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Vitus JACOBAEUS - ein Ingolstädter Dichter-Professor, Träger des "damaligen Literaturnobelpreises"
von Gerd Treffer

Historische Blätter Ingolstadt - Jahrgang 13 - Ausgabe Nr. 125 vom 15.10.2023

Der Mann konnte dichten.
Bereits 1555 hatte er eine Ode zum Triumph Christi verfasst und in Augsburg drucken lassen.

  • Triumphus gloriossimus filii dei ascendentis ad dexteram aeternis partris carmine celebratus.

Sein Geburtsjahr ist unbekannt. Als Herkunftsort ist Nürnberg bezeugt.
Im Februar 1556 schrieb er sich an der Universität Wittenberg ein. Auch dort trat er als Dichter hervor und schrieb im Auftrag des Rektors der Universität das Weihnachtsspiel

  • Elegia de Natali Christi.

Zum Wintersemester 1557/1558 war er in Wien, hatte vermutlich bereits das Bekenntnis gewechselt und war katholisch geworden.
In Wien wurde Jacobaeus am 15. September 1558 in Gegenwart von König Maximilian II. und des Erzherzogs Karls die höchste Ehre aller Verseschmiede und Schriftsteller zuteil. Beim wiederbelebten Poetenkolleg wurde er zum Dichter gekrönt: „poeta laureatus“.
Es war eine würdige Feier. Der Mathematiker Paul Fabricius leitete ich die Zeremonie.

Der „poeta laureatus“, der vom Kaiser gekrönte Dichterfürst, war in der ursprünglichen Form ein Ritterschlag, hatte später mit der Pfalzgrafenwürde zu tun, war zugleich auch akademische Auszeichnung, nie so ganz präzise definiert. Die Würde war eher eine Kunde an die Welt, eine Mischung von frohem Künstlerfest und heiterem, ritterlichem Spiel, von Dichtertraum und -Würde. So wie der Kaiser das Recht hatte, den Helden und Sieger in der Schlacht zum Ritter zu schlagen, so sollte auch der Dichter, der Kämpfer und Sieger auf dem Feld des Geistes, von seiner Hand die schönste, fürstliche Huld erfahren (Karl Schottenloher; Kaiserliche Dichterkrönungen im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation; München, 1925). In gewisser Weise war die Würde eines „poeta laureatus“, eines gekrönten Dichters, das, was heute der Literaturnobelpreis ist.

1341 hatte Francesco Petrarca, der Führer der humanistischen Bewegung, am Ostertag auf dem Kapitol aus der Hand eines römischen Senators den Lorbeerkranz als höchsten Ruhm des Dichters empfangen (anknüpfend an die antiken Wettbewerbe um olympischen Dichterruhm). Dem kapitolinischen folgte bald der kaiserliche Lorbeer, als am Himmelfahrtstag 1355 Kaiser Karl IV. den Florentiner Zanubi da Strada auf den Marmorstufen der Kathedrale zu Pisa mit dem Dichterlorbeer krönte.
Bedeutende Dichterkrönungen folgten, wie 1442 zu Frankfurt die des Ena Silvio Piccolomini. Es war die erste Dichterkrönung auf deutschem Boden und sie ehrte den späteren Papst Pius II., der an der Gründung der Universität Ingolstadt (1472) beteiligt war, sie genehmigte. Damit wurde ein sinnfälliges Zeichen für das Übergreifen des Humanismus auf deutschen Boden gesetzt.

Den denkwürdigen Dichterkrönungen von Rom, Pisa, Frankfurt am Main folgte am 18. April 1487 eine große Feier auf der Burg in Nürnberg, als Kaiser Friedrich III. Konrad Celtis nach dem Vortrag einer Ode auf die Kaiserherrlichkeit den Lorbeer aufsetzte. Es war das erste Mal, dass ein Dichter aus Deutschland diese Würde errang, zugleich eine öffentliche Anerkennung des Humanismus in Deutschland, der sich hier nun hof- und gesellschaftsfähig fühlen durfte. Celtis gilt in der Tat als der deutsche Erzhumanist. Wenig später, 1491, in Ingolstadt an der Landesuniversität eingetroffen, hatte er die Professur für Rhetorik und Poetik übernommen. Aufsehen erregte der „deutsche Erzhumanist“ mit einer programmatischen Rede zu Sinn und Zweck des universitären Studiums und der Wissenschaft, die als das Fanal des Humanismus in Deutschland gilt.

Dem ersten gekrönten deutschen Dichter, Konrad Celtis, folgten bald weitere Glücksgenossen, und - was offenbar bisher niemand so richtig gewürdigt hat -, es waren erstaunlich viele Professoren aus Ingolstadt unter den Preisträgern,
darunter:

Jakob Locher (1471-1528), genannt Philomosus, ein fleißiger, gewandter Schriftsteller, der in Ingolstadt lehrte und mit seinen zahlreichen Dramen, Satiren, Gelegenheitsdichtungen, frommen Versen, Lehrbüchern und Klassikerausgaben zu den erfolgreichsten Führern der humanistischen Bewegung in Deutschland zählt,

Johann Stabius (? - 1552), 1502 gekrönt, auch er Professor an der Bayerischen Landesuniversität,

Markus Tatius (1509-1562), der Ingolstadt Lehrer der Poetik war und eben

Vitus Jacobaeus.

Mit dieser fürstlichen Anerkennung, der damit verbundenen Wertschätzung und entsprechendem Ansehen ausgezeichnet, hervorgehoben in dem Kreis der Dichtenden , veröffentlichte er 1561 in Wien eine erste Sammlung seiner vorwiegend geistlichen Dichtungen

  • Sacrorum carminum liber primus.

Bald nachdem er in Wien 1561 seine „Heiligen Gesänge, Erster Teil“ veröffentlicht hatte, schrieb sich Jacobaeus am 31. Oktober 1561 an der Universität Ingolstadt ein. Er nahm eine Zwitterstellung ein, studierte selbst zum Doktor der Rechte, unterrichtete aber an der philosophischen Fakultät, die das Grundstudium darstellte, Philosophie und natürlich Poetik. Daran war auf den ersten Blick nichts Ungewöhnliches. „Lehrende Magister“, die das philosophische Grundstudium abgeschlossen hatten, unterrichteten häufig ihre Nachfolger, verdienten sich dabei Hörgeld, um selbst an den „höheren“ Fakultäten weiterstudieren zu können. Ungewöhnlich ist aber der akademische Cursus des Jacobaeus. Er war Student bei den Juristen, war aber in der philosophischen Fakultät kein Lesender Magister, sondern hatte von Anfang an eine von der Artistenfakultät getragene Poetik- Dozentur. Dagegen konnte nun bei einem vom Kaiser gekrönten „poeta laureatus“ niemand etwas aussetzen.

Allerdings blieb ihm die akademische Ochsentour nicht erspart: Im Januar 1563, nachdem er zuvor per saltum den Bakkalaureus-Grad zuerkannt bekommen hatte, zum Magister aufgerückt war, trat er auf herzoglichen Befehl dem Philosophischen Konzil bei. Zweimal war er Dekan der philosophischen Fakultät (im Wintersemester 1565/1566 und im Sommersemester 1567), außerdem ab Herbst 1564 Universitätsnotar, eine beachtliche Rolle für jemanden, der erst drei Jahre zuvor sein Jurastudium aufgenommen hatte, was nicht über die Maßen erstaunt, führt man sich vor Augen, dass damals Männer mit beachtlichen Vorkenntnissen in Vorlesungen und Seminaren saßen, die von anderen Männern geleitet wurden, die bei den Lernenden selbst Veranstaltung in anderen Fächern "hörten“. Die Universität war eine Kommunität, eine Gemeinschaft der freien Debatten, der offenen, akademischen Kontroversen. Leute mit einem Hintergrund wie Vitus Jacobaeus waren dort involviert, wohl geachtet, gern gesehen und auch herausgefordert.

1563 promovierte er.
Jacobaeus war aber weiter - schließlich war das seine Kernkompetenz - sein Rückhalt an der Universität, sein Alleinstellungsmerkmal, weiterhin als Dichter zugange. "Der Umfang seiner Dichtungen während der Ingolstädter Jahre ist beachtlich", urteilt Christoph Schöner (im Biographischen Lexikon der LMU).
Er verfasste eine

  • Academia Ingolstadiensis carmine illustratat. (Ingolstadt, 1562), die als Schilderung der Universität, ihrer Fakultäten und einzelner besonderer Professoren erscheint, dann das
  • Encomium accademiae Ingolstadiensis, das Jacobaeus vortrug, als er zum Magister der Universität befördert wurde, und in dem er summarisch die Geschichte der nicht ganz einhundert Jahre zuvor gegründeten Universität beschrieb. Als sozusagen Universitäts- und damit offizieller Staats-Poet, verfasste er "Gedichte" zu Promotionen, Hochzeiten, Leichenbegängnissen, setzte lokale und historische Ereignisse in Verse, verlieh ihnen Bedeutung, ordnete sie dem Anlass angemessen ein,
  • Ephitalamina in honorem nuptiarum... (Ingolstadt, 1566).

In der sich zuspitzenden Kontroverse mit den Lutherischen schrieb Jacobaeus ein allerdings nie im Druck erschienenes Schandgedicht auf den Herren zu Wittenberg, einen gewissen Luther ( ,der allerdings auch seinerseits von seinem Ingolstädter Widersacher Professor Eck als der „Sau aus Ingolstadt“ gesprochen hatte . Man schenkte sich nichts).

Jacobaeus starb 1568 auf dem Weg von Ingolstadt nach Göppingen, wo er sich im Bad Erlösung von einem Fußleiden erhoffte.

In der Reihe der Literaturpreisträger, der gekrönten Dichter aus Ingolstadt, folgten auf Jacobaeus

  •  Hannard Gamerius (1530-1599), dann in rascher Folge
  •  Philipp Menzel (1546 -1613), 1571gekrönt
  •  Valentino Rotmar (1581 verstorben), der verdienstvolle Herausgeber der Ingolstädter Universitätsannalen
  •  Johann Engerd, 1572 gekrönt und zugleich zum Professor der Dichtkunst in Ingolstadt ernannt.

Um das Jahr 1600 endet die große Zeit dieser kaiserlichen Dichterkrönung.
Eine Zusammenschau und Würdigung der mit den höchsten Literaturpreisen der Zeit bejubelten Dichter aus Ingolstadt harrt noch der Darstellung, ebenso die Aufbereitung ihrer gekrönten Texte.

Es wäre Zeit, sich über die Epochen einer spezifisch Ingolstädtischen Literaturgeschichte Gedanken zu machen. Ingolstadt hat mit den Literatenfürsten, den gekrönten Dichtern, eine erste große Epoche literarischen Schaffens erfahren, die mit dem Einzug des Humanismus in Deutschland eng verbunden ist und die als Ingolstädter Specificum gut 200 Jahre abdeckt. Es folgt die Epoche des Jesuitentheaters, das von Ingolstadt ausgeht, und ohne das bayerische Theatergeschichte nicht denkbar wäre. Es folgt weiter eine Sonderrolle im Bereich der Literatur der (und um die) Aufklärung. Literaturhistorikern steht hier ein weites (und völlig zu Unrecht nicht bearbeitetes) Feld offen.