks, an deren Ende Einsiedeln, Ottobeuren, St. Blasien, Wiblingen stehen.

Die genialen Entwürfe der jesuitischen Baumeister wie Huber und Kurrer sind noch in der Renaissance verhaftet, bereiten aber den Barock vor, der, unabhängig von römischen Vorbildern, im Sakralbau, mit den Klosteranlagen von Ochsenhausen und mit der Dillinger Jesuitenkirche beginnt.

Die Planung von Ochsenhausen ist Hubers letztes (bekanntes) Werk. 1616 geht er, erschöpft, nach einem Schlaganfall hinfällig, nach Konstanz. Um seine letzten Lebensjahre ranken sich fromme Berichte. Als Pflegefall sei er von seinem Krankenwärter (der später den Orden verließ) mit „wahrhaft unmenschlicher Härte“ behandelt worden; er erlitt Wahnanfälle, hatte aber in Gegenwart des Oberen immer hellsichtige Intervalle. Er starb am 24. Mai 1619.

Bruder Jakob Kurrer, 1585 in Ingolstadt geboren, hat ihm beim Novizen-Trakt in Landsberg assistiert. Während der Lehrmeister in Ochsenhausen plant und baut und bald alle Lebenskraft verliert, wird Kurrer 1615 ins elsässische Ensisheim entsandt. (Da war 1604 ein gewisser Jakob Balde geboren worden, den man 1613 nach Belfort gebracht hatte, damit er die Hinrichtung seiner als Hexe zum Feuertod verurteilten Großmutter nicht miterleben musste. Später wurde er Ingolstädter Professor und einer der größten Dichter des Landes und herausragender Autor des Jesuitentheaters). Hier auf dem Vorposten des Habsburger Reiches an der Grenze zum französischen Königreich soll Kurrer die Erweiterung des jungen Jesuitenkollegs planen. Doch der Bau verzögert sich, und bald steht halb Europa in einem Religionskrieg, der sich drei Jahrzehnte lang hinziehen wird.

1617 begann in Eichstätt der Bau der Jesuitenkirche, den man oft Hans Alberthal zuordnet, weil sie eine reine Wandpfeilerhalle ist, ein Typus, den Alberthal bei seiner Dillinger Arbeit als für den Barock wegweisendes Baumodell (1610 bis 1617) eingeweiht hat. Als Baumeister ihres Eichstätter Kollegs und ihrer Kirche nennen die Jesuiten aber nur Jakob Kurrer. Er muss also (schreibt Pius Bieri 2017 unter „sueddeutscher-barock.ch“) „schon 1617 den Bau der Kirche geleitet haben, vielleicht mit Alberthal als ausführendem Meister“.

1619 arbeitet Kurrer wieder an einer Alberthal-Baustelle. Der Dillinger Meister war von Christoph Scheiner nach Innsbruck gerufen worden, wo der berühmte Astronom derzeit Rektor des Kollegs ist. Scheiner ist einer der berühmtesten Professoren seiner Zeit. 1610 bis 1616 war er Professor in Ingolstadt gewesen; 1611 hatte er mit seinem Schüler Cysat vom Turm der Heilig-Kreuz-Kirche (der Ingolstädter Jesuitenkirche) aus die Sonnenflecken entdeckt (und zeit seines Lebens mit Galilei darüber einen lebhaften Prioritätenstreit geführt). Scheiner war ein genialer Konstrukteur, Ingenieur (Erfinder des „Storchenschnabels“, des ersten „Kopier-Instruments“ der Geschichte, Erforscher des Auges und Erfinder einer noch heute gebräuchlichen Operationstechnik), aber kein Baufachmann. Albertahl soll in Innsbruck die neue Jesuitenkirche bauen. Scheiner beruft Kurrer als Adjunkt nach Innsbruck. Das Vorhaben steht unter keinem guten Stern. Scheiner überwirft sich mit Alberthaler (1621), der sich gänzlich zurückzieht. Auch Kurrer wird nach Ingolstadt zurückgerufen, wo er bis 1623 bleibt. Im Januar 1624 kommt er auf Wunsch des Fürstbischofs Johann Christian von Westerstetten wieder nach Eichstätt und baut bis 1627 das neue Jesuitenkolleg.
1628 geht er wieder nach Ensisheim, wo er seine alten Pläne von 1615 auspackt und bis 1632 den Kollegbau besorgt. Jetzt steht man mitten im Dreißigjährigen Krieg. Der vorgesehene Kirchenneubau wird aufgrund der Besetzung des Elsass durch die Schweden gestoppt (und nach dem Wechsel des Landes zu Frankreich nicht mehr ausgeführt).

Die folgenden Schreckensjahre verbringt Kurrer in der Schweiz.1633 kommt er in das Luzerner Kolleg. Die Stadtkirche St. Leodegar (für die Eingesessenen das „Stift im Hof“) ist seit zwei Monaten eine Bauruine. Der Rat der Stadt wirbt um den Jesuitenbaumeister für einen Wiederaufbau. Vermutlich durch die Vermittlung des inzwischen nach Innsbruck gewechselten Cysat (des „Scheiner-Schülers“, der ihm dort als Rektor des Jesuitenkollegs nachgefolgt ist) beim Provizial, erlaubt man Kurrer die Bauleitung. Diese Kirche wird sein Hauptwerk. Kurrer, so Pius Bieri, „wird in Luzern derart geschätzt, dass ihm das Hochstift nicht nur eine ewige Jahrzeit gewährt, sondern (dass) im Langhaus in eine Nische der Westwand auch sein Bildnis als Architekt gemalt wird. ... (Als er 1639 nach Ingolstadt zurückkehrt, verehrt ihm die Stadt Luzern) zum Abschied ein Reitpferd und 100 Dukaten; sie läßt ihn zudem bis München durch einen „Stadtreuter“ (eine Art bewaffneten Herold) zu Pferd begleiten“.

Kurrer kehrt in ein verwüstetes Land heim. Immerhin war Ingolstadt die einzige bedeutende Stadt im ganzen Lande gewesen, die Gustav Adolf, König von Schweden, 1632, nicht hatte erobern können. In der Gruft des Jesuitenkollegs, in das Kurrer nun zurückkehrt, hat man den großen bayerischen Feldherrn Tilly bestattet, der nach einer Verletzung in der Schlacht bei Rain am Lech in die Stadt gebracht worden und im Haus des Universitätsprofessors Arnold von Rath - keine zehn Meter vom Kolleg entfernt - verstorben war. (Erst 1652 wird man Tillys sterbliche Reste nach Altötting überführen).
Das Land ist ausgeblutet. Natürlich hätte Kurrer an seinem demolierten Eichstätter Kollegbau, an vielen anderen Orten in Bayern der Arbeit genügend gefunden. Noch aber herrscht kein Frieden. Es fehlt an Mitteln. Es ermangelt am Impetus, der Not der Zeit zu trotzen.

Erst 1643 werden neue Taten des Ingolstädter Baumeisters erwähnt. Er zeichnet verantwortlich für den neuen Kollegbau in Burghausen. Man berichtet, er hätte für verschiedene Klöster gebaut – bekannt ist der Konvent-Ost-Flügel auf Herrenchiemsee, den er 1645 bis 1647 erstellt.
Am 16. Oktober 1647 stirbt Bruder Jakob Kurrer in der Jesuitenresidenz in Ebersberg.