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Stephan WHITE - Der Irland-Flüsterer: Begründer der irischen Nationalgeschichtsschreibung und sein Ingolstädter Professorenhintergrund von Gerd Treffer

Historische Blätter Ingolstadt - Jahrgang 13 - Ausgabe Nr. 128 vom 01.12.2023

Er galt vielen Zeitgenossen als „doctissimus polyhistor“, als überaus gelehrter Mann auf alten Gebieten der Geschichtswissenschaft: der Jesuit Stephan White, der am 4. April 1574 im irischen Clonmel in der Grafschaft Tipperary zur Welt gekommen war.

Seine mehr als dreißig Jahre währende Lehrtätigkeit in Deutschland und anderen europäischen Ländern verband er mit intensiver Forschung im Material sammeln über das Wirken seiner irischen Landsleute auf dem Kontinent. Robert Larson-Folger schreibt dazu im Biographischen Lexikon der Ludwig-Maximilians-Universität München: „In Bibliotheken und Archiven sammelte er Heilige Legenden und Nachrichten… Er fertigte akkurate Kopien an und versah diese mit kritischen Emendationen und historischen Hintergrundinformationen...“

Zu den Geschichten, die sich um White ranken gehört: es war White der eine Kopie der „Adamna,s vita Sancti Columbae“ („Leben des Heiligen Kolumban“) Schaffhausen fand.

Insbesondere die irische Nationalgeschichtssicherung zehrte von seiner „antiquarischen Forschungsarbeit“. Zu den White-Legenden gehören Sätze wie: „Ihm gebührt die Ehre das (Wort-) Label ‚scotia‘“ für Irland geprägt zu haben (so Matthew Flaherty; Stephan White; in: The Catholic Encycplopedia, Bd. 15; New York, 1912.

Der eingefleischte Ire richtete seinen wissenschaftlich patriotischen Eifer besonders gegen Schreiber, die Irland für die schottische Humanisten Hector Boece und seine „History of Scotland“ (1521) und George Buchanan mit der „Rerum Scoticarum Historia“ (1582) oder den zu Bologna lehrenden und schreibenden Juristen und Historiker Thomas Dempster und dessen „Historica ecclesiastica gentis Scotorum“ (1627).

Hatten doch diese Gelehrten und ihre akademische Gefolgschaft („zumeist ‚unorthodoxes‘ Katholiken oder gar ‚Häretiker‘“ – Larson-Folger, der Versuchung nicht widerstanden gestande Iren als Schotten für die schottische Geschichte zu vereinnahmen.

Dagegen stemmt sich White mit aller Kraft. Sein ganzes Werk ist dem Ziel verpflichtet, diese Irrungen zurückzuweisen, diesen historischen Irrtum aufzuklären und Irland zu rühmen, die „Scotia major“ (das nämlich ist Irland) zu glorifizieren.

Dem „anglo-saxo“ Beda, seinem Hauptgewahrsmann widmet er seine „defensio“.

Bedo Venerabilis (der Ehrwürdige Bedo 672/673 bei Wearmonth in Northumbria geboren und 735 im Kloster Jarrow in der heutigen Grafschaft Tyne and Wear gestorben) war ein angelsächsischer Benediktiner, Theologe und Geschichtsschreiber. Als sein Hauptwerk gilt die „Kirchengeschichte des englischen Volkes“. Der katholischen Kirche, den orthodoxen Kirchen, der anglikanischen Gemeinschaft und einigen evangelischen Konfessionen gilt er als Heiliger.

Dempster – der zwar in Bologna lehrte und lebte, aber ein in Aberdeenshire geborener Schotte war, sich mehr mit alten Sprachen, Etruskern und Archäologie befasste, aber oben auch zur „Geschichte Schottlands“ und zur „Kirchengeschichte“ (so die oben zitierte „Historica ecclesiastica gentes Scotarum“) publizierte war in diesen Arbeiten „wenig sorgfältig und sehr lokal patriotisch eingestellt. So machte er aus Bonifatius und Brigida von Kildare Schotten, was ihm erhebliche Kritik einbrachte“ (wikipedia.org).
Der setzt White seine Schrift „Scoto-Caledoria Cornix deplumanda ab avibus orbis“ entgegen (ungedruckt: Bibliotheque de Poitiers, Nr. 258).

Das einzige größere gedruckte Werk des Stephan White ist gegen die „proenglische Darstellung Irlands des Giraldus Cambrensis gerichtet. Dieser Gerald von Wales (1146 in Manorbier Castle in Pembrokshire geboren) war Archidiakon, Schriftsteller, Diplomat, Kirchenpolitiker, Historiograph. Er war 1184 Kaplan König Heinrichs II., Gemahl der berühmten Alienor von Aquitanien – der Frau, die in einem Leben die Rolle der Königin von ??? und der Königin von England vereinte und mit Henri Plantagenet das Elternpaar für Richard Löwenherz und John Lackland darstellte. (Plantagenet) und auserwählter Königssohn „Johann ohne Land“ auf eine Kriegerische Expedition nach Irland zu begleiten. Diese „Mission dauerte zwei volle Jahre bis 1186. sie war der Ausgangspunkt seiner literarischen Karriere, denn Gerald verfasste nun erste Reiseberichte mit lokalhistorischen Beschreibungen (Topographia Hibernica, 1188, hinzu kam die Expognatio Hibernica, 1188, mit einem Bericht über König Heinrichs Eroberung von Irland).

Das konnte White – auch wenn Geralds Schilderungen 400 Jahre zurücklagen – aus der Zeit der Kreuzzüge und (literarisch überhöht der Heldentaten Robin Hoods) stammten – einfach nicht so stehen lassen. Er verfasst die „Apologia pro Hiberna adversus Cambri Caluminas“ – die Apologie für Irland gegen die Verleumdungen (Verdrehungen) der Gerald (Lambreusis). Es ist, wie erwähnt, das einzig bislang gedruckte Werk White – und: es wurde 1849 gedruckt – wohl 250 Jahre nachdem es White zu Pergament gebracht hat: Herausgegeben von Matthew Kelly, in Dublin, 1849.

White hatte die Absicht, die Ergebnisse seiner jahrzehntelangen Forschungen eines Tages abschließend und die gesamte Geschichte Irlands umfassend (unter dem Titel „De Sancitis et antiquitate Hiberniae“) als Darstellung der „wahren Geschichte“ des Landes und der Iren vorzulegen.

Letztlich kam dieses Projekt nicht zum Tragen, forderte aber reiches Material zu Tage, von dem die irische Nationalgeschichtsschreibung substantiell zehrte. Das University College Cork Centre for Neo-Latin-Sudies /https://ucc.ie/en/cnls) listet die zwei neben der Apologie pro Hibernia… gedruckten Briefe – an John Colgan und an Rosweyde – und die lange Liste bekannter Manuskripte mit Angabe der Aufbewahrungsorte auf.

Wann auch die Drucklegung eines umfassendes Werkes an finanziellen Hürden scheiterte, entfaltete er nämlich Wirkung durch seine Korrespondenz mit bedeutenden Gelehrten seiner Zeit und deren Nachfolger, die seine Recherchen nutzten, so etwa die Franziskaner John Colgan für die „Acta Sanctorum Hibernia“ (1645) und Patrick Flemming für die „Collectanea Sacra“ (1661).

Über seine Kontakte mit Heribert Rosweyde fand seine Arbeit Eingang in die Arbeit der Bollandisten. (So nennt man die Herausgeber und Mitarbeiter der vom Jesuitenorden veranlassten Sammlung von Nachrichten über die Heiligen der römisch-katholischen Kirche unter dem Titel „Acta Sanctorum“, nach Johann Bolland (1596-1655), dem ersten Bearbeiter der von Rosweyde aus Utrecht (1629 verstorben) angelegten Sammlung. (Die Acta Sanctorum erschien in 53. Bänden 1643 bis 1794 in Antwerpen, Brüssel und Tangerloo – und erlebten im 19. Jahrhundert ein Wiederaufleben).

Dass es White neben dem Zurechtrücken historischer Fakten (oder dem, was er dafür hielt) auch um religionspolitische Motive ging, ist offensichtlich. Er versteht seine Arbeit auch als Waffe gegen die „Häretiker“ und „alios bonna fide errante catholicos“ – schließlich war es zu Zeiten etwa Elizabeth I. lebensgefährlich, in Schottland Katholik zu sein und die Engländer waren seit Heinrich, ihrem Vater, dem selbsternannten Defensor Fidei und Oberhaupt der „Anglikaner“ Abgefallene. Das irische Wesen, die irische Mission, die Leistungen Irlands für den Kontinent (das outre-mer, das sich noch nicht Europa nannte) konnte man doch nicht der Darstellung und Interpretation der Engländer und Schotten überlassen. White hatte sein umfangreiches Material über die Heiligen und die alte Geschichte Irlands immer auch als Waffe betrachtet gegen die „ideologische, aber auch historisch-methodische Herausforderung durch Protestantismus und Skeptizismus“ (Larsson-Folger), als grundlegende Hilfe zu einer katholischen Identitätsbestimmung durch Vermittlung einer stolzen, hergebrachten Tradition.

Trotzdem: Wissenschaftliche intellektuelle Korrektheit und patriotische Solidarität ließen White selbst die konfessionellen Grenzen überschreiten. Er arbeitete mit Erzbischof James Ussher zusammen – der war zwar Anglikaner, Primas von Irland, Bischof von Armagh und Verfasser einer Vielzahl theologischer und historischer Werke, aber er war immerhin ein (halber) Ire (und war 1592 ins Dubliner Trinity-College eingetreten, als Dreizehnjähriger, das White wohl um diese Zeit als 18jähriger verließ um nach Spanien zu gehen). Ussher ein überaus streitbarer Anglikaner (mit einer herausragenden Lebensgeschichte von internationalem Format) steht nicht an White als einen Mann zu bezeichnen, der mit den alten Aufzeichnungen nicht nur für Irland, sondern auch anderer Länder am besten bewandert sei.

Zeit, sich den Lebenslauf den Stephan White, eingedeutscht auch als Stephan zu lesen, der Hauptname humanisiert in Vitus.

1592 war in Dublin das Trinity College gegründet worden und S. White war einer der wenigen (genau drei) in der Charta genannten Studenten. Dort erwarb er seinen Magistergrad. Da er nicht bereit war, den Vorherrschaft-Eid, den Oath of Supremacy zu leisten, verließ er Irland. Königin Elizabeth hatte sich zum Oberherrn der Church of England erklärt und arbeitete und unterrichtete dort 1602 bis 1606. 1559 mit dem „Act of Supremacy“ es jeder Person, die ein öffentliches oder kirchliches Amt bekleidete zur Pflicht gemacht, dem Monarchen die Treue zu schwören. Unterlassung galt als Landesverrat so sollte sich White in Glaubensdingen nicht behandeln und binden lassen. Er ging nach Spanien. Im Oktober 1595 trat er in Villagarcia, Kastilien, in den Jesuitenorden ein. Seine Studien setzte er am Calegio de Irlandese, am irischen Kolleg in Salamanca fort.

Er wirkt u.a. an William Bathes „Janua linguarum“ mit.

Bathe, geboren in Dublin aus führender irischer Familie, vorübergehend Günstling Elizabeth der Großen, galt als Sprachgenie und verfasste eines der weltweit ersten Werke über Sprachunterricht (Tor des Jungen), das so populär wurde, dass es binnen 20 Jahren in neuen Sprachen übersetzt wurde. Der „eschechische“ Gelehrte Comenius stützte sich bei seinem Werk „Janua linguarum reserata“ (1631) auf dieses Werk.

Larsonn-Folger schreibt: „White wurde dann nach Ingolstadt geschickt, um den Lehrstuhl seines Ordensbruders Jakob Keller zu übernehmen, einer überragenden Persönlichkeit unter den deutschen Jesuiten (gewürdigt im „Menologium“ – den Lebensbildern der deutschen Ordensprovinz der Gesellschaft Jesu; Roermond 1901 mit heraushebenden Zitaten des großen Theologen der Zeit schlichthin, des Gregor von Valencia und durch den führenden Jesuitendichter Jakob Balde, der von Keller gefördert wurde). Keller, 1600 als Professor für Philosophie, ab 1601 auch an der theologischen Fakultät, verließ Ingolstadt 1606 – und entfaltete bis zu seinem Tod 1631 einflussreiche Initiativen, war Beichtvater und theologischer Berater des Herzogs Maximilian IV. Maximilian und sein „Vetter“ der Habsburger Erbprinz Ferdinand hatten beide in Ingolstadt bei den Jesuiten studiert: der erstere wurde vom Herzog zum Kurfürsten Maximilian I., der andere vom Erzherzog zum Kaiser des Heiligen Römischen Reichs: beide fochten sie (der eine mit Tilly an der Spitze seines Heeres, der andere mit Wallenstein als seinem Feldherrn) den Dreißigjährigen Krieg – und ohne sie wäre der Süden des Reiches nicht im „alten Glauben“ erhalten geblieben.
White wird also nach Ingolstadt beordert, Jakob Keller zu ersetzen. Tatsächlich pflegten die Jesuiten ein intensives Rotationsprinzip. Warum White – der Ire, aus Spanien, nach Bayern gehen sollte, erschließt sich nicht wirklich. Salamanca war ein Zentrum der Reformtheologen – Gregor von Valencia, der „doctor doctorium“ hatte dort Wurzeln (war aber 1603 verstorben). Er hatte die „Synthese aus Humanismus und Scholastik nach Deutschland“ (Mulsow) und wurde so zum „Restaurator der Theologie in Deutschland“. – Dass die „Spanische Verbindung“ eine Rolle bei der Entsendung Whites eine Rolle gespielt hat, ist nicht auszuschließen. Dass „die Universität“ und „die Jesuiten“ innerhalb der Kommunität Universität nicht beste Freunde waren, ist bekannt. White wurde von der Theologischen Fakultät nur (so Larsonn-Folger!) mit wenig Begeisterung zum Doktor promoviert.

Er hält am 7. Oktober 1606 seine Antrittsrede.

Drei Jahre an der Bayerischen Landesuniversität standen am 1608 war er Dekan der Theologen.

Das Lexikon der Ludwig-Maximilians-Universität bilanziert Whites Jahre: „Während seiner Ingolstädter Zeit konnte der Ire weder in seiner Amtsperiode als Dekan noch in seinen Vorlesungen über scholastische Theologie oder in Disputationen große Reputation erwerben.“

Lapidar: „Im Oktober 1609 verließ er Ingolstadt.“

Im weiteren Verlauf war er an einer Vielzahl von Ordenskollegien tätig: 1611 bis 1622 kehrte er in Dillingen. Er hatte mit Sebastian Heiss, der für ihn nach Ingolstadt gekommen war, den Platz getauscht. 1612 wird er als erster Professor für scholastische Theologie genannt, 1613 als Professor der Schrift, Beichtvater und Gewissensleiter der Religiösen. Am 6. Januar legte er im großen Lehrsaal sein viertes Ordensgelübde ab. Zu seinen Ordens-Brüdern in Dillingen zählten Jakob Gretser und Ambrosius Wadding.

Er war in Kassel, im schweizerischen Keysersheim, in Biburg, Regensburg, Pont-á-Mousson. Von 1623 bis 1627 war er in der Champagne, von 1627 bis 1629 am Kolleg in Metz.

1640 kehrt White nach Irland heim.
In Dublin war um 1629 ein Jesuitenkolleg unter dem Patronat der Lady Elizabeth Kildare, der Witwe von Gerald Fitz Gerald, dem 14. Earl of Kildare gegründet worden. Jane Ohlmeyer (in: Making Ireland English; Yate, 2012) glaubt, dass Pater White dort Superior wurde. Das Kolleg wurde jedoch bald von der Obrigkeit aufgelöst, Besitz und Vermögen wurden beschlagnahmt und dem Trinity College übergeben.

White blieb bis zur Auflösung des Kollegs in Dublin. Dann ging er in seiner Heimat-Diözese Waterford und Lismore, arbeitete engagiert als Katechef für Kinder. 1945 war er Superior der Jesuitenniederlassung in Galway.

Er starb 1946 in Galway.