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10.10.2023

Finanzielle Schieflage der Kommunen

Oberbürgermeister Christian Scharpf schreibt an den Bundesfinanzminister

Mit stark steigenden Defiziten geraten die deutschen Kommunen zunehmend in finanzielle Schieflage. Auch Ingolstadt steht vor einer schwierigen Entwicklung im kommunalen Haushalt und vor großen Herausforderungen zur Konsolidierung.

In einem Brief an Bundesfinanzminister Christian Lindner sendet Oberbürgermeister Dr. Scharpf einen Hilferuf und appelliert eindringlich das Wachstumschancengesetz nicht zu Lasten der Kommunen auszugestalten. Er fordert, Initiativen des Bundes mit Bundesmitteln zu finanzieren, statt die Kosten auf die Kommunen abzuwälzen. Eindringlich bittet er, bestehenden Schieflagen entgegenzuwirken und Möglichkeiten für neue Impulse zugunsten der Kommunen auszuschöpfen.

Der Brief des Oberbürgermeisters, der in Kopie auch an den Bundeskanzler und den bayerischen Finanzminister ging, hier im Wortlaut:


„Sehr geehrter Herr Bundesminister Lindner,

mit großer Sorge blicke ich auf die Entwicklung des kommunalen Haushalts in unserer Großstadt in der Mitte Bayerns, in einer der prosperierenden Regionen des Freistaats.
Mit Großunternehmen wie Audi und Media-Saturn, zahlreichen innovativen KMUs, starken Handwerksbetrieben sowie einer insgesamt niedrigen Arbeitslosenquote konnten wir stets stabile soziale, wirtschaftliche und ökologische Rahmenbedingungen für unsere rund 142.000 Einwohnerinnen und Einwohner schaffen. Wir sind die einzige Großstadt Bayerns, die keine Schulden hat.

Trotz unserer relativ starken Position spitzt sich unsere finanzielle Lage in kurzer Zeit dramatisch zu. Die aktuellen Entwicklungen führen zu einer insgesamt extrem belastenden Gesamtsituation, die die Fähigkeiten der Kommunen bei weitem übersteigen.

Steuereinnahmen, insbesondere die Gewerbe- und Grunderwerbssteuer, brechen ein, gleichzeitig steigen Personal- und Sachkosten in allen Bereichen deutlich an. Wir müssen zunehmend Defizite bei unseren kommunalen Beteiligungen ausgleichen, etwa im Bereich des ökologischen Umbaus z.B. beim ÖPNV oder auch der Sanierung unserer Krankenhäuser. Zusätzliche Aufgaben, die Freistaat oder Bund weitergeben, etwa bei der Versorgung und Unterbringung von Geflüchteten, erfahren keine ausreichende finanzielle Kompensation.

Die Nachwehen von Corona und die Teuerungen durch den Krieg in der Ukraine tragen zusätzlich zu einer Gesamtsituation bei, die die Kommunen und auch die Stadt Ingolstadt zunehmend überfordern. Die geschilderten Entwicklungen führen dazu, dass zum Beispiel ein Ausgleich unseres Verwaltungshaushalts bis 2027 nur noch mit deutlichen Leistungseinschränkungen möglich sein wird. Gleichzeitig steigt die Verschuldung innerhalb von vier Jahren von Null auf einen deutlich dreistelligen Millionenbetrag an. Eine Fortsetzung oder Verschärfung dieses allgemeinen Trends würde unweigerlich dazu führen, dass die Kommunen ihre Pflichtaufgaben nicht mehr erfüllen können und unseren Gestaltungsspielraum zunichte zu machen.

Art. 28 Abs. 2 Satz I des Grundgesetzes sichert den Kommunen verfassungsrechtlich garantiert das Recht auf kommunale Selbstverwaltung zu. Dieses Recht beinhaltet unter anderem die Finanzhoheit, nach der die Kommunen über ausreichend finanzielle Mittel verfügen müssen, um ihre Aufgaben erfüllen zu können. Bei einer dauerhaften Unterfinanzierung der Kommunen ist dieser Grundpfeiler der Demokratie massiv gefährdet.

Sehr geehrter Herr Bundesminister,

dieses Schreiben ist ein Hilferuf. Wir steuern im Rahmen unserer Möglichkeiten mit aller Kraft gegen diese Entwicklung und planen unseren Haushalt drastisch neu. Frühzeitig haben wir umfassende Maßnahmen getroffen und umgesetzt, um kommunale Aufgaben und Ausgaben zu senken und die Haushalte zu konsolidieren, zum Beispiel schmerzliche Null-Runden beim Personal sowie interne Budgetvorgaben. Die jüngsten Steuerschätzungen und internen Berechnungen zum Haushalt sowie zur Mittelfristplanung zeigen jedoch, dass diese Maßnahmen nicht ausreichen.

Dass durch das geplante Wirtschaftswachstumsgesetz Ihres Hauses die Einnahmen der Gemeinden und Städte weiter reduziert werden sollen, verschlimmert unsere Situation zusätzlich. Maßnahmen des Bundes wie das Gesetz zur Stärkung von Wachstumschancen, Investitionen und Innovation sowie Steuervereinfachung und Steuerfairness sind gut und dringend nötig, dürfen jedoch nicht auf dem Rücken der Kommunen ausgetragen werden. Wenn selbst unsere bislang gesunde Großstadt leidet, wie entwickelt sich die Situation dann erst in schwächeren Regionen?

Als Oberbürgermeister von Ingolstadt appelliere ich eindringlich an den Bund, das Wachstumschancengesetz nicht zu Lasten der Kommunen auszugestalten!

Die deutschen Kommunen geraten zunehmend in finanzielle Schieflage. Erst vor wenigen Tagen haben die kommunalen Spitzenverbände eine alarmierende Prognose veröffentlicht, mit bundesweit stark steigenden Defiziten in kommunalen Haushalten.

Auch vor diesem Hintergrund bitte ich Sie eindringlich, alle Möglichkeiten für neue Impulse auszuschöpfen, bestehenden Schieflagen entgegenzuwirken und Initiativen auf der Ebene des Bundes mit eigenen Maßnahmen gegenzufinanzieren, statt die Kosten an die kommunalen Gebietskörperschaften weiterzureichen.“